George Eliot

Middlemarch


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die Öffentlichkeit träte und sich zu einer Art von politischem Hansnarren machte?«

      »Sollte man ihm davon nicht abraten können? Ich glaube, er würde schon die damit verbundenen Kosten scheuen.«

      »Das habe ich ihm auch gesagt, an dieser verwundbaren Stelle kann man ihn noch am Besten fassen; bei Allem, was er sagt und tut, kommt ja immer auf einen Gran gesunden Menschenverstand eine Unze Knickerei. Knickerei ist eine vortreffliche Familieneigenschaft; es gibt keinen besseren Ableiter gegen Verrücktheit als solche kleinen Verdrehtheiten. Und einen kleinen Sparren müssen sie doch Alle in der Brooke'schen Familie haben, sonst würden wir nicht erleben, was wir eben vor sich gehen sehen.«

      »Was? Daß Brooke sich als Kandidat für Middlemarch aufstellen läßt?«

      »Nein, etwas Schlimmeres. Ich fühle mich wirklich ein wenig verantwortlich. Ich habe Ihnen immer gesagt, Dorothea Brooke würde eine so schöne Partie für Sie sein. Ich wußte wohl, daß sie sehr viel Unsinn im Kopfe habe, verschrobene methodistische Ideen. Aber solche Dinge pflegen sich bei Mädchen bald abzunutzen. Dieses Mal aber bin ich selbst sehr überrascht.«

      »Was wollen Sie damit sagen, Frau Cadwallader,« fragte Sir James. Im ersten Moment fürchtete er, daß Dorothea fortgelaufen sein könne, um sich den Mährischen Brüdern oder einer anderen albernen in der guten Gesellschaft unbekannten Sekte anzuschließen, beruhigte sich aber dann wieder einigermaßen, als er sich erinnerte, daß Frau Cadwallader immer Alles im schlimmsten Lichte darzustellen pflege. »Was ist mit Fräulein Brooke geschehen? Bitte sprechen Sie es aus.«

      »Nun denn. Sie hat sich verlobt.« Frau Cadwallader hielt einen Augenblick inne und beobachtete den Ausdruck tiefer Enttäuschung auf dem Gesichte ihres Freundes, welcher seine Gefühle vergebens hinter einem nervösen Lächeln zu verbergen suchte, während er sich mit der Peitsche aus den Stiefel klopfte; sie fügte aber alsbald hinzu: »Verlobt mit Casaubon.«

      Sir James ließ seine Peitsche fallen und bückte sich, sie wieder aufzuheben. Vielleicht hatte sein Gesicht noch nie einen Ausdruck so konzentrierten Widerwillens gezeigt, als da er sich jetzt wieder an Frau Cadwallader wandte und wiederholte: »Casaubon?«

      »Ganz richtig. Sie kennen jetzt den Zweck meines Besuches.«

      »Guter Gott, das ist furchtbar, der Mensch ist ja eine wahre Mumie,« – ein Gleichnis, das man schon einem blühenden, enttäuschten Liebhaber zu Gute halten muß.

      »Sie sagt, er sei eine große Seele. – Ich sage, er ist eine große Schweinsblase, in der getrocknete Erbsen rasseln!« bemerkte Frau Cadwallader.

      »Was braucht denn ein solcher alter Junggeselle sich noch zu verheiraten?« sagte wieder Sir James. »Er steht ja schon mit einem Fuße im Grabe.«

      »Er scheint ihn aber wieder herausziehen zu wollen.«

      »Brooke sollte die Sache nicht zugeben; er sollte darauf bestehen, daß die Heirat wenigstens aufgeschoben würde, bis Dorothea mündig ist. Bis dahin würde sie auf vernünftigere Gedanken kommen. Wozu ist denn ein Vormund da?«

      »Als ob Brooke jemals zu einem Entschluss zu bringen wäre!«

      »Cadwallader könnte einmal mit ihm reden.«

      »Der, nein! Humphrey findet alle Menschen charmant. Ich kann ihn nie dahin bringen, auf Casaubon zu räsonieren. Er spricht ja sogar gut vom Bischof, wenn ich ihm auch noch so viel sage, daß das für einen bepfründeten Geistlichen ganz unnatürlich ist; was kann man mit einem Manne anfangen, der so wenig Sinn für Schicklichkeit hat? Ich suche das so viel wie möglich wieder gut zu machen, indem ich selbst nach Herzenslust auf alle Menschen räsoniere. Kommen Sie, lassen Sie doch den Kopf nicht so hängen! Danken Sie doch Gott, daß Sie das Fräulein auf so gute Art los geworden sind, ein Mädchen, das von Ihnen verlangt haben würde, die Sterne am hellen Tage zu sehen! Unter uns, die kleine Celia ist zwei Dorotheen wert, und schließlich wahrscheinlich die bessere Partie. Denn die Heirat mit Casaubon ist ja so gut, als wenn Dorothea ins Kloster ginge.«

      »O denken Sie nicht an mich, ich habe nur das Interesse Fräulein Brooke's im Sinne, wenn ich die Ansicht ausspreche, daß ihre Freunde ihren Einfluß gegen die Heirat geltend machen sollten.«

      »Nun, Humphrey weiß noch nichts davon; aber Sie können sich darauf verlassen, daß, wenn ich es ihm erzähle, er sagen wird: ›Warum denn nicht? Casaubon ist ein guter Kerl und noch jung, völlig jung genug‹. Diese milden Charaktere merken nie den Unterschied zwischen Wein und Essig, bis sie diesen für jenen getrunken und die Kolik danach bekommen haben. Aber so viel weiß ich, wenn ich ein Mann wäre, würde ich Celien den Vorzug geben, – besonders wenn Dorothea nicht mehr zu haben wäre. Die Sache ist nämlich die, daß Sie der Einen den Hof gemacht und die Andere gewonnen haben. Glauben Sie mir, Celia verehrt Sie beinahe so sehr, wie ein Mann es nur immer wünschen kann. Wenn Ihnen das eine Andere als ich sagte, so könnten Sie es vielleicht für Übertreibung halten. Leben Sie wohl.«

      Sir James geleitete Frau Cadwallader an den Wagen und bestieg dann sein Pferd. Die unwillkommene Mitteilung seiner Freundin veranlaßte ihn nicht, auf seinen beabsichtigten Ritt zu verzichten, sondern nur eine andere Richtung als die nach Tipton-Hof einzuschlagen.

      Warum in aller Welt hatte sich Frau Cadwallader überhaupt so lebhaft für Dorotheen's Verlobung interessiert und warum hatte sie, nachdem das Zustandekommen einer Partie, zu welcher sie behilflich sein zu können geglaubt hatte, vereitelt war, sofort daran gedacht, eine andere Partie zu Wege zu bringen. Lag diesem Verfahren etwa ein schlau ersonnenes Komplott und ein verstecktes Manövrieren zu Grunde, welche bei genauer Beobachtung hätten entdeckt werden können? Durchaus nicht. Ein mit dem besten Fernrohre bewaffneter Beobachter, welcher Tipton und Freshitt, das ganze von Frau Cadwallader durchfahrene Gebiet, auf einmal hätte überschauen können, würde doch keinen Besuch, welcher den mindesten Verdacht erregen könnte, und keine Szene zu beobachten gehabt haben, von der sie nicht mit derselben ungetrübten Lebhaftigkeit des Auges und derselben Frische der Farben zurückgekehrt wäre.

      Wenn dieses bequeme Wägelchen in den Tagen der sieben Weisen schon existiert hätte, würde Einer derselben unzweifelhaft die Bemerkung gemacht haben, daß es die Erforschung des Charakters einer Frau nur wenig fördern könne, wenn man ihr bei ihren Fahrten in ihrem Ponywagen folge. Selbst bei der Betrachtung eines Wassertropfens durch ein Mikroskop begegnet es uns, in unserem Urteile fehl zu gehen; denn wenn wir z. B. durch eine schwache Linse zu sehen glauben, daß ein Tier mit einer aggressiven Gefrässigkeit zu Werke gehe, welcher andere kleinere Geschöpfe sich bereitwillig zum Opfer darbringen, als wären sie ebenso viele lebendige Tributpfennige, enthüllt eine stärkere Linse unserem Auge gewisse ganz feine Härchen, welche das Wasser in eine für die Opfer verderbliche wirbelnde Bewegung versetzen, während der Vielfraß ruhig die Einnahme des ihm zukommenden Tributs erwartet. Auf diese Weise werden wir, bildlich gesprochen, wenn wir eine starke Linse auf Frau Cadwallader's Ehevermittlungstätigkeit anwenden, ein Spiel kleiner Ursachen erkennen, deren Wirkungen wir als die Gedankens und Redewirbel bezeichnen können, aus denen sie die Art von Nahrung schöpfte, deren sie bedurfte.

      Ihr Leben verlief im Ganzen einfach, ohne verderbliche oder sonst irgendwie bedeutsame Geheimnisse zu bergen und ohne bewußter Weise von den großen Angelegenheiten der Welt berührt zu werden; desto lebhafter interessierten sie die Angelegenheiten der großen Welt, wie sie ihr gelegentlich in Briefen vornehmer Verwandten mitgeteilt wurden. Die Art, wie bezaubernd liebenswürdige jüngere Söhne sich durch eine Ehe mit ihren Maitressen zu Grunde gerichtet hatten; die Schwachköpfigkeit des jungen, einer uralten Familie angehörenden Lord Tapir und die Wutanfälle des gichtischen alten Lord Megatherium; die Kreuzung der Stammbäume, durch welche eine Grafenkrone einem neuen Zweige zugefallen war und dadurch dem Skandal neue Nahrung geboten hatte, – das waren Gegenstände, deren Einzelheiten Frau Cadwallader haarklein im Gedächtnisse behielt und in vortrefflichen kleinen Epigrammen wieder an den Mann zu bringen verstand, Gegenstände, welche ihr selbst um so größeres Vergnügen machten, je fester sie von dem Werte einer vornehmen Abkunft durchdrungen war.

      Nie würde sie Jemanden seiner Armut wegen verleugnet haben; ein de Bracy, der durch Dürftigkeit genötigt gewesen wäre, aus einer zinnernen Schüssel zu essen, würde ihr als ein edler Dulder