George Eliot

Middlemarch


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sei, und hoffte, daß diese Deutlichkeit ihrer Handschrift noch einmal Herrn Casaubon's Augen zu Gute kommen werde. Drei Mal schrieb sie:

      »Lieber Herr Casaubon!

      Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie mich lieben und mich für würdig halten, Ihre Frau zu werden. Ich kann mir kein schöneres Glück denken, als ein mit Ihnen gemeinsam genossenes. Wenn ich noch mehr sagen wollte, würde es doch nur eine Umschreibung desselben Gedankens sein können; denn ich kann jetzt keinen andern Gedanken fassen, als daß es mir vergönnt sein möge, mein Leben lang zu sein

      Ihre Ihnen ganz ergebene

      Dorothea Brooke«

      Später am Abend ging sie zu ihrem Onkel in die Bibliothek und gab ihm den Brief mit der Bitte, denselben am nächsten Morgen zu lesen. Er war überrascht; aber seine Überraschung äußerte sich nur in einem minutenlangen Schweigen, während dessen er verschiedene Gegenstände auf seinem Schreibtische hin und her schob; schließlich stellte er sich mit dem Rücken gegen das Kamin und betrachtete durch seine Lorgnette die Adresse von Dorotheen's Brief.

      »Hast Du das reiflich erwogen, liebes Kind?« fragte er endlich.

      »Es bedurfte da keines langen Erwägens, lieber Onkel, ich wüßte nicht, was mich schwankend machen sollte. Es müßte etwas ganz Außerordentliches und mir völlig Neues sein, das mich bestimmen könnte, meinen Sinn zu ändern.«

      »Du hast also seinen Antrag angenommen? Chettam hat also gar keine Aussicht? Hat Chettam Dich beleidigt, – beleidigt, weißt Du? Was mißfällt Dir denn an Chettam?«

      »Mir gefällt nichts an ihm!« erwiderte Dorothea etwas ungestüm.

      Herr Brooke fuhr mit Kopf und Schultern zurück, als ob Jemand mit einem leichten Wurfgeschoß nach ihm gezielt hätte.

      Dorothea machte sich sofort Vorwürfe über ihre Äußerung und sagte: »Ich rede natürlich nur in Bezug auf eine Heirat. Ich halte ihn für sehr gut, wirklich sehr brav in Betreff der Arbeiterwohnungen. Er ist ein wohlmeinender Mann.«

      »Aber Du mußt einen Gelehrten und so etwas haben? Nun, es liegt ein wenig in unserer Familie. Ich habe selbst daran laboriert, an dieser Vorliebe für Kenntnisse und dieser Neigung, sich mit Allem zu befassen: es führte mich ein wenig zu weit; aber bei Frauen kommt so etwas eben nicht oft vor, oder es bleibt doch verborgen wie die Flüsse in Griechenland, weißt Du – Es tritt mehr bei Söhnen hervor; begabte Mütter haben begabte Söhne. Ich habe mich meiner Zeit viel damit abgegeben. Indessen, habe ich immer gesagt, liebes Kind, daß die Menschen in diesen Dingen bis zu einem gewissen Punkte nach ihrem freien Ermessen handeln müssen. Zu einer schlechten Partie würde ich als Dein Vormund meine Zustimmung nicht haben geben können. Aber Casaubon ist ein angesehener Mann und hat eine gute Stellung. – Ich fürchte, Chettam wird sich doch verletzt fühlen und Frau Cadwallader wird mich tadeln.«

      An diesem Abende wußte Celia natürlich noch nichts von dem, was vorgefallen war. Sie schrieb Dorotheen's zerstreutes Wesen und ihre verweinten Augen der schlechten Stimmung zu, in welche sie das Gespräch über Sir James Chettam und die Wohnungen versetzt hatte, und hütete sich sorgfältig, ihr durch irgend etwas Anstoß zu geben. Wenn Celia einmal das, was sie sich zu sagen für verpflichtet hielt, ausgesprochen hatte, liebte sie es nicht, auf unangenehme Gegenstände zurückzukommen. Schon in ihrer frühsten Jugend war es ihre Art gewesen, sich nie zu zanken, sondern es nur verwundert mit anzuhören, wenn andere Kinder mit ihr zankten und dabei aussahen wie die Puterhähne; hatten sie sich dann wieder erholt, so war sie sofort bereit, wieder »Häuschen zu vermieten« oder sonst ein Spiel mit ihnen zu spielen. Und Dorothea vor Allem hatte von jeher etwas an den Äußerungen ihrer Schwester auszusetzen gehabt, obwohl Celia sich innerlich bewußt war, daß sie sich immer auf eine einfache Mitteilung von Tatsachen beschränke und nie auch nur den Versuch mache, eigene Gedanken auszusprechen. Das Beste an Dora aber war, daß sie nie lange böse blieb. Obgleich sie nach ihrem heutigen Wortwechsel den ganzen Abend kaum ein Wort mit einander gesprochen hatten und Celia nun ihre Handarbeit in der Absicht bei Seite legte, zu Bette zu gehen, wozu sie in der Regel zuerst aufbrach, sagte Dorothea, welche, zu jeder andern Arbeit unfähig, in Gedanken versunken auf einem niedrigen Sessel dasaß, in einem wohltuend melodischen Tone, wie er ihrer Stimme in Momenten tiefer Empfindung eigentümlich war, indem sie die Arme ausbreitete:

      »Komm, liebe Celia, gib mir einen Kuss!«

      Celia kniete nieder, um auf gleicher Höhe mit Dorotheen zu sein, der sie dann mit einem Spitzmündchen einen Kuss gab, während diese sie, mit ihren Armen sanft umschlang und sie ernst auf beide Wangen küßte.

      »Bleibe nicht lange aus, Dora, Du siehst heute Abend so bleich aus; geh' bald zu Bett,« sagte Celia in einem ganz gemütlichen Tone, ohne eine Spur von Erregung.

      »Nein, liebe Celia, ich bin sehr, sehr glücklich,« erwiderte Dorothea sehr innig.

      »Desto besser,« dachte Celia; »aber wie sonderbar Dora von einem Extrem ins andere verfällt!«

      Am nächsten Tage beim zweiten Frühstück sagte der Butler, indem er Herrn Brooke Etwas überreichte: »Jonas, der eben wieder nach Hause gekommen ist, überbringt diesen Brief, Herr.«

      Herr Brooke las den Brief und sagte dann, indem er Dorotheen zunickte: »Von Casaubon, liebes Kind, er kommt heute zu Tisch; er hat sich nicht die Zeit genommen, mehr zu schreiben, – nicht die Zeit genommen, weißt Du.«

      Es konnte Celien nicht auffallen, daß das zu erwartende Eintreffen eines Mittagsgastes ihrer Schwester vorher mitgeteilt wurde; als sie aber Dorothea bei der Bemerkung ihres Onkels ansah, wurde sie von der eigentümlichen Wirkung, welche die Meldung ersichtlich auf ihre Schwester hervorgebracht hatte, frappiert. Es war, als ob der Wiederschein eines weißen, sonnenbeleuchteten Flügels über ihr Antlitz gefahren wäre, um alsbald einem, bei ihr so seltenen Erröten zu weichen. Zum ersten Male kam Celien der Gedanke, daß doch hinter dem Interesse, welches Herr Casaubon und Dorothea an einander nahmen, vielleicht mehr stecken möchte, als seine Liebhaberei für gelehrte Vorträge und ihre Wonne, ihm zuzuhören. Bisher hatte sie Dora's Bewunderung für diesen gelehrten und häßlichen Mann auf eine Linie mit ihrer Bewunderung für Herrn Liret in Lausanne, der auch ein häßlicher und gelehrter Mann war, gestellt. Dorothea war nie müde geworden, dem alten Herrn Liret zuzuhören, während Celien's Füße eiskalt wurden und ihr der Anblick der beweglichen Haut auf der Glatze des Geistlichen ganz unerträglich war. Warum also sollte Dorothea sich nicht in derselben Weise, wie für Herrn Liret, auch für Herrn Casaubon begeistern? Und es schien ja, daß alle gelehrten Männer dieselbe schulmeisterliche Art, mit jungen Leuten umzugehen, hatten.

      Aber jetzt hatte der plötzlich in Celien auftauchende Verdacht sie wirklich erschreckt. Es begegnete ihr selten, sich in dieser Weise überrascht zu sehen, da ihr wunderbarer Scharfblick für gewisse Symptome sie in der Regel auf Ereignisse, die ein Interesse für sie haben konnten, im Voraus gefaßt machte. Auch jetzt kam es ihr noch nicht in den Sinn, daß Dora Casaubon's Bewerbung bereits angenommen habe; aber der bloße Gedanke an die Möglichkeit, daß sich in Dora's, Gemüt etwas regen möchte, was zu einem solchen Ausgang führen könnte, erfüllte sie mit Widerwillen. Dieser Gedanke konnte sie wirklich gegen Dora verstimmen. Mochte sie immerhin Sir James Chettam's Antrag verwerfen; aber die Idee Casaubon zu heiraten! Celia empfand eine Art von Scham, welche durch den Eindruck des Lächerlichen, den ihr die ganze Vorstellung machte, nicht gemildert wurde. Vielleicht aber ließ sich Dora, wenn sie wirklich in Gefahr war, sich zu einer solchen Extravaganz hinreißen zu lassen, noch wieder davon abbringen. Celia wußte aus Erfahrung, wie sehr Dorothea sich von augenblicklichen Eindrücken beherrschen ließ.

      Es war ein regnerischer Tag, sie gingen daher nicht spazieren, sondern begaben sich Beide auf ihr Wohnzimmer. Hier fiel es Celien alsbald auf, daß Dorothea, anstatt sich wie gewöhnlich mit ihrem eifrigen Interesse einer stetigen Beschäftigung zu widmen, sich an's Fenster setzte und, den Arm auf ein offenes Buch gestützt, nach einer von feuchtem Nebel umhüllten, hohen Zeder hinausblickte. Celia selbst beschäftigte sich mit der Herstellung eines Spielzeuges für die Kinder des Pfarrvikars und hatte keine Eile mit der Herbeiführung eines Gesprächs über den bewußten Gegenstand.

      Dorothea ihrerseits sagte sich, daß es doch