George Eliot

Middlemarch


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würde sein, als ob der Geist Oberlins über den Kirchspielen schwebte, um das Leben der Armut zu verschönern.

      Sir James sah sich alle Pläne an und nahm einen davon mit sich, um über denselben mit Lovegood zu beraten. Was er aber noch außerdem mit sich nahm, das war die selbstgefällige Vorstellung, daß er große Fortschritte in Dorotheen's Gunst mache. Das Bologneser Hündchen bot er Celien nicht an, – eine Unterlassung, welche Dorothea, als ihr die Sache wieder einfiel, überraschend fand; aber sie tadelte sich deshalb, hatte sie sich doch Sir James' ganz bemächtigt; indessen schließlich freute sie sich auch, daß die Gefahr, auf einen Hund zu treten, für sie beseitigt sei.

      Celia war dabei, als Sir James die Pläne prüfte, und, beobachtete die Täuschung, in der er befangen war. »Er glaubt, daß Dora sich für ihn interessiert, und sie interessiert sich doch nur für ihre Pläne. Aber ich bin doch nicht sicher, daß sie ihm einen Korb geben würde, wenn sie nur glauben könnte, daß er ihr, Alles nach ihrem Gutdünken einzurichten und alle ihre Ideen auszuführen, erlauben würde. Und wie unbehaglich würde das Sir James machen. Ich kann Ideen nicht leiden.«

      Im Geheimen gestattete sich Celia das Vergnügen, dieser Abneigung nachzuhängen. Dieselbe direkt gegen ihre Schwester auszusprechen, wagte sie aber nicht, denn damit würde sie sich dem Vorwurf ausgesetzt haben, daß sie in einer oder der anderen Weise eine Gegnerin alles Guten sei. Bei ungefährlichen Gelegenheiten bediente sie sich jedoch eines indirekten Mittels, ihre negative Weisheit gegen Dorothea zur Geltung zu bringen, indem sie diese aus ihrer begeisterten Stimmung durch die Bemerkung riß, daß die Leute sie wohl anstarrten, aber ihr nicht zuhörten. Celia war keine impulsive Natur; was sie zu sagen hatte, war nicht eilig und kam immer in derselben ruhig abgemessenen Art heraus. Wenn Leute mit Energie und Emphase sprachen, so beschränkte sie sich darauf, ihre Gesichter und ihre Züge zu beobachten. Sie begriff nie, wie wohlerzogene Menschen sich dazu entschließen konnten, zu singen und ihren Mund in der lächerlichen für diese Motion der Stimme erforderlichen Weise zu öffnen.

      Es vergingen nur wenige Tage, bis Herr Casaubon einen Morgenbesuch machte, bei welchem er wieder für einen Tag der nächsten Woche eingeladen wurde, auf »Tipton-Hof« zu essen und zu übernachten. Dadurch fand Dorothea Gelegenheit zu drei ferneren Unterhaltungen mit ihm und überzeugte sich, daß ihr erster Eindruck richtig gewesen sei. Er war wirklich so, wie sie sich ihn nach der ersten Bekanntschaft vorgestellt hatte; fast jedes Wort, das er gesprochen hatte, erschien ihr wie ein aus den Tiefen eines Bergwerks zu Tage gefördertes Stück Erz oder wie eine Inschrift über der Eingangstür eines Museums von Schätzen vergangener Jahrhunderte; und dieses unbedingte Vertrauen auf seinen geistigen Reichtum befestigte sich bei Dorotheen nur um so mehr und wirkte nur um so nachhaltiger auf ihre Neigung, als es ihr jetzt klar war, daß seine Besuche ihr galten.

      Dieser ausgezeichnete Mann ließ sich herab, an ein junges Mädchen zu denken, sich die Mühe zu geben, sich mit ihr zu unterhalten, nicht in absurden Komplimenten, sondern mit einem Appell an ihr Verständnis und bisweilen mit instruktiven Berichtigungen. Welch eine köstliche Gesellschaft! Herr Casaubon schien nicht einmal zu wissen, daß es Trivialitäten gebe, und ließ sich niemals herbei, jenes kleine Geschwätz ernster Männer zu debitieren, welches ungefähr so angenehm ist, wie ein Stück altgewordenen Hochzeitskuchens, das nach dem Schranke riecht. Er sprach nur, wenn ihn etwas interessierte, sonst schwieg er oder verneigte sich, wo es das Gespräch unerläßlich machte mit melancholischer Höflichkeit.

      In Dorotheen's Augen war das eine verehrungswürdige Aufrichtigkeit und eine religiöse Enthaltung von jener Künstlichkeit des Wesens, welche mit ihren Anstrengungen, etwas zu scheinen, was man nicht ist, die Seelenkraft aufzehrt. Denn sie blickte zu Herrn Casaubon's religiöser von ihr unerreichter Hoheit nicht minder ehrfurchtsvoll auf, als zu seiner geistigen Bedeutung und zu seinem Wissen. Er stimmte ihren Ausdrücken frommer Empfindung und zwar gewöhnlich mit einem passenden Zitate bei, ließ sich so weit herab, zu sagen, daß er in seiner Jugend einige Seelenkonflikte durchzumachen gehabt habe; kurz Dorothea sah, daß sie bei diesem Manne auf Verständnis, Sympathie und geistige Führung würde rechnen können.

      In Betreff eines, aber auch nur eines ihrer Lieblingsthemata fand sie sich enttäuscht. Herr Casaubon hatte augenscheinlich kein Interesse für die Errichtung von Wohnungen und lenkte das Gespräch auf die außerordentliche Beschränktheit der Wohnungen der alten Ägypter, als wolle er der Anlegung eines zu hohen Maßstabes absichtlich entgegentreten.

      Als er sie wieder verlassen, dachte Dorothea nicht ohne Aufregung seiner Indifferenz in Betreff dieser Angelegenheit nach; sie suchte eifrig nach Argumenten zu Gunsten ihres Lieblingsplans und fand dieselben in den Verschiedenheiten des Klima's, mit ihren, die menschlichen Bedürfnisse modifizierenden Wirkungen und in der bedrückenden Grausamkeit heidnischer Despoten. Sollte sie nicht diese Argumente gegen Herrn Casaubon geltend machen, wenn er sie wieder besuchen würde?

      Aber bei weiterem Nachdenken erschien es ihr anmaßend, seine Aufmerksamkeit für einen solchen Gegenstand in Anspruch zu nehmen; er würde nichts dagegen haben, daß sie sich damit in freien Augenblicken beschäftige, wie andere Frauen sich mit ihrer Toilette und mit Handarbeiten beschäftigen, – er würde es nicht verbieten, wenn – Dorothea konnte sich eines Gefühls der Scham nicht erwehren, als sie sich auf diesen Gedanken ertappte. Aber ihr Onkel hatte eine Einladung erhalten, ein paar Tage in Lowick zuzubringen! War es anzunehmen, daß Herr Casaubon an der Gesellschaft des Herrn Brooke, mit oder ohne Dokumente, um seiner selbst willen, Gefallen finde?

      Inzwischen ließ diese kleine Enttäuschung sie die Bereitwilligkeit Sir James Chettam's, die von ihr so sehnlich herbeigewünschten Verbesserungen ins Werk zu setzen, nur um so höher schätzen. Er kam jetzt viel öfter als Herr Casaubon, und Dorothea fand ihn nicht mehr unangenehm, seit er es mit der guten Sache so ernst nahm; denn er war bereits mit vielem praktischen Geschick auf die Voranschläge Lovegood's eingegangen und zeigte sich von einer höchst liebenswürdigen Gelehrigkeit. Sie schlug ihm vor, ein paar kleine Arbeiterwohnungen bauen zu lassen und dieselben zwei Familien einzuräumen, deren Hütten man dann niederreißen könnte, um auf demselben Grund und Boden neue Wohnungen zu errichten. Sir James sagte »Vollkommen richtig,« und dieses Mal war ihr das Wort nichts weniger als fatal.

      Solche Männer, die so wenig eigene Ideen hatten, konnten gewiß sehr nützliche Mitglieder der Gesellschaft werden, wenn sie in der Wahl ihrer Schwägerinnen glücklich waren! Es möchte schwer zu sagen sein, ob nicht ein wenig Eigensinn dabei im Spiele war, wenn Dorothea sich dem Gedanken an die Möglichkeit, daß es sich bei Sir James in Bezug auf sie um etwas anderes als um Verschwägerung handele, beharrlich verschloss. Aber ihr Leben war grade jetzt voll Hoffnung und Tätigkeit; sie beschäftigte sich nicht nur mit ihren Plänen, sondern holte sich gelehrte Bücher aus der Bibliothek ihres Onkels, las rasch vielerlei, um etwas weniger unwissend in ihren Unterhaltungen mit Herrn Casaubon erscheinen zu können, und sah sich fortwährend von Gewissensskrupeln darüber heimgesucht, ob sie sich nicht die Verdienstlichkeit ihrer armseligen Tätigkeit maßlos übertreibe, wenn sie auf dieselbe mit einer Genugtuung blicke, welche das Zeichen der tiefsten Unwissenheit und Torheit sei.

      4

      1st Gent. Our deeds are fetters that we forge ourselves.

      2nd Gent. Ay, truly: but I think it is the world

      That brings the iron.

      Sir James scheint entschlossen, Alles zu tun, was Du wünschest,« sagte Celia zu Dorotheen, als sie von einer Besichtigung des neuen Baugrundes nach Hause fuhren.

      »Er ist ein guter Mensch und verständiger, als man es ihm zutrauen würde,« erwiderte Dorothea unbedachterweise.

      »Du findest also, daß er den Eindruck eines dummen Menschen macht.«

      »O nein,« entgegnete Dorothea, indem sie der Unvorsichtigkeit ihrer Äußerung inne wurde und Celia's Hand einen Augenblick mit der ihrigen bedeckte, »er spricht nur nicht über alle Dinge gleich gut.«

      »Das tun auch, glaube ich, nur unangenehme Menschen,« sagte Celia in ihrer gewöhnlichen schnurrenden Weise. »Es muß schrecklich sein, mit solchen Menschen zu leben, denke doch nur, vom frühen Morgen bis zum späten Abend gut reden hören!«

      Dorothea