George Eliot

Middlemarch


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ich möchte, daß Sie mit Brooke deswegen redeten.«

      Sir James erhob sich bei diesen Worten, denn er sah Frau Cadwallader aus dem Studierzimmer eintreten. Sie hielt ihre jüngste fünfjährige Tochter an der Hand; das Kind lief sogleich zu seinem Papa, und machte sich's auf dessen Schoße bequem.

      »Ich höre, wovon Sie sprechen,« fing Frau Cadwallader an. »Aber Sie werden keinen Eindruck auf Humphrey machen. So lange nur die Fische auf seinen Köder anbeißen, sind ihm alle Leute recht. Ich bitte Sie, Casaubon hat einen Forellenbach, und verlangt nicht einmal, selbst darin zu fischen: Kann es einen bessern Menschen geben?«

      »Nun, das hat etwas Wahres,« sagte der Pfarrer, indem er wieder ruhig in sich hinein lachte. »Es ist eine sehr lobenswerte Eigenschaft eines Mannes einen Forellenbach zu besitzen.«

      »Aber ernsthaft,« bemerkte Sir James, der seinen Verdruss noch nicht ganz verwunden hatte. »Glauben Sie nicht, daß der Pfarrer, wenn er mit Brooke spräche, etwas Gutes bewirken könnte?«

      «O, ich habe Ihnen ja vorher gesagt, was er sagen würde,« antwortete Frau Cadwallader, indem sie ihre Augenbrauen in die Höhe zog. »Ich habe getan was ich konnte, ich wasche meine Hände in Unschuld.«

      «Erstens,« sagte der Pfarrer, der jetzt ziemlich ernst aussah, »wäre es Unsinn zu glauben, daß ich Brooke zu überzeugen und zu einem entsprechenden Handeln zu bewegen vermöchte. Brooke ist ein sehr guter Kerl, aber breiweich; man kann ihn in jede Form hineingießen, aber er behält keine feste Gestalt.«

      »Vielleicht würde er aber doch lange genug Gestalt behalten, um einen Aufschub der Heirat durchzusetzen,« entgegnete Sir James.

      »Aber, mein lieber Chettam, warum soll ich denn meinen Einfluß zum Nachteil Casaubon's geltend machen, so lange ich mich nicht viel fester als es in der Tat der Fall ist, davon überzeugt halte, daß ich damit zum Vorteil von Fräulein Brooke handeln würde. Ich weiß nichts Übles von Casaubon. Was kümmert mich sein Xisuthrus, und all der gelehrte Krimskrams! Aber er kümmert sich ja auch nicht um mein Fischgerät. Seine Haltung in der katholischen Frage hatte allerdings etwas Überraschendes; aber er ist immer höflich gegen mich gewesen, und ich sehe nicht ein, warum ich ihm seinen Spaß verderben soll. Wer weiß ob Fräulein Brooke nicht glücklicher wird mit ihm, als mit irgend einem andern Manne.«

      »Es ist aber wirklich nicht mit Dir auszuhalten, Humphrey, Du weißt doch auch recht gut, daß Du lieber unter den Hecken am Wege, als mit Casaubon allein zu Mittag essen möchtest. Ihr wißt ja kein Wort mit einander zu reden.«

      »Was hat das mit seiner Verheiratung mit Fräulein Brooke zu tun? Sie heiratet ihn doch nicht zu meiner Unterhaltung.«

      »Er hat ja kein ordentliches rotes Blut in den Adern,« bemerkte Sir James.

      »Nein,« fuhr Frau Cadwallader fort, »es hat einmal Jemand einen Tropfen seines Bluts unter ein Vergrößerungsglas gebracht, und da zeigte sich's, daß der Tropfen nur aus Semikolons und Parenthesen bestand.«

      »Warum läßt er nicht lieber sein Buch erscheinen, anstatt zu heiraten,« sagte wieder Sir James mit einem Ausdruck des Widerwillens, zu dem er sich als Laie vollkommen berechtigt glaubte.

      »Er träumt von nichts, als von den Anmerkungen zu seinem Texte und in diese Anmerkungen steckt er all sein bisschen Verstand. Sie erzählen, daß er schon als kleiner Junge einen Auszug aus: ›Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp!‹ gemacht habe und seitdem hat er sein Leben damit zugebracht, Auszüge zu machen. Hu! Und das ist der Mann, von dem Humphrey sich nicht zu sagen scheut, daß eine Frau mit ihm glücklich werden könne«

      »Nun, Fräulein Brooke gefällt er aber doch,« entgegnete der Pfarrer, »ich maße mir nicht an, den Geschmack jedes jungen Mädchens zu begreifen.«

      »Aber, wenn es nun Ihre eigne Tochter wäre,« fragte Sir James.

      »Das wäre etwas ganz Anderes. Sie ist aber nicht meine Tochter und ich fühle mich nicht berufen, mich in die Sache zu mischen. Casaubon ist so gut, wie die meisten von uns. Er ist ein gelehrter Geistlicher und eine Zierde seines Standes. Einer von den radikalen Kerlen sagte in seinem Wahlredegeschwätz in Middlemarch: Casaubon sei der gelehrte, strohdreschende Pfründner, Freeke der Kalk- und Backstein-Pfründner und ich der angelnde Pfründner. Und ich gebe Euch mein Wort, ich kann nicht finden, daß einer von uns besser oder schlechter ist als der Andere.«

      Und dabei lachte der Pfarrer wieder auf seine Weise in sich hinein. Er war immer empfänglich für jedes auf ihn selbst gemünzte Witzwort. Sein Gewissen war, wie Alles an ihm, weit und bequem; es hieß ihn nur das tun, was ihn in seinem Behagen nicht störte.

      Es war also klar, daß auf keinerlei Schritte von Seiten Cadwallader's in der Heiratsangelegenheit des Fräulein Brooke zu rechnen war, und Sir James mußte sich betrübten Herzens darein ergeben, daß Dorothea in der Verkehrtheit ihrer Entschlüsse von Niemandem gestört werden würde. Es zeugte von der Trefflichkeit seines Charakters, daß er in seiner Absicht, Dorotheen's Arbeiterwohnungsplan zur Ausführung zu bringen, durchaus nicht lauer wurde. Unzweifelhaft war dieses Beharren das Beste, was er im Interesse seiner eignen Würde tun konnte, aber der Stolz kann uns nur in edlen Handlungen bestärken, nicht sie hervorrufen, so wenig wie die Eitelkeit uns dazu verhelfen kann, witzig zu sein.

      Dorothea war jetzt hinreichend über Sir James' Verhältnis zu ihr aufgeklärt, um die Rechtschaffenheit seines Beharrens bei der Erfüllung der Pflicht eines Gutsbesitzers würdigen zu können, zu welcher er sich anfänglich durch den Wunsch sich einem geliebten Mädchen gefällig zu erweisen, veranlaßt gesehen hatte, und ihre Freude über diese Ausdauer war so groß, daß sie selbst durch ihr gegenwärtiges Glück nicht ganz in den Hintergrund gedrängt wurde. Sie widmete den Arbeiterwohnungen Sir James noch immer alles Interesse, welches nicht durch Casaubon, oder vielmehr durch die Sphärenmusik hoffnungsvoller Träume, bewundernden Vertrauens und leidenschaftlicher Selbstaufopferung, deren Klänge jetzt in ihrer Seele ertönten, in Anspruch genommen war.

      So geschah es, daß der gute Baronet bei seinen öfteren Besuchen, während er Celien kleine Aufmerksamkeiten zu erweisen anfing, mehr und mehr Vergnügen daran fand, sich mit Dorotheen zu unterhalten. Sie war jetzt in ihrem Benehmen gegen ihn ganz zwanglos und ohne alle Gereiztheit, und er kam allmählich zum Bewusstsein des Genusses, welchen der offen herzliche, vertraute Verkehr eines Mannes und einer Frau gewährt, die einander keine Leidenschaft weder zu bekennen, noch zu verbergen haben.

      9

      1st Gent. An ancient land in ancient oracles

      Is called »law-thirsty«: all the struggle there

      Was after order and a perfect rule.

      Pray, where lie such lands now? …

      2nd Gent. Why, where they lay of old – in human souls.

      Casaubons Benehmen in Betreff des Ehekontrakts war derart, daß es Herrn Brooke in hohem Grade befriedigte, und die der Heirat vorausgehenden Verhandlungen gingen so glatt von Statten, daß die Zeit des Brautstandes dadurch noch abgekürzt wurde. Die Braut mußte ihr künftiges Daheim in Augenschein nehmen, und alle die Veränderungen bestimmen, welche sie darin vorgenommen zu sehen wünschte. Ein Mädchen gebietet vor der Heirat, damit es sich nachher desto besser in die ihm obliegende Ergebung finde. Die Missgriffe, welche wir Sterblichen, Männer und Frauen, begehen, wenn wir in der Lage sind, ganz nach unserem Willen zu handeln, wären fürwahr geeignet, es auffallend erscheinen zu lassen, daß wir ein unbehindertes Schalten so sehr lieben.

      An einem grauen, trockenen Novembermorgen fuhr Dorothea in Gesellschaft ihres Onkels und Celien's nach Lowick. Casaubon wohnte im Herrenhause. Dicht dabei, und von einigen Teilen des Gartens aus sichtbar, lag die kleine Kirche, und ihr gegenüber das alte Pfarrhaus. Im Beginne seiner Laufbahn hatte Casaubon nur die Pfarre inne gehabt, aber der Tod seines Bruders hatte ihn auch in den Besitz des Gutes gesetzt. Zu demselben gehörte ein kleiner Park, mit einzelnen schönen Eichen, und einer in der Richtung der Südwestfront des Hauses gelegenen Lindenallee; Garten und Park waren durch einen niedrigen Zaun getrennt, so daß der Blick vom Wohnzimmer aus ununterbrochen über eine