Anna Staub

Die bestellte Braut


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sicher zu sein, ob er sich für sein unerwartetes Auftauchen entschuldigen oder es ihr übelnehmen sollte, dass sie am Klavier seiner Mutter saß, als würde es ihr gehören.

      „Charlie ist mit Neuigkeiten zurück. Mein Vater bat mich, Ihnen zu sagen, dass Sie ihn in der Scheune finden.“ Luke Sullivan klang nicht unfreundlich, aber Steffiney war nach der gestrigen Beleidigung nicht gewillt, Milde walten zu lassen. Zumindest nicht ohne Entschuldigung von ihm.

      So legte sie wortlos die Noten zusammen, schloss den Klavierdeckel und ging an ihm vorbei nach draußen. Sie würde diese Scheune auch ohne seine Hilfe finden.

      Allerdings hatte sie die Rechnung ohne den Sendboten gemacht. Auf seinen langen Beinen war es Luke ein Leichtes sie einzuholen. Doch auch er verschwendete keine weiteren Worte, als sie Seite an Seite zu einer der Scheunen gingen. Er öffnete das Holztor etwas weiter für sie und ließ sie dann eintreten, bevor er ihr folgte.

      Im Inneren herrschte ein angenehmes Zwielicht. Charlie war gerade damit beschäftigt, ein Pferd auszuspannen und ihre Reisetruhe von einem kleinen Vehikel zu bugsieren. An eine der Pferdeboxen gelehnt stand Mr. Sullivan, der seinem jüngsten Sohn bis eben aufmerksam gelauscht hatte und einige Papiere in seiner Hand betrachtete.

      Als Luke und Steffiney die Scheune betraten, schaute er lächelnd auf. Doch die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren trotz des Dämmerlichts deutlich zu sehen. „Miss O'Brian, ich hoffe, Sie haben eine angenehme Nacht gehabt und fühlen sich wohl bei uns.“

      Sie bedankte sich, doch fragte ohne Umschweife nach den Nachrichten aus Boston. Steffiney wollte nicht unhöflich sein, doch das war es doch, was sie alle interessierte. Aus keinem anderen Grund würde Luke Sullivan sie hierher begleitet haben.

      „Nun, Miss O'Brian, Charlie hat in der Tat nach Boston telegrafiert. Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass er Smiths Eheanbahnungsinstitut für Heiraten in den Westlichen Territorien nicht… erreichen konnte.“

      Sofort kam aus Luke Sullivans Richtung ein Schnauben. Für ihn schien diese Eröffnung keine Überraschung zu sein. Umso mehr aber für Miss O'Brian.

      „Was meinen Sie bitte damit, dass er das Institut nicht erreichen konnte? Ich habe Ihnen doch die Unterlagen mit der Adresse gegeben!“, fuhr sie verwirrt auf.

      Mr. Sullivan nickte bedächtig mit dem Kopf. „Ja Miss O'Brian, das haben Sie. Nur leider konnte man das Büro dieser Heiratsagentur nicht ausfindig machen. Genausowenig wie einen Mr. Smith. Es waren unter der Adresse nur ein paar leere Lagerräume zu finden.“

      Steffiney traute ihren Ohren nicht. Sie war doch selbst dort gewesen! Wie konnte nur… Im nächsten Augenblick wurde ihr klar, was Mr. Sullivan jetzt von ihr denken musste. Genau das Gleiche wie sein ältester Sohn. Er würde sie postwendend auf die Straße setzen!

      Plötzlich begann sich alles um sie herum zu drehen, und noch bevor sie etwas dagegen tun konnte, knickten ihre Knie ein. Von irgendwoher hörte sie Mr. Sullivans Stimme, die etwas rief, doch der schwache Moment dauerte nicht lange. Wenige Augenblicke später war Miss O'Brian wieder Herrin ihrer Sinne. Und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie nicht wie erwartet auf dem Boden lag. Sie saß auf ihrer Reisetruhe und vor ihr knieten Mr. Sullivan und Charlie.

      Allerdings waren beide in dem Augenblick, als ihr schwindlig geworden war, zu weit entfernt gewesen, um sie auffangen zu können. Sie warf einen misstrauischen Blick zu Luke, der in einiger Entfernung an einem Holzpfosten lehnte und sie eingehend betrachtete.

      „Geht es wieder, Miss O'Brian?“, fragte der alte Herr besorgt und rieb ihre Hände zwischen den seinen.

      „Ja, danke. Ich… Es tut mir leid, es ist nur… Ich war selbst dort gewesen. Sie müssen mir glauben.“ Ihre Stimme klang jetzt eindeutig verzweifelt, doch Charles Sullivan lächelte sie immer noch freundlich, wenn auch besorgt an.

      „Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Glaubwürdigkeit. Charlie hat sich an das Magistrat der Stadt Boston gewandt. Ich fürchte, Miss O'Brian, Sie sind auf einen Betrüger hereingefallen.“

      Mr. Sullivan machte eine kurze Pause, um zu sehen, wie sein ungewöhnlicher Gast die Nachricht aufnahm. Doch es schien kein zweiter Schwächeanfall in Sicht und so fuhr er fort.

      „Eine derartige Agentur wurde in Boston nie offiziell verzeichnet. Das Magistrat teilte Charlie mit, dass sie in den letzten Tagen mehrere solcher und ähnlicher Anfragen erhalten hätten. Miss O'Brian, es sieht ganz so aus, als hätte dieser Mr. Smith sich als Heiratsvermittler ausgegeben, junge Damen mit Adressen im Westen versorgt und die Gebühr kassiert. Sobald er alle seine Kundinnen auf diese Weise aus der Stadt gebracht hatte, hat er ganz offensichtlich mit ihrem Geld das Weite gesucht. Wenn Sie es sehen wollen, ich habe das Telegramm des Magistrats hier.“ Mit einem bedauernden Blick erhob sich Charles Sullivan wieder aus seiner knienden Position.

      Sehr langsam streckte Miss O'Brian ihre Hand nach dem Blatt Papier aus und las still Wort für Wort. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte. Kein Eheanbahnungsinstitut, keine Hochzeit, kein Geld, keine Möglichkeit wenigstens ihre Ausgaben zurückzubekommen.

      Sie hatte keine Verwandten, die ihr hätten helfen können und ihre Eltern waren tot. Die wenigen Freunde, die sie in Boston gehabt hatte, würden ihr nie im Leben mit einer entsprechenden Summe aushelfen können, um die Rückreise zu finanzieren. Und selbst wenn, was sollte sie dort? Sie hatte keine Unterkunft mehr, kein Auskommen und keine Arbeit. Hier oder dort, sie stand vor dem Nichts.

      „Aber…“, flüsterte die junge Frau schließlich heiser. „Aber wie… Ich meine, Ihre Adresse… Wie konnte er wissen, dass es Sie…“ Es war offensichtlich, dass Miss O'Brian sich an den letzten Strohhalm klammerte, den sie sah.

      Charles Sullivan klopfte ihr sanft auf die Schulter, schüttelte aber den Kopf. „Ein Blick in die entsprechenden Register hier im Westen reicht, um ein paar glaubwürdige Namen und oberflächliche Informationen, die einer ersten Prüfung standhalten, zu finden. Vielleicht tröstet es Sie, dass Sie nicht als Einzige auf diesen sauberen Mr. Smith hereingefallen sind. Es konnte wirklich niemand ahnen.“

      Doch Miss O'Brian schien, zumindest vorerst, keinen Trost in dieser Tatsache zu finden. Während das Telegramm aus ihren Händen zu Boden glitt, wanderte ihr Blick zu Luke Sullivan. Wenn er bis eben noch gedacht hatte, dass sie eine Betrügerin war, so musste er sie jetzt für ein naives Dummchen halten. Und sie wusste nicht, was schlimmer war.

      Sucht Doc Dave eigentlich noch einen Assistenten?

      Charles Sullivan Sr. hatte natürlich darauf bestanden, dass Steffiney bis auf weiteres in seinem Haus zu Gast blieb. Und die junge Frau war von den Neuigkeiten viel zu mitgenommen, um sich großartig zu wehren. Allerdings mussten die restlichen zwei Sullivans sich noch gedulden, bis sie endlich ihren neuen Hausgast kennenlernen sollten.

      Miss O'Brian verbrachte einen weiteren Abend auf ihrem Zimmer und diesmal mit wirklichen und nicht mit vorgetäuschten Kopfschmerzen. Die Sorgen und die Tränen waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen und so kam es, dass sie bereits bei Einbruch der Dunkelheit im Bett lag.

      Das war die dümmste Idee, auf die sie je gekommen war. Wie hatte sie nur all ihr Geld in so eine sinnlose Reise stecken können, zu einem Mann, den sie noch nicht einmal kannte? Was war nur mit ihr los gewesen?

      Steffiney konnte es nicht verhindern, dass sie wieder zu weinen anfing. Wer sich dermaßen kurzsichtig benahm, der hatte auch nichts anderes verdient.

      Sie saß in einer fremden Stadt fest, tausende Kilometer von daheim entfernt und ohne einen Penny. Sie war völlig von dem Wohlwollen fremder Leute abhängig.

      Es musste schon auf Mitternacht zugehen, als sie die schweren Männerschritte die Treppe hinaufkommen hörte, ein raues Lachen irgendwo nebenan, Gute-Nacht-Grüße und Türenklappen. Und sie war immer noch wach.

      In den letzten Stunden hatte sie in ihrem Kopf alle Möglichkeiten durchgespielt, aber es blieb nur eine, mit der sie wirklich leben konnte. Sie musste ihr eigenes Geld verdienen.

      Im Geiste war sie noch