George Eliot

Middlemarch


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jene Äußerung her. Ihr Frauen habt nie Sinn für eine unabhängige Haltung und für die Gesinnungen seines Mannes, der sich um nichts als um die Wahrheit kümmert und was dergleichen mehr ist. Und es gibt in der ganzen Grafschaft keine Gegend, wo engherzigere Gesichtspunkte herrschen, als gerade hier. Ich rede von keiner bestimmten Person, wissen Sie; aber Einer muß doch auch hier die unabhängige Richtung vertreten, und wer soll das tun, wenn ich es nicht tue?«

      »Wer? Nun, meinetwegen jeder beliebige Emporkömmling, der weder Familie noch Stellung hat. Leute von Rang sollten ihren Unabhängigkeitsunsinn zu Hause verzehren und nicht damit herumhökern. Und Sie, der Sie im Begriff stehen, Ihre Nichte – die ja so gut ist wie Ihre Tochter – an einen unserer besten Männer zu verheiraten! Es würde Sir James höchst unangenehm sein, es wäre auch wirklich zu hart für ihn, wenn Sie sich jetzt durch ein Aushängeschild als Whig bekennen wollten.«

      Herr Brooke seufzte wieder innerlich; hatte er doch, sobald Dorotheen's Verlobung eine beschlossene Sache war, sofort an die voraussichtlichen Spottreden Frau Cadwallader's gedacht! Mit den Verhältnissen unbekannte Beobachter hätten leicht sagen können: »Lassen Sie es doch auf einen Streit mit Frau Cadwallader ankommen«; aber wo wäre der Landedelmann, der sich gern in einen Streit mit seinen ältesten Nachbarn einließe. Wer hätte das feine Aroma, das in dem Namen Brooke lag, herauskosten können, wenn ihm derselbe zufällig wie Wein ohne Etikette entgegengebracht worden wäre? Sicherlich kann ein Mann nur bis zu einem gewissen Punkte Kosmopolit sein.

      »Ich hoffe, Chettam und ich werden immer gute Freunde bleiben, aber ich muß Ihnen leider sagen, daß wenig Aussicht zu seiner Heirat mit meiner Nichte vorhanden ist,« erwiderte Herr Brooke, der sich sehr erleichtert fühlte, als er durch das Fenster Celia kommen sah.

      »Warum denn nicht?« fragte Frau Cadwallader in einem scharfen Tone der Überraschung »Es sind ja kaum vier Tage her, daß Sie sich mit mir darüber unterhalten haben.«

      »Meine Nichte hat sich für einen anderen Bewerber entschieden – hat sich für ihn entschieden, wissen Sie. Ich habe nichts damit zu tun gehabt. Ich würde Chettam den Vorzug gegeben und geglaubt haben, daß Chettam ein Mann sei, für den sich jedes Mädchen, wenn es zu wählen hätte, entscheiden würde. Aber in diesen Dingen sind Mädchen ganz unberechenbar. Ihr Geschlecht ist launenhaft, wissen Sie!«

      »Nun, wer ist es denn, den Sie sie heiraten lassen wollen?« Frau Cadwallader ließ die möglichen Bewerber um Dorotheen's Hand rasch vor ihrem geistigen Auge Revue passieren.

      Aber in diesem Augenblick trat Celia, deren frisches Aussehen durch einen Spaziergang im Garten noch erhöhet war, ein, und ihre Begrüßung mit Frau Cadwallader überhob Herrn Brooke der Notwendigkeit, die Frage der Letzteren sogleich zu beantworten. Er stand auf und wackelte mit den Worten: »Da fällt mir ein, ich muß noch mit Wright über die Pferde sprechen,« rasch zum Zimmer hinaus.

      »Mein liebes Kind, was ist denn das für eine Geschichte mit der Verlobung Ihrer Schwester,« fragte Frau Cadwallader die eben eingetretene Celia.

      »Sie ist mit Herrn Casaubon verlobt,« antwortete Celia, welche sich über die Gelegenheit, die Frau Pfarrerin allein sprechen zu können, freute, indem sie sich nach ihrer Gewohnheit auf eine einfach tatsächliche Angabe beschränkte.

      »Das ist ja schrecklich! wie lange ist denn die Sache schon im Gange?«

      »Ich habe erst gestern etwas davon erfahren. Die Hochzeit soll in sechs Wochen sein.«

      »Nun, mein liebes Kind, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem neuen Schwager.«

      »Es tut mir so leid um Dorothea.«

      »Leid? Ich denke doch, es ist ihre eigene freie Wahl.«

      »Ja, sie sagt, Herr Casaubon habe eine große Seele.«

      »Das will ich gern zugeben.«

      »O, Frau Cadwallader, ich kann es mir nicht angenehm vorstellen, einen Mann mit einer großen Seele zu heiraten.«

      »Nun, mein Kind, lassen Sie sich das als Warnung dienen. Sie wissen jetzt, wie ein Mann mit einer großen Seele aussieht; wenn nun noch einer kommt und Sie heiraten will, so lehnen Sie seinen Antrag ab.«

      »Das würde ich ganz gewiß tun.«

      »Nein wahrhaftig; Einer von der Sorte in der Familie ist ganz genug. Ihre Schwester hat sich also nie etwas aus Sir James Chettam gemacht? Wie würde der Ihnen als Schwager gefallen haben?«

      »O sehr gut. Ich bin überzeugt, der würde ein guter Ehemann geworden sein. Nur,« fügte Celia mit einem leichten Erröten hinzu, – bisweilen schien sie das bloße Atmen erröten zu machen, – »nur glaube ich nicht, daß er für Dorothea gepaßt haben würde.«

      »Nicht hochtrabend genug für sie, wie?«

      »Dora ist sehr streng in ihrem Urteile. Sie denkt über Alles soviel nach und nimmt es so genau mit jedem Worte, das Jemand spricht. Sir James schien ihr nie zu gefallen.«

      »Sie muß ihn aber doch ermutigt haben, und das macht ihr nicht grade sehr viel Ehre.«

      »Bitte, seien Sie nicht böse auf Dora, sie sieht ja die Dinge nicht wie ein anderer Mensch. Sie hat sich so viel mit den Arbeiterwohnungen beschäftigt und war doch bisweilen förmlich grob gegen Sir James; aber er ist so gut, er nahm nie Notiz davon.«

      »Nun,« sagte Frau Cadwallader, indem sie ihren Schal wieder umnahm und aufstand, als ob sie eilig sei, »ich muß gradeswegs zu Sir James und ihm diese Nachricht mitteilen. Er wird eben mit seiner Mutter nach Hause zurückgekehrt sein, da muß ich einen Besuch machen. Ihr Onkel würde es ihm nie sagen. Die Sache ist für uns Alle eine große Enttäuschung, mein liebes Kind. Junge Leute sollten beim Heiraten auch ein wenig an ihre Familien denken. Ich selbst habe ein schlechtes Beispiel gegeben, als ich einen armen Geistlichen heiratete und mich zu einem Gegenstande des Mitleids für die de Bracys machte, – in meiner kümmerlichen Lage, wo ich genötigt bin, mir meine Kohlen durch eine Kriegslist zu verschaffen und den Himmel um mein Salatöl zu bitten. Indessen Casaubon hat Geld genug, die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen. Was seine Herkunft anlangt, so besteht sein Familienwappen, glaube ich, aus drei Tintenfischen auf schwarzem Grunde und einem aufrechtstehenden Kommentator. Beiläufig, liebes Kind, ehe ich fortgehe, muß ich mit Ihrer Frau Carter über Pastetenteig reden. Ich möchte meine junge Köchin zu ihr schicken, damit sie etwas von ihr lerne. Arme Leute mit vier Kindern, wie wir, wissen Sie, können keine gute Köchin halten. Frau Carter tut mir das gewiß zu Gefallen. Sir James' Köchin ist ein wahrer Drache.«

      In weniger als einer Stunde hatte Frau Cadwallader Frau Carter für sich gewonnen und war zu Sir James Chettam nach Freshitt Hall gefahren, welches nicht weit von ihrer eigenen Wohnung entfernt lag, da ihr Mann sein Domizil in Freshitt hatte und sich in Tipton einen Vikar hielt.

      Sir James Chettam war von seiner mehrtägigen Reise grade zurückgekehrt und hatte eben Toilette gemacht, um nach Tipton-Hof hinüberzureiten. Sein Pferd stand schon gesattelt vor der Tür, als Frau Cadwallader vorfuhr, und er selbst erschien sofort, die Peitsche in der Hand. Lady Chettam war noch nicht zurückgekehrt; aber Frau Cadwallader konnte sich ihrer Mission nicht in Gegenwart des Reitknechts entledigen; sie bat Sir James daher, sie in das dicht bei dem Hause befindliche Treibhaus zu bringen, wo sie sich die neuen Pflanzen ansehen möchte, und hier sagte sie, indem sie tat, als ob sie die Blumen in Augenschein nehme:

      »Ich habe Ihnen eine schlimme Nachricht mitzuteilen; ich hoffe, Sie sind nicht ganz so verliebt, wie Sie es mich glauben machen wollen.«

      An die eigentümliche Ausdrucksweise Frau Cadwallader's war Sir James schon gewöhnt. Aber ihre jetzige Anrede brachte ihn doch ein wenig aus der Fassung. Er konnte sich einer vagen Besorgnis nicht erwehren.

      »Ich fürchte, Brooke wird sich schließlich doch noch bloß stellen. Als ich ihm grade ins Gesicht sagte, er habe die Absicht, sich als Kandidat der Liberalen für Middlemarch aufstellen zu lassen, machte er eine verlegene Miene, wagte es nicht zu leugnen und sprach von seiner unabhängigen Richtung, und was dergleichen bekannte abgeschmackte Redensarten mehr sind.«

      »Ist das Alles,« fragte Sir James aufatmend.