Anna Staub

Die bestellte Braut


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Es schien alles schief zu gehen, was nur schief gehen konnte auf dieser Reise in den Westen. Doch dann kam ihr eine einleuchtende Idee. Mr. Smiths Schreiben war sicherlich nicht das Einzige, der hier im Westen verloren ging.

      „Ich nehme an, dass die Nachricht von Mr. Smith nicht angekommen ist. Das erklärt natürlich alles! Mr. Smith von der Heiratsagentur in Boston schickt mich auf Ihre Annonce hin, Mr. Sullivan“, erklärte Steffiney mit einem Lächeln. Nachdem alle Unklarheiten nun eindeutig beseitigt waren, hatte Miss O'Brian ihre übliche Ruhe und freundliche Gelassenheit wiedergefunden. Doch wenn es nicht Luke Sullivans wütender Blick gewesen wäre, der ihr sagte, dass sie auch jetzt noch meilenweit von Klarheit in dieser Angelegenheit entfernt waren, dann hätte dies Mr. Sullivans nächster Satz getan.

      „Miss O'Brian, es tut mir aufrichtig leid, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen. Ich habe nirgendwo eine Heiratsannonce aufgegeben.“

      Warum sind Sie für heute nicht mein Gast?

      Allenfalls ein Badezuber mit eiskaltem Wasser, der sich über sie ergoss, hätte auf Steffiney eine ähnliche Wirkung haben können. Sie hatte all ihre Hoffnungen auf Charles Sullivan und die Black Creek Ranch gesetzt. Und nicht nur das. Sie hatte auch all ihr Geld, ihre letzten Ersparnisse, in diese Reise investiert. Und jetzt schien Mr. Sullivan nichts von der ganzen Sache wissen zu wollen.

      Aber das war doch nicht möglich! Mr. Smith hatte ihr doch alle Einzelheiten genannt. Ganz offensichtlich sogar die richtige Adresse, ganz zu schweigen von den Informationen über die Familie. Auch wenn sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen war.

      Hilfesuchend blickte sie erst zu Mr. Sullivan, dann zu dessen älteren Sohn. Doch während Ersterer ihr noch ein gewisses Mitgefühl entgegenbrachte, hatte der Zweite sich anscheinend schon einen Reim auf ihre Geschichte gemacht. Und keinen besonders schmeichelhaften.

      Bis eben hatte Luke Sullivan auf der Kante des Pinienholz-Schreibtisches gesessen, der in einer Ecke des Salons stand. Doch jetzt erhob er sich und kam auf Miss O'Brian zu. Aus ihrer sitzenden Perspektive erschien er ihr noch bedrohlicher als zuvor.

      „Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Miss: Verschwinden Sie. Ihr kleines Spielchen ist nur allzu durchsichtig, aber damit verschwenden Sie bei uns ihre Zeit!“ War Luke Sullivan anfangs nur etwas unfreundlich erschienen, so hatte seine Stimme jetzt eindeutig einen drohenden Unterton.

      „Bitte, ich verstehe nicht… Was meinen Sie mit Spielchen? Ich habe all mein Geld in diese Reise investiert, weil mir Mr. Smith…“ Miss O'Brian war inzwischen den Tränen nahe, doch selbst diese Tatsache konnte Luke Sullivan nicht milder stimmen. Ganz im Gegenteil, es schien seine Wut nur noch zu befeuern.

      „Jetzt tun Sie doch nicht so scheinheilig! Sie werden irgendwo gehört haben, dass mein Vater eine Menge Land besitzt und ein gutmütiger Mann ist. Und da haben Sie sich gedacht, Sie probieren hier mal ihr Glück. Wollen Sie nur ihre Reisekasse ein bisschen aufbessern oder haben Sie tatsächlich geglaubt, dass Sie ihm ein derart schlechtes Gewissen machen können, dass er sie heiratet? Es ist doch offensichtlich, dass Sie sich diese ganze Geschichte nur aus den Fingern saugen, Sie kleine Betrügerin!“ Der grollende Unterton in der Stimme des schwarzhaarigen Cowboys sprach Bände.

      Doch das Wort Betrügerin hatte auf Miss O'Brian einen seltsamen Effekt. Ihre Augen, die bis eben noch in Tränen geschwommen waren, bekamen mit einem Mal ein streitlustiges Funkeln. Auf ihrer Stirn bildete sich eine steile Zornesfalte und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Als hätte sie auf der Sitzfläche ihres Sessels einen Skorpion gefunden, sprang die zierliche Frau auf und baute sich mit in die Seiten gestemmten Armen vor Luke Sullivan auf. Die imposante Pose verlor etwas dadurch, dass sie wieder den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu schauen. Aber bei ihrem stahlharten Blick blieb sogar Charlie das Lachen im Halse stecken.

      „Ich habe nicht mein ganzes Geld in eine Reise von Boston nach Green Hollow, Colorado gesteckt, um mich hier von irgendeinem hinterwäldlerischen Ochsentreiber als Betrügerin beschimpfen zu lassen!“, fauchte sie. „Ich kann beweisen, dass ich von einem seriösen Institut hierher geschickt wurde und keine unlauteren Absichten verfolge.“

      Miss O'Brian holte aus ihrem Retikül einige zusammengefaltete Papiere, doch ihre zitternden Hände zeugten nur zu gut davon, dass sie ihr Pulver mit diesem Angriff eigentlich schon verschossen hatte. Ohne ihren Blick von Luke Sullivan abzuwenden, streckte sie Mr. Sullivan Sr. das Schreiben entgegen.

      Luke dagegen erdreistete sich tatsächlich, mit verschränkten Armen noch einen weiteren Schritt auf sie zuzutreten. Kaum ein Fingerbreit trennte die beiden Kontrahenten noch voneinander. Miss O'Brian war die mangelnde Distanz zwischen ihr und einem fremden Mann sichtlich unangenehm. Doch mit hochrotem Gesicht hielt sie ihren Posten und wich nicht einen Schritt zurück, als Luke knurrte: „Was wollen Sie mit diesen wahrscheinlich selbst hingeschmierten Wischen schon beweisen? Dass Sie, wie die meisten Ihrer Sorte, nicht mal die Regeln der Rechtschreibung beherrschen?“

      Doch noch bevor Miss O'Brian endgültig die Beherrschung verlieren konnte, schaltete sich Mr. Sullivan ein.

      „Luke, ich verbitte mir diese Frechheiten unserem Gast gegenüber!“ Seine feste Stimme und der Tonfall ließen erahnen, dass er absoluten Gehorsam erwartete und Luke wich schweigend zwei Schritte zurück. Ganz offensichtlich aber nur widerwillig. Anscheinend hätte er noch einiges mehr zu Miss O'Brian zu sagen gehabt.

      Mr. Sullivan indes faltete die Unterlagen wieder zusammen und reichte sie an Steffiney zurück. „Nun Miss O'Brian, diese Dokumente scheinen in der Tat echt zu sein und Sie sehen mir auch nicht wie eine Heiratsschwindlerin aus. Hätten Sie wirklich vor, sich mein Wohlwollen zu erschleichen, würden Sie meinen ältesten Sohn wohl kaum mit dem Titel eines hinterwäldlerischen Ochsentreibers bedacht haben.“

      Das Zwinkern in den Augen des älteren Herrn war das einzige Zeichen dafür, dass er Steffiney diese Beleidigung seines Erstgeborenen nicht übel nahm. Ganz im Gegenteil anscheinend.

      „Trotzdem kann ich mir nicht erklären, was passiert ist. Ich habe weder in Boston noch sonstwo eine Annonce aufgegeben. Ich habe mich seit dem Tod meiner Frau vor acht Jahren nie mit Heiratsgedanken getragen und tue es auch jetzt nicht. Es tut mir wirklich leid, dass Sie die weite Reise von der Ostküste hierher auf sich genommen haben, aber ich fürchte, Sie enttäuschen zu müssen.“

      Mit einem Mal schien jegliche Kampflust von Steffiney O'Brian abzufallen. Mit einer Hand vor den Augen ließ sie sich wieder auf ihren Sessel sinken.

      Wenn Charles Sullivan nicht den geringsten Wunsch verspürte sie zu heiraten, dann hatte sie ihre gesamte Existenz dafür geopfert, mutterseelenallein in einer fremden Stadt im Westen zu stranden. Sie hatte nicht einmal mehr genug Geld in der Tasche, um sich eine weitere Nacht im Green Hotel leisten zu können.

      Es dauerte einige Augenblicke, bis Steffiney ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte, doch dann erhob sie sich und streckte Mr. Sullivan die Hand entgegen. „Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte, Mr. Sullivan. Mr. Smith muss anscheinend ein schwerwiegender Fehler unterlaufen sein. Ich fürchte…“ Steffiney war sich selbst nicht ganz sicher, ob sie erst die aufsteigenden Tränen oder ihren Stolz herunterschlucken musste, bevor sie weitersprechen konnte. „Ich fürchte, ich muss Sie bemühen, mich in die Stadt zurückzubringen. Der Kutscher aus dem Mietstall hat sich vorhin sofort auf den Weg zurück gemacht.“

      Mr. Sullivan ergriff ihre Hand bereitwillig, ließ sie allerdings nicht nach einem kurzen Händedruck los. „Einer meiner Söhne wird Sie natürlich mit Vergnügen in die Stadt zurückbringen.“

      Charlie, der sich anscheinend freiwillig für diese Aufgabe zur Verfügung stellen wollte, wurde durch einen scharfen Blick seines Vaters Einhalt geboten. Dieser schien mit seiner Verabschiedung noch nicht am Ende zu sein.

      „Miss O'Brian, ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber sagten Sie nicht soeben, dass Ihre gesamten Ersparnisse in die Reise hierher geflossen sind?“ Er versuchte den gesenkten Blick der jungen Frau mit dem seinen einzufangen, doch er hatte keinen Erfolg. Die gewachsten Holzdielen erschienen seinem Gast anscheinend