George Eliot

Middlemarch


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      »Ich bin über Lowick zurückgekommen, weißt Du,« sagte Herr Brooke, nicht wie um Dorothea zurückzuhalten, sondern allem Anscheine nach nur seiner Gewohnheit gemäß, das, was er schon einmal gesagt hatte, zu wiederholen. Dieses Fundamentalprinzip menschlicher Redeweise trat bei Herrn Brooke in besonders auffallender Weise hervor. »Ich habe dort gefrühstückt und habe Casaubon's Bibliothek und was dazu gehört gesehen. Die Luft ist scharf, wenn man fährt. Willst Du Dich nicht setzen, liebes Kind, Du siehst aus, als ob Dich friere.«

      Dorothea fühlte sich ganz geneigt, dieser Aufforderung zu entsprechen. Bisweilen hatte die nachlässig bequeme Art ihres Onkels, über Dinge zu reden, wenn sie sie nicht grade ungeduldig machte, etwas beschwichtigendes für sie. Sie legte ihren Hut und ihren Mantel ab, setzte sich ihrem Onkel gegenüber und hielt die Hände erhoben, um sich gegen die Glut des Feuers, die sie übrigens angenehm empfand, zu schützen. Diese Hände waren weder dünn noch klein, sondern von einer Gestalt, die man bedeutend und echt weiblich nennen kann.

      Jetzt fiel ihr wieder der verurteilte Verbrecher ein.

      »Was bringst Du für Nachrichten über den Lämmerdieb, Onkel?«

      »Wie, über den armen Bunch? nun es scheinst, wir werden ihn nicht losbekommen, er wird gehängt werden.«

      Dorotheen's Augenbrauen zogen sich in einer Weise zusammen, welche Missbilligung und Mitleid zugleich ausdrückte.

      »Gehängt, weißt Du,« wiederholte Herr Brooke mit einem ruhigen Kopfnicken. »Der arme Romilly! Der würde uns geholfen haben. Ich habe Romilly gekannt. Casaubon hat Romilly nicht gekannt. Er ist ein wenig in Büchern vergraben, weißt Du, ich meine Casaubon.«

      »Wenn ein Mann mit großen Studien beschäftigt ist und ein großes Werk schreibt, muß er natürlich darauf verzichten, viel von der Welt zu sehen. Wo soll er die Zeit hernehmen, in die Welt zu gehen und Bekanntschaften zu machen?«

      »Das ist wahr. Aber ein Mann wird einseitig, weißt Du. Ich bin auch immer ein Junggeselle gewesen, aber ich bin so angelegt, daß ich nie einseitig geworden bin; es war immer meine Art, überall hinzugehen und Alles in mich aufzunehmen. Das hat mich davor geschützt, einseitig zu werden, aber ich kann sehen, daß Casaubon es wird, weißt Du. Er bedarf des Gefährten, weißt Du.«

      »Es würde für Jeden eine große Ehre sein, sein Gefährte zu werden,« bemerkte Dorothea emphatisch.

      »Du hast ihn gern, wie?« fragte Herr Brooke, ohne eine Spur von Überraschung oder einer anderen Gemütsbewegung zu verraten. »Nun, ich kenne Casaubon jetzt schon zehn Jahre, seit er nach Lowick gekommen ist. Aber ich habe nie etwas aus ihm herausbekommen können, irgend eine Idee, weißt Du. Indessen ist er doch ein ausgezeichneter Mann und kann noch einmal Bischof werden oder so etwas, weißt Du, wenn Peel am Ruder bleibt. Und er hat eine sehr hohe Meinung von Dir, liebes Kind.«

      Dorothea vermochte nicht zu reden.

      »In der Tat hat er eine sehr hohe Meinung von Dir, und er spricht ungewöhnlich gut, – das tut er, Casaubon. Er hat sich an mich gewandt, weil Du noch nicht volljährig bist. Kurz ich habe ihm versprochen, mit Dir zu reden, wiewohl ich ihm nicht viel Hoffnung. machen zu dürfen glaubte. Ich hielt mich für verpflichtet, ihm das zu sagen. Ich sagte ihm: ›Meine Nichte ist sehr jung‹, und so dergleichen; aber ich hielt es nicht für notwendig, auf Alles einzugehen. Indessen hat er mich um Erlaubnis gebeten, Dir einen Heiratsantrag machen zu dürfen, einen Heiratsantrag, weißt Du,« bemerkte Herr Brooke mit seinem erläuternden Kopfnicken. »Ich habe es für richtig gehalten, Dir das mitzuteilen, liebes Kind.«

      Niemand hätte in der Art und Weise, wie Herr Brooke sprach, eine Spur von Präokkupation entdecken können, und doch wünschte er wirklich etwas über die Stimmung seiner Nichte zu erfahren, um ihr, wenn sie seines Rates bedürfen sollte, denselben zeitig erteilen zu können. Seine Gefühle in dieser Angelegenheit, soweit er in seinem von amtlichen Sorgen erfüllten Herzen überall dafür Raum hatte, waren durchaus freundlich.

      Da Dorothea nicht sogleich antwortete, wiederholte er: »ich habe es für richtig gehalten, Dir das mitzuteilen, liebes Kind.«

      »Ich danke Dir, lieber Onkel,« sagte Dorothea jetzt in einem klaren festen Tone. »Ich bin Herrn Casaubon sehr dankbar; wenn er mir einen Antrag macht, so werde ich ihn annehmen. Ich bewundere und ehre ihn mehr als irgend einen anderen Mann, den ich kenne.«

      Herr Brooke hielt einen Augenblick inne und sagte dann in einem zaudernden leisen Tone: »Ah! – Schön! – Es ist in mancher Beziehung eine gute Partie. Aber Chettam ist auch eine gute Partie, und unsere Güter stoßen an einander. Ich werde mich niemals Deinen Wünschen widersetzen, liebes Kind. Beim Heiraten und dergleichen soll man den Menschen, bis zu einem gewissen Punkte, weißt Du, ihren freien Willen lassen. Das habe ich immer gesagt, bis zu einem gewissen Punkte. Ich wünsche, daß Du Dich gut verheiratest, und ich habe gute Gründe, zu glauben, daß Chettam Dich heiraten möchte. Ich erwähne das nur, weißt Du.«

      »Ich werde Sir James Chettam nie heiraten,« erwiderte Dorothea. »Wenn er daran denkt, mich zu heiraten, so ist er in einer großen Täuschung befangen.«

      »So geht es, siehst Du,« erwiderte Herr Brooke. »Man weiß nie, woran man ist. Ich würde nun geglaubt haben, Chettam wäre grade der Mann, der den Frauen gefallen müßte – hätte ich geglaubt.«

      »Bitte, Onkel, sprich nicht wieder von ihm in dieser Beziehung,« sagte Dorothea, in welcher etwas von ihrem eben überwundenen Verdruss wieder auftauchte.

      Herr Brooke war erstaunt und mußte sich sagen, daß Frauen ein unerschöpflicher Gegenstand des Studiums seien, da selbst er trotz seines Alters es nicht zu einer vollkommenen Sicherheit des Urteils über weibliche Charaktere gebracht habe.

      »Gut, aber nun Casaubon. Die Sache hat keine Eile, ich meine für Dich. Bei ihm fällt freilich jedes Jahr ins Gewicht; er ist über 45, weißt Du, ich glaube, gut 27 Jahre älter als Du. Gewiß, wenn Du Deine Freude an Gelehrsamkeit und einer geistlichen Würde und dergleichen Dingen hast, – man kann ja nicht Alles haben. Und er hat eine schöne Einnahme, – er hat ein hübsches Vermögen neben seinem Gehalt – er hat eine schöne Einnahme! Aber er ist nicht jung, und ich darf Dir nicht verhehlen, liebes Kind, daß ich seine Gesundheit für nicht sehr kräftig halte. Sonst weiß ich nichts gegen ihn.«

      »Ich würde gar nicht wünschen, einen Mann von ungefähr gleichem Alter mit mir zu heiraten,« entgegnete Dorothea in einem feierlich entschiedenen Tone. »Ich würde wünschen, daß mein Mann mir im Urteil und in jeder Art von Wissen überlegen wäre.«

      Herr Brooke wiederholte sein ergebenes Ah. – »Ich hatte geglaubt, Du hättest mehr als die meisten Mädchen Deine eigenen Ansichten. Ich hatte geglaubt, Du hieltest etwas auf Deine eigenen Ansichten, – hieltest etwas auf sie, weißt Du.«

      »Ich könnte mir kein Leben ohne eigene Ansichten vorstellen, aber ich möchte sie mit guten Gründen unterstützen können, und ein weiser Mann würde mich erkennen lehren, welche Ansichten die bestbegründeten sind, und würde mir helfen, diesen Ansichten gemäß zu leben.«

      »Seht wahr. Du hättest Deinen Standpunkt nicht klarer darlegen können, – nicht klarer, weißt Du. Aber die Dinge gestalten sich bisweilen sonderbar,« fuhr Herr Brooke fort, der sich wirklich in seinem Gewissen gedrungen fühlte, des Beste seiner Nichte bei dieser Gelegenheit nach Kräften wahrzunehmen. »Das Leben ist nicht im Voraus in eine bestimmte Form gegossen, nicht mit Lineal und Zirkel abgemessen, und so dergleichen. Ich selbst war nie verheiratet, und das wird Dir und den Deinigen nur zum Vorteil gereichen. Die Sache ist die, daß ich nie in ein Mädchen verliebt genug war, um mich um ihretwillen ins Ehejoch zu begeben. Jeder Mensch hat sein Temperament, man muß das Temperament in Betracht ziehen, und ein Ehemann will gern der Herr sein.«

      »Ich bin darauf gefaßt, Prüfungen zu bestehen. Die Ehe ist ein Verhältnis, in welchem unser höhere Pflichten warten. Ich habe nie aus dem Gesichtspunkte rein persönlicher Annehmlichkeit an die Ehe gedacht,« sagte die arme Dorothea.

      »Nun, Du bist keine Freundin von glänzendem Leben, einem großen Hause, Bällen, Mittagsgesellschaften und dergleichen. Ich begreife, daß Casaubon's Art zu sein