erwiderte Herr Brooke, behaglich lächelnd, »aber ich kann mich auf Dokumente stützen. Seit Jahren habe ich mir eine Sammlung von Dokumenten angelegt – Sie müssen nur noch geordnet werden. – So oft mich eine Frage frappiert hat, habe ich deswegen an Jemanden geschrieben und immer eine Auskunft erhalten; ich kann mich also auf Dokumente stützen; aber sagen Sie mir doch, wie ordnen Sie Ihre Dokumente?«
»Teilweise in Fächern,« erwiderte Herr Casaubon mit einem mühsam unterdrückten Ausdruck der Verwunderung.
»Ach, mit Fächern geht es nicht. Ich habe es mit Fächern versucht; aber in Fächern kommt Alles durcheinander. Ich weiß nie, ob ein Papier in Fach oder in Fach Z liegt.«
»Ich wollte, Du ließest mich Deine Papiere für Dich ordnen, Onkel,« sagte Dorothea. »Ich würde sie Alle mit Buchstaben versehen, und dann ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis der in den Papieren behandelten Gegenstände anlegen.«
Herr Casaubon gab durch ein feierliches Lächeln seine Zustimmung zu erkennen und sagte zu Herrn Brooke: »Sie sehen, Sie haben einen vortrefflichen Sekretär zu Ihrer Verfügung.«
»Nein, nein,« entgegnete Herr Brooke kopfschüttelnd, »ich kann junge Mädchen nicht über meine Papiere lassen. Junge Mädchen sind zu flüchtig.«
Dorothea fühlte sich verletzt. Mußte nicht Herr Casaubon glauben, daß ihr Onkel besondere Gründe zu seiner letzten Äußerung habe, während doch diese Bemerkung unter all den übrigen in dem Geiste des Herrn Brooke abgelagerten Gedankensplittern nicht schwerer wog als ein geknickter Insektenflügel, den ein zufälliger Luftzug gerade ihr zugeführt hätte.
Als die beiden jungen Mädchen nach Tische allein im Wohnzimmer saßen, sagte Celia:
»Wie häßlich ist Herr Casaubon.«
»Celia! ich habe kaum je einen Mann mit einem bedeutenderen Gesichte gesehen. Er sieht Locke's Bild merkwürdig ähnlich.«
»Hatte Locke auch zwei solche mit Haaren besetzte Muttermale?«
»Sehr möglich, für die Augen gewisser Leute,« antwortete Dorothea, indem sie sich abwandte.
»Herr Casaubon hat eine so fahle Gesichtsfarbe.«
»Desto besser. Du bewunderst wohl Männer, welche so rosig aussehen wie ein Mutterschweinchen.«
»Dora,« rief Celia, Dorotheen erstaunt nachsehend, »in meinem Leben habe ich Dich noch keinen solchen Vergleich machen hören.«
»Vermutlich weil ich bis jetzt keine Veranlassung dazu hatte. Der Vergleich ist sehr gut, er paßt vortrefflich.«
Offenbar vergaß sich Dorothea in diesem Augenblick und das entging Celia keineswegs.
»Ich begreife nicht, warum Du die Sache persönlich nimmst, Dorothea!«
»Es verstimmt mich, Celia, daß Du menschliche Wesen nur wie angezogene Tiere betrachtest und keinen Sinn für den Ausdruck einer großen Seele in dem Gesichte eines Mannes hast.«
»Hat Herr Casaubon. eine große Seele?« fragte Celia, bei der gelegentlich eine Regung von naiver Malice zum Vorschein kam.
»Allerdings hat er die, nach meiner Ansicht,« antwortete Dorothea im Tone der vollsten Überzeugung. »Jeder Zug seines Wesens, wie es mir erscheint, entspricht dem Bilde, welches man sich von dem Verfasser der Schrift über biblische Kosmologie macht.«
»Er spricht sehr wenig,« bemerkte Celia.
»Weil Niemand da ist, mit dem er sich unterhalten könnte.«
Celia dachte bei sich: Also von Sir James Chettam denkt Dorothea ganz gering, ich glaube nicht, daß sie einen Antrag von ihm annehmen würde. Celia fand das sehr schade; denn sie hatte sich nie darüber getäuscht, für welche von ihnen Beiden der Baronet sich in Wahrheit interessiere. Bisweilen war es ihr freilich so vorgekommen, als ob Dora einen Mann vielleicht nicht glücklich machen würde, der nicht ihre Art, die Dinge anzusehen, teilte, und im tiefsten Inneren ihres Herzens schlummerte der Gedanke, daß ihre Schwester sich zu ausschließlich in religiösen Ideen bewege, um für das Familienleben gemacht zu sein. Religiöse Ideen und Gewissensskrupel erschienen ihr wie verschüttete Nadeln, aus Furcht vor welchen man sich scheut, auf den Fußboden zu treten, sich niederzusetzen und selbst zu essen.
Als »die Herren sich zum Tee wieder zu den Damen gesellten, setzte sich Sir James, welcher Dorotheen's Art, ihm zu antworten, durchaus nicht als verletzend empfunden hatte, zu ihr. Warum sollte er auch. Er schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß Dorothea ihn gern habe, und wenn wir Jemandem eine vorgefaßte, sei es günstige oder ungünstige Meinung, entgegenbringen, so muß das Benehmen desselben schon sehr prononciert sein, wenn unsre Meinung in dem einen oder dem andern Sinne dadurch erschüttert werden soll. Er fand sie durchaus liebenswürdig gegen ihn; aber natürlich sah er sich doch veranlaßt, über seine Neigung ein wenig nachzudenken.
Er war eine durchaus gesunde Natur und hatte die seltene Eigenschaft der Selbsterkenntnis. Er war sich vollkommen bewußt, daß er mit seinen Talenten, auch wenn er sie zur vollsten Geltung bringen könnte, nichts in der Welt ausrichten würde. Daher lächelte ihm die Aussicht auf den Besitz einer Frau, zu der er sagen könnte: »Was sollen wir in dieser oder jener Angelegenheit tun,« welche ihrem Manne mit Argumenten aushelfen und diesen Argumenten durch ihr Vermögen den gehörigen Nachdruck geben könnte.
Was das von den Leuten gegen Dorothea erhobene Bedenken religiöser Exzentrizität betraf, so hatte er eine sehr vage Vorstellung von dem Wesen dieser Exzentrizität und hielt dafür, daß dieselbe sich in der Ehe ganz verlieren würde. Kurz, er glaubte sich sagen zu dürfen, daß der Gegenstand seiner Neigung ganz für ihn gemacht sei, und war vollkommen daraus gefaßt, sich in der Ehe von seiner Frau ein gut Teil Herrschaft gefallen zu lassen, die ja ein Mann doch am Ende jederzeit wieder abschütteln könne.
Aber es schien Sir James völlig unmöglich, daß er je in den Fall kommen könnte, sich der Herrschaft dieses schönen jungen Mädchens, dessen Geist ihn entzückte, entziehen zu wollen. Warum auch? Der Geist eines Mannes, mag er übrigens beschaffen sein, wie er will, hat doch immer den Vorzug, männlich zu sein, – wie die kleinste Birke immer einer höheren Gattung angehört als eine noch so hoch in die Lüfte strebende Palme, – und selbst seine Unwissenheit hat doch immer etwas Gesünderes.
Sir James würde vielleicht nicht von selbst auf diese Würdigung seiner Persönlichkeit gekommen sein, aber die gütige Vorsehung versieht auch die Schwächsten an Geist mit einem kleinen Halt in Gestalt von überkommenen Vorstellungen.
»Ich darf doch wohl hoffen, Fräulein Brooke,« sagte ihr beharrlicher Bewunderer, »daß Ihr Entschluss in Betreff des Pferdes nicht unwiderruflich ist. Ich versichre Sie, Reiten ist die gesündeste Körperbewegung.«
»Das weiß ich,« erwiderte Dorothea kalt. »Ich glaube, es würde für Celia sehr gut sein.«
»Aber Sie sind eine so vorzügliche Reiterin.«
»O nein, ich habe sehr wenig Übung gehabt und Ihr Pferd würde mich sehr leicht abwerfen.«
»Das wäre ja nur ein Grund mehr für Sie, sich zu üben. Jede Dame sollte eine perfekte Reiterin sein, um ihren Mann auf seinen Ausflügen zu Pferde begleiten zu können.«
»Sehen Sie nur, wie weit unsere Ansichten auseinandergehen, Sir James. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß es sich für mich nicht schicken würde, eine perfekte Reiterin zu sein, und so würde ich Ihrem Muster einer Dame niemals entsprechen können.«
Dorothea sagte das, indem sie gerade vor sich hinblickte, in einem kalten schroffen Tone und sah dabei in ergötzlichem Kontraste zu der beflissenen Liebenswürdigkeit ihres Bewunderers wie ein trotziger Junge aus.
»Ich möchte wohl Ihre Gründe für diesen grausamen Entschluss kennen. Unmöglich können Sie doch das Reiten für etwas Unrechtes halten«
»Es ist gar nicht unmöglich, daß ich es für mich als etwas Unrechtes betrachte.«
»Warum denn das?« fragte Sir James in einem zärtlich vorwurfsvollem Tone.
Inzwischen