George Eliot

Middlemarch


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mich hierher geführt hat, ist eine kleine Angelegenheit meines Schlingels, des Fred.«

      »Das ist ein Gegenstand, über den unsere Ansichten leicht so weit von einander abweichen dürften wie über Diät, Vincy.«

      »Ich hoffe aber, dieses Mal wird das nicht der Fall sein.« (Herr Vincy war entschlossen, seine gute Laune nicht zu verlieren.) »Es handelt sich um eine Grille des alten Featherstone. Es hat sich Jemand das boshafte Vergnügen gemacht, dem Alten eine erfundene Geschichte zu erzählen, um ihn gegen Fred aufzuhetzen. Er ist Fred sehr gewogen und wird wahrscheinlich etwas Ordentliches für ihn tun, ja er hat Fred so gut wie gesagt, daß er ihm seinen Landbesitz hinterlassen wolle, und das erregt den Neid gewisser Leute.«

      »Vincy, ich muß Dir wiederholt erklären, daß Du nie auf meine Zustimmung zu der Art, wie Du mit Deinem ältesten Sohne verfahren bist, wirst rechnen können. Du hast ihn lediglich aus weltlicher Eitelkeit für den geistlichen Stand bestimmt; mit einer Familie von drei Söhnen und vier Töchtern warst Du nicht berechtigt, große Summen auf eine kostspielige Erziehung Deines ältesten Sohnes zu verwenden, mit welcher Du auch keinen andern Erfolg erzielt hast, als den, ihm extravagante und müßiggängerische Gewohnheiten zu geben. Jetzt erntest Du, was Du gesät hast.«

      Die Fehler anderer Leute scharf hervorzuheben, hielt Herr Bulstrode für eine Pflicht, welcher er sich selten entzog; aber Herr Vincy war nicht im gleichen Maße geneigt, sich das ruhig gefallen zu lassen. Wenn ein Mann Aussicht hat, demnächst zum Mayor gewählt zu werden und in der Lage zu sein, im Interesse des Handels allgemeine politische Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, so hat er natürlich ein Bewusstsein seiner Wichtigkeit für die Gestaltung der Dinge im Großen, welches ihm Fragen persönlicher und privater Natur von untergeordneter Bedeutung erscheinen läßt. Kein Vorwurf aber hätte ihn mehr reizen können, als der eben von Bulstrode ausgesprochene. Es war im höchsten Grade überflüssig, ihm zu sagen, daß er die Früchte seiner Handlungen ernte. Aber er fühlte Bulstrode's Joch auf seinem Nacken lasten, und so gern er sonst ausschlug, so hütete er sich doch in diesem Augenblick wohl, sich diese Herzenserleichterung zu verschaffen.

      »Es ist unnütz, jetzt auf die Vergangenheit zurückzugehen, Bulstrode. Ich gehöre nicht zu Deinen Mustermenschen und habe auch nicht die Prätention, dazu zu gehören. Ich konnte nicht Alles voraussehen, was im Geschäfte vorkommen würde; es gab kein schöneres Geschäft in Middlemarch als unseres, und der Junge war begabt. Mein armer Bruder war Geistlicher und würde gut fortgekommen sein – hätte sicherlich eine Pfründe bekommen, wenn ihn das gastrische Fieber nicht weggerafft hätte – wäre heute vielleicht schon Dechant! Ich glaube, ich konnte mit gutem Fug tun, was ich für Fred getan habe. Und wenn Du doch bei Allem die religiöse Seite hervorkehrst – so bin ich der Meinung, daß man nicht für Alles voraus sorgen, sondern der Vorsehung etwas überlassen soll. Es ist eine gute englische Gewohnheit, daß man sich immer bemühet, seine Familie auf eine höhere Stufe zu bringen; nach meiner Ansicht ist es die Pflicht eines Vaters, seinen Söhnen die Chance einer guten Karriere zu geben.«

      »Ich glaube, als Dein bester Freund zu handeln, Vincy, wenn ich Dir sage, daß Alles, was Du eben ausgesprochen hast, eine Kette von weltlichen Torheiten voll innern Widerspruchs ist.«

      »Ganz recht,« sagte Herr Vincy, indem er seinem Entschluss zum Trotz ausschlug, »ich habe mich nie für etwas anderes als weltlich gesinnt ausgegeben, und was mehr ist, ich kenne Niemanden, der nicht weltlich gesinnt wäre. Du führst doch wohl auch Dein Geschäft nicht nach, wie Du es nennst, unweltlichen Prinzipien, nicht wahr? Der einzige Unterschied, den ich finden kann, ist, daß eine Weltlichkeit ein bisschen honetter ist als die andere.«

      »Diese Art von Diskussion ist unfruchtbar, Vincy,« erwiderte Herr Bulstrode, der, nachdem sein Butterbrot verzehrt war, sich in seinen Lehnstuhl geworfen hatte und sich die Hand vor die Augen hielt, als ob er erschöpft sei. »Du wolltest noch etwas Besonderes von mir.«

      »Ja, ja, die Sache ist kurz die, daß Jemand dem alten Featherstone, unter Berufung auf Dich als Gewährsmann, erzählt hat, Fred habe, auf die Aussicht hin, den Landbesitz des Alten zu erben, Geld geborgt oder zu borgen versucht. Natürlich hast Du nie solchen Unsinn behauptet. Aber der alte Patron besteht darauf, daß Fred ihm eine von Dir geschriebene Erklärung bringe; – das heißt, ein Paar Zeilen, in denen Du sagst, daß Du kein Wort davon glaubst, daß Fred sich soweit vergessen haben könne, auf diese Weise Geld zu borgen oder auch nur den Versuch dazu zu machen. Ich denke, Du wirst nichts dagegen haben, das zu tun.«

      »Verzeih! Ich habe allerdings etwas dagegen. Ich bin keineswegs überzeugt, daß Dein Sohn in seiner Unbedachtsamkeit und Unwissenheit – ich will mich keiner schärferen Ausdrücke bedienen – nicht versucht hat, sich auf seine künftigen Aussichten hin Geld zu verschaffen; und daß er nicht sogar Jemanden gefunden hat, der töricht genug war, ihm auf eine so unbestimmte Aussicht hin Geld zu leihen. Solche Fälle von leichtfertigen Gelddarlehen kommen wie andere Torheiten nur zu häufig vor.«

      »Aber Fred hat mich auf sein Ehrenwort versichert, daß er nie auf die künftige Erbschaft seines Onkels hin Geld geborgt habe, und Fred ist kein Lügner. Ich will ihn nicht besser machen, als er ist. Ich habe ihn gehörig auf dem Strich und Niemand kann sagen, daß ich ihm durch die Finger sehe. Aber er ist kein Lügner. Und ich sollte denken – ich kann mich irren – daß keine religiöse Überzeugung Jemanden davon abhalten könnte, von einem jungen Menschen, so lange man nichts Schlimmes von ihm weiß, das Beste zu glauben. Das wäre eine schlechte Religion, die es in diesem Falle nicht zuließe, etwas Unrechtes, das man zu glauben keine Ursache hat, in Abrede zu stellen, und die Dich nötigte, Fred durch die Weigerung einer solchen Erklärung etwas in den Weg zu legen.«

      »Ich bin durchaus nicht sicher, daß ich als Freund gegen Deinen Sohn handeln würde, wenn ich ihm den Weg zu dem künftigen Besitze von Featherstone's Vermögen ebnete. Ich kann Reichtum nicht als einen Segen für Diejenigen betrachten, welche darin nur eine Ernte für diese Welt erblicken. Du hörst so etwas nicht gern, Vincy, ich halte es aber für meine Pflicht, Dir bei dieser Gelegenheit zu sagen, daß ich keinen Grund habe, einer Disposition über Eigentum wie diejenige, von welcher Du sprichst, Vorschub zu leisten. Ich nehme keinen Anstand, es auszusprechen, daß dieselbe nicht zur Förderung des Seelenheils Deines Sohnes gereichen oder zur Ehre Gottes dienen würde. Warum sollte ich also eine solche Art von eidlicher Bescheinigung schriftlich ausstellen, die doch keinen andern Zweck haben würde, als den, eine törichte Vorliebe zu nähren und ein törichtes Vermächtnis zu sichern?«

      »Darauf kann ich Dir nur erwidern: Wenn nach Deinem Willen nur Heilige und Evangelisten Geld haben sollen, so mußt Du auch einige vorteilhafte geschäftliche Verbindungen aufgeben,« platzte Herr Vincy heraus. »Es mag zur Ehre Gottes gereichen, aber es gereicht dem Middlemarcher Geschäft nicht zur Ehre, daß Plymdale sich der grünen und blauen Farben bedient, welche er aus der Messingfabrik bezieht, und welche die Seide anfressen – so viel weiß ich. Wenn die Leute wüßten, daß der daraus gewonnene Profit zur Ehre Gottes gereicht, so würden sie vielleicht mehr davon halten. Aber ich lege darauf keinen so großen Wert – sonst könnte ich einen gewaltigen Lärm schlagen.«

      Herr Bulstrode wartete einen Augenblick, bevor er antwortete.

      »Du betrübst mich sehr durch solche Reden, Vincy. Ich darf nicht erwarten, in den Grundsätzen meines Handelns von Dir verstanden zu werden; es ist schon keine leichte Sache, in den Verwickelungen dieser Welt den rechten Weg einzuhalten, noch viel schwerer aber, den Gedankenlosen und den Spöttern die Richtigkeit dieses Weges klar zu machen: Vergiß gefälligst nicht, daß ich gegen Dich, als den Bruder meiner Frau, Nachsicht übe und daß es Dir schlecht ansteht, Dich darüber zu beklagen, daß ich Deiner Familie materielle Hilfe versage. Ich muß Dich daran erinnern, daß Du es nicht Deiner Vorsicht oder Deiner Urteilsfähigkeit verdankst, wenn Du Dich in Deinem Geschäfte behauptet hast.«

      »Das ist wohl möglich, aber Du hast bis jetzt durch mein Geschäft noch nichts verloren,« entgegnete Herr Vincy sehr aufgebracht, wie er es, auch wenn er sich noch so fest vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben, in der Regel zu werden pflegte. »Und als Du Harriet heiratetest, mußtest Du Dir sagen, daß unsere Familien für einander einstehen müßten. Wenn Du seitdem anderer Meinung geworden bist und meine Familie herunterkommen lassen willst, so tätest Du besser, es grade heraus zu sagen.