Anna Staub

Die bestellte Braut


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sind Sie heute nicht mein Gast und Charlie kann morgen in die Stadt fahren und nach Boston telegrafieren, um das Missverständnis aufzuklären. Ich bin sicher, die Agentur erstattet Ihnen Ihre Auslagen zurück. Der Fehler lag ja ganz eindeutig nicht auf Ihrer Seite.“

      Bei dem Angebot die Nacht auf der Black Creek Ranch zu verbringen, war Miss O'Brians Kopf augenblicklich in die Höhe geschossen. Auf ihrem Gesicht machte sich Erleichterung breit. Doch nach einem kurzen Seitenblick auf Luke, der die ganze Szene mit offenem Missfallen beobachtete, schüttelte sie den Kopf.

      „Das ist wirklich sehr freundlich, Mr. Sullivan, doch Sie sind mir nichts schuldig. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ihre Gutmütigkeit auszunutzen.“ An dieser Stelle warf sie Luke einen scharfen Blick zu. „Darüber hinaus bin ich hier ganz offensichtlich nicht erwünscht.“

      Charles Sullivan Sr. war ein durch und durch gutmütiger Mensch, doch jetzt hielt er es für angeraten, andere Töne anzuschlagen. Strenge und Autorität klangen im nächsten Satz deutlich durch.

      „Miss O'Brian, dieses Haus gehört immer noch mir. Folglich entscheide ich, wer hier erwünscht ist und wer nicht. Im Übrigen wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als die Nacht hier zu verbringen. Wenn ich es mir recht überlege, kann ich heute unmöglich einen meiner Männer entbehren, um Sie in die Stadt zurückzufahren. Das wird frühestens morgen der Fall sein.“ Das vergnügte Zwinkern in seinen Augen nahm dieser Rede allerdings jegliche Schärfe. „Und Sie würden mir im Übrigen einen Gefallen tun. Wir haben hier viel zu selten Damenbesuch. Für Charlie wird es nur von Vorteil sein, sich in den richtigen Umgangsformen Ihnen gegenüber zu üben.“ Es war offensichtlich, dass Mr. Sullivan Letzteres nur hinzufügte, um seine Einladung weniger wie ein Almosen aussehen zu lassen.

      Steffiney rang noch einige Momente mit sich, bevor sie schließlich langsam nickte. Was blieb ihr auch anderes übrig? Was hätte sie in der Stadt tun sollen? Auf der Straße übernachten und die letzten Pennys für ein Telegramm ausgeben, das vielleicht nicht einmal Erfolg haben würde?

      „Ich danke Ihnen vielmals“, flüsterte sie, während Luke Sullivan mit energischen Schritten und düsterem Blick den Salon verließ.

      Leider konnte man das Büro der Heiratsvermittlung nicht ausfindig machen.

      Mrs. Prudle, eine robuste Frau in den 50ern, die sich als Haushälterin der Sullivans vorstellte, sorgte in ihrer etwas hemdsärmeligen, aber nicht unfreundlichen Art dafür, dass Steffiney alles bekam, was sie brauchte. Die ältere Frau brachte sie in dem geräumigen, gemütlichen Gästezimmer im Haupthaus unter, bereitete ihr ein Bad und brachte der jungen Frau später das Abendessen ins Zimmer hinauf.

      Miss O'Brian hatte sich mit vorgetäuschten Kopfschmerzen beim Familienabendessen der fünf Sullivans entschuldigen lassen. Ihr stand der Sinn nicht im Geringsten danach, unter den missbilligenden, feindseligen Blicken von Luke Sullivan Konversation mit fremden Männern zu machen. Glücklicherweise akzeptierte Mr. Sullivan ihre Entschuldigung ohne weitere Fragen zu stellen.

      Als Steffiney abends in ihrem geborgten Nachthemd am geöffneten Fenster stand und auf die Prärie hinaus sah, musste sie bitter lächeln. Sie dachte an Mrs. Rulys letzte Worte, als sie sich von ihrer Wirtin verabschiedet hatte.

      „Ich gratuliere Ihnen, Kindchen. Wird ja auch Zeit, dass Sie endlich unter die Haube kommen. Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal eine alleinstehende Dame über 25 beherbergt habe. Muss ein hartes Los sein, wenn so lange keiner anbeißt“, hatte die fettleibige, ältere Dame gesagt, bevor Steffiney sich mit einem gezwungenen Lächeln bedankt hatte.

      Sie lächelte bitter. Aber es war nicht nur die Enttäuschung darüber, dass ihre Pläne gescheitert waren und sie immer noch als Außenseiterin da stand, die sie überkam. Sie fühlte auch ehrliches Bedauern. Alles, was sie gewollt hatte, war eine Ehe, um versorgt zu sein. Die Black Creek Ranch war ein schöner Flecken Erde, auf dem sie sich hätte wohlfühlen können.

      Und auch Charles Sullivan Sr. schien ein umgänglicher, netter Mann zu sein. Er hätte zwar ihr Vater sein können, aber sie war sich sicher, dass sie sich auch an den Altersunterschied gewöhnt hätte. Aber gerade rechtzeitig, bevor sie zu sehr bedauern konnte, dass Mr. Sullivan nicht im Traum daran dachte, sie zu heiraten, fiel ihr der älteste Sohn wieder ein.

      Nein! Mit Luke Sullivan unter einem Dach leben zu müssen, war eine Vorstellung, die ihr sofort wieder die Zornesröte ins Gesicht trieb. Und auch die anderen Söhne waren bis auf Charlie in ihrem Alter, wie sie von Prudle gehört hatte. Es wäre doch eine zu seltsame Situation gewesen die Stiefmutter von Männern zu sein, die ihre Brüder hätten sein können. Zufrieden mit diesem vollauf vernünftigen Gedanken begab sich Miss O'Brian zu Bett.

      Der nächste Morgen dämmerte klar herauf, doch die Reise und deren Aufregungen forderten ihren Tribut von Miss O'Brian. Sie verschlief sowohl den malerischen Sonnenaufgang wie auch das Frühstück der Sullivans. Erst als Prudle gegen 10 Uhr in ihr Zimmer kam, um die Vorhänge zurückzuziehen und die Fenster öffnete, wachte sie auf.

      Beschämt darüber, dass sie so lange geschlafen hatte, versuchte sie sich sofort bei der Haushälterin zu entschuldigen. Prudle dagegen schien nichts Tadelnswertes an ihrer Langschläferei zu finden.

      „Schon recht, Missy. Se ham doch ne lange Reise hinter sich. Mr. Sullivan hat extra jesacht, ich soll Se ruhig lange schlafen lassen. Wenn Se gleich in de Küche komm, mach ich Ihnen Frühstück.“ Mit dieser ungewohnt langen Rede für ihre Verhältnisse verschwand die Haushälterin wieder.

      In aller Eile kleidete Steffiney sich an und lief dann hinunter, um Prudles reichhaltiges Frühstück zu genießen. Während sie sich über Toast, Eier mit Speck und Pancakes hermachte, berichtete Prudle, dass Mr. Charlie bereits unterwegs nach Green Hollow war, um ihre Angelegenheiten zu regeln.

      Miss O'Brian blieb fast das Frühstück im Hals stecken, aber Prudle ließ mit keinem Blick oder Wort erkennen, dass sie wusste, worum es sich bei diesen „Angelegenheiten“ handelte. Nachdem die Haushälterin sich vergewissert hatte, dass nichts von ihrem großzügigen Frühstück übrig geblieben war, scheuchte sie den jungen Gast aus der Küche. Sie wollte nichts davon hören, als Miss O'Brian ihre Hilfe beim Geschirr spülen anbot. Die Missy solle lieber eins von den Büchern lesen oder Klavier spielen, wenn sie das konnte. Beides würde sie im Salon finden.

      Nur ungern ließ Steffiney die alte Frau mit dem Geschirr allein, doch da Prudle anscheinend wirklich lieber für sich war und ihre Arbeit nicht teilen wollte, verschwand sie schließlich in den Salon. Das Wort Klavier war Musik in ihren Ohren. Wie lange hatte sie schon nicht mehr die Tasten eines solchen Instrumentes unter ihren Fingern gefühlt?

      Zu ihrer Freude fand sie ein erstklassiges Instrument, das perfekt gestimmt war, vor. Selbst Noten lagen auf dem Deckel. Einige irische und schottische Volkslieder, Tanzmusik und sogar etwas Klassik. Alles, was ihr Herz begehrte.

      Fast ehrfürchtig klappte die junge Frau den Deckel auf und ließ ihre Finger vorsichtig über die Tasten wandern. Erst zögerlich, doch bald fanden ihre Hände die alte Sicherheit wieder und der Vormittag flog mit den irischen Volksliedern, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte, nur so dahin.

      Ohne dass sie es bemerkte, hatte Miss O'Brian allerdings einen Zuhörer bekommen. Luke Sullivan stand in der Tür und lauschte der Musik halb erstaunt, halb erfreut. Das Instrument hatte seiner Mutter gehört, die eine leidenschaftliche Spielerin gewesen war. Allerdings hatte Prudence Sullivan nicht die Hälfte von Miss O'Brians Talent besessen und mit mehr Inbrunst als Können gespielt. Er war überrascht über die Fähigkeiten des unerwünschten Gastes und für eine Weile hörte er ihr einfach nur zu. Als ihm jedoch klar wurde, dass ihm sowohl der Anblick als auch die Musik nicht zuwider waren, räusperte er sich.

      Die Musik brach abrupt ab, als Miss O'Brians Finger von den Tasten fielen und sie fuhr herum. Offensichtlich hatte sie sich erschreckt, so tief war sie in ihr Spiel versunken gewesen. Als sie allerdings sah, wer sie gestört hatte, verfinsterte sich ihre Miene augenblicklich.

      „Es tut mir leid, aber Mrs. Prudle sagte mir, ich könne ruhig etwas spielen. Ich hätte das