Anna Staub

Die bestellte Braut


Скачать книгу

kräftigen Kinn mit einem leichten Bartschatten. Als sie schließlich die braunschwarzen Augen und das schwarze Haar erreichte, wünschte Miss O'Brian sich fast, sie hätte nicht so genau hingesehen. Der Mann war mindestens 1,85 Meter groß, wahrscheinlich sogar größer und hatte etwas sehr Einschüchterndes an sich.

      Fast im selben Moment schoss der jungen Frau die Frage durch den Kopf, ob das Charles Sullivan sein könnte. Anstatt wieder zu schlucken, schnappte sie bei dem Gedanken diesmal nach Luft.

      „Kann ich Ihnen helfen, Madam?“ Der baumlange Cowboy hatte sie erreicht und stand nun direkt vor ihr. Was Steffiney zwang ihren Kopf etwas in den Nacken zu legen, damit sie ihm überhaupt ins Gesicht schauen konnte. Andernfalls hätte sie jetzt auf die offene Knopfleiste seines Hemdes gestarrt. Mit einiger Mühe behielt sie den Kopf oben und lächelte ihr Gegenüber an.

      „Ja. Ja, danke. In der Tat. Ich bin auf der Suche nach einem Mr. Sullivan.“ Erwartungsvoll lächelte sie und blinzelte gegen das helle Sonnenlicht an, das ihr direkt in die Augen schien.

      Der Cowboy hatte mehr Glück. Er stand mit dem Rücken zur Sonne und konnte die Frau vor sich ohne Probleme einer genauen Musterung unterziehen. Schlecht sah sie ja nicht aus, auch wenn sie keine Schönheit war. Allerdings entschädigte dieses entwaffnende Lächeln allemal für das etwas zu spitz geratene Kinn und die hohe Stirn.

      „Ich würde sagen, Sie haben ihn gefunden“, antwortete der Cowboy mit einem verschmitzten Lächeln. Für einen kleinen Augenblick klaffte Miss O'Brians Mund ganz undamenhaft offen. Das war tatsächlich ihr zukünftiger Mann?

      Doch schnell besann sie sich eines Besseren und schloss den Mund wieder. Allerdings kam sie gar nicht zu Wort. Inzwischen hatte sich der junge Mann, der sie vorhin so überaus interessiert betrachtet hatte, sich zu ihnen gesellt.

      „Nun, zumindest einen Mr. Sullivan“, fiel er in das Gespräch ein. Was ihm einen ärgerlichen Blick von dem Zureiter bescherte. Der ihn allerdings nicht im Mindesten zu berühren schien. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Cowboy, der ihn gut und gerne um einen halben Kopf überragte.

      „Das hier ist zum Beispiel Mr. Lukas Sullivan und ich bin Mr. Charles Sullivan“, stellte der Störenfried sich mit einem breiten Grinsen vor.

      Bei dieser Eröffnung verlor Steffiney O'Brian den bescheidenen Rest ihrer mühsam aufrechterhaltenen Contenance. Entgeistert und mit Entsetzen blickte sie zu dem Jungspund.

      Das war Charles Sullivan? Der Junge konnte kaum älter als 17 sein! Was hatte sie sich da nur eingebrockt?

      Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.

      „Sie haben es gehört, Lady. Was können wir also für Sie tun?“ Mr. Lukas Sullivan schien nicht besonders begeistert über die Einmischung von Charles. Es dauerte einige peinliche Augenblicke, bis Steffiney ihre Sprache wiederfand.

      „Sie sind Mr. Charles Sullivan? Sind Sie sich da ganz sicher?“ Offensichtlich verwirrt fuhr sich Miss O'Brian mit der Hand über die Stirn, konnte ihren verblüfften Blick aber nicht von dem Jungen vor sich losreißen. Wie war Mr. Smith nur so ein Fehler unterlaufen? Dieses Kind konnte doch unmöglich Witwer sein, geschweige denn vier Kinder haben!

      Charles Sullivan grinste breit und lüpfte kurz seinen Hut. „Ja Ma'am, ganz sicher. Schon seit meiner Geburt vor 18 Jahren!“

      Entgeistert ließ Steffiney ihren Blick zurück zu dem großen Ranchhaus, den Wirtschaftsgebäuden, Weiden und Arbeitern gleiten. Es war ihr anzusehen, dass sie glaubte, den Verstand verloren zu haben, während sie versuchte das Alter des jungen Mannes mit diesem immensen Besitz übereinzubringen.

      Charles schien sich köstlich zu amüsieren, doch Luke Sullivan zeigte sich nicht im Geringsten erfreut über dieses undurchsichtige Schauspiel. Und er schien auch schon den Schuldigen gefunden zu haben.

      „Was hast du jetzt wieder angestellt, Charlie?“, fuhr er den Jüngeren scharf an. Doch der hob gleich abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Auch wenn ich nichts dagegen hätte, es herauszufinden.“

      Für einen 18-jährigen hatte er ein viel zu anzügliches Lächeln, musste Miss O'Brian feststellen.

      „Einen Teufel wirst du tun, du Grünschnabel! Geh und such Dad, ich warte mit der Lady im Haus!“ Als Luke Sullivan ihrem zukünftigen Mann dermaßen in die Parade fuhr, erschloss sich Steffiney zumindest deren Verwandtschaftsgrad. Die beiden waren Brüder! Das erklärte schon mal, warum es gleich zwei Mr. Sullivans gab.

      Während Luke bereits in Richtung des Hauses losstiefelte, ging Steffiney endlich ein Licht auf. Sie musste laufen, um den Mann vor ihr wieder einzuholen. Aber auch wenn er nicht gerade freundlich war, er war immerhin doch höflich genug seinen Schritt dem ihren anzupassen, als er merkte, dass sie mit seinem Tempo nicht mithalten konnte.

      „Entschuldigen Sie, aber Ihr Vater, heißt er auch Charles Sullivan?“ Ihr Blick hatte etwas Flehentliches, als sie zu dem schwarzhaarigen Cowboy aufschaute.

      „Ja, Charles Sullivan Sr. Und vielleicht wollen Sie mir jetzt auch Ihren Namen verraten, nachdem Sie nun schon so viel über meine Familie wissen?“

      Ein strahlendes Lächeln breitete sich wieder auf Steffineys Gesicht aus.

      „Steffiney O'Brian, aber Gott sei Dank!“ Dieser Ausbruch kam dermaßen aus tiefstem Herzen, dass es sogar Luke Sullivan ein Lächeln abnötigte. Zwar ein Spöttisches, aber immerhin. Miss O'Brian dagegen war so erleichtert, dass ihr der Spott ihres Begleiters glatt entging. „Ich dachte schon, dass der Junge die Heirats…“

      Doch der Satz blieb ihr im Halse stecken. Inzwischen hatten die beiden das Haus erreicht und Luke Sullivan führte sie in einen rustikalen, aber gemütlichen Salon. Ohne auf seine Aufforderung zu warten, ließ sie sich in einen Polstersessel fallen.

      Ihr war soeben klar geworden, dass Mr. Charles Sullivan Sr., Vater von Luke Sullivan, der wohl um die 30 war, wenigstens doppelt so alt wie sie selbst sein müsste. Und das zumindest einer ihrer vier zukünftigen Stiefsöhne älter war als sie! So hatte sie sich ihr Familienleben nicht vorgestellt!

      „Miss O'Brian, hätten Sie die Güte mir zu erklären, was Sie hier wollen und wieso eben das Wort Heirat fiel?“ Luke Sullivan gehörte ganz offensichtlich nicht zu den geduldigsten Menschen auf der Welt. Doch Miss O'Brian blieb eine Antwort vorerst erspart, denn die Tür öffnete sich und herein kam ein stattlicher älterer Herr mit silberweißem Haar und sonnengegerbter Haut. Er war alles andere als gebrechlich, schlecht sah er auch nicht aus, aber er musste auf die 60 zugehen.

      Wieso nur hatte ihr Mr. Smith von der Agentur nichts davon gesagt? Mr. Sullivan Sr. rechnete wohl ebenso wenig mit einer dermaßen jungen Braut, wie sie auf einen zukünftigen Ehemann spekuliert hatte, der ihr Vater sein könnte.

      Hinter dem Familienoberhaupt der Sullivans hatte sich auch Charlie in den Salon geschoben und an den Kamin gelehnt, der ihn jetzt halb verdeckte. Anscheinend in der Hoffnung nicht bemerkt zu werden und so in den Genuss des ganzen Schauspiels zu kommen, das dieser Nachmittag versprach.

      „Dad, dies hier ist Miss Steffiney O'Brian und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was sie von uns will“, übernahm Luke die Vorstellung. „Es sei denn, Charlie hat wieder irgendetwas ausgefressen“, schob er mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen Richtung Kamin hinterher. Es war ihm ganz offensichtlich nicht entgangen, dass sein jüngerer Bruder Zaungast spielte.

      „Sehr erfreut Sie kennenzulernen, Miss O'Brian. Ich bin Charles Sullivan. Was kann ich für Sie tun?“, fragte der ältere Herr entgegenkommend.

      Erleichtert über die freundliche Art, mit der ihr zukünftiger Mann ihr begegnete, hatte Steffiney Mr. Sullivans Hand ergriffen. Er schien das ganze Gegenteil seines ruppigen älteren Sohnes zu sein. Doch beim letzten Satz entglitt ihr das angedeutete Lächeln wieder. Offensichtlich war Charles Sullivan nicht über den Erfolg seiner Heiratsannonce informiert. Was zumindest erklärte, warum sie gestern im wahrsten Sinne des Wortes wie bestellt und nicht abgeholt