George Eliot

Middlemarch


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sprach sie die letzten Worte in einem zitternd gereizten Tone.

      »Hol' der Henker John Waule, ich wollte Sie nicht erzürnen. Ich wußte nicht, daß Sie irgend eine Ursache hätten, ihm dankbar zu sein. Ich vergaß, für einen wie großen Dienst Sie es halten, wenn Jemand ein Licht für Sie putzt.«

      Auch Fred hatte seinen Stolz und wollte nicht zeigen, daß er wisse, was diesen Gefühlsausbruch bei Mary veranlaßt habe.

      »O, ich bin nicht erzürnt, außer über den Lauf der Welt. Ich mag gern, daß man mit mir wie mit einer Person spricht, die gesunden Menschenverstand hat. Ich glaube wirklich bisweilen, daß ich etwas mehr verstehen könnte, als ich je zu hören bekomme, – selbst von jungen Herren, welche auf der Universität gewesen sind.«

      Mary hatte sich wieder erholt, und sie sprach mit einem halbunterdrückten kleinen Lachen, das ihrer Stimme etwas angenehmes gab.

      »Ich mache mir nichts daraus, wenn Sie heute Morgen auf meine Kosten lustig sind,« sagte Fred. »Als Sie vorhin hinauf kamen, schienen Sie so traurig auszusehen. Es ist eine Schande, daß Sie sich hier so schlecht behandeln lassen müssen.«

      »O, mein Leben ist noch leicht genug im Vergleich mit dem Anderer. Ich habe es versucht, zu unterrichten, und habe gefunden, daß ich dazu nicht passe; ich liebe es zu sehr, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich denke, das härteste Los ist noch besser, als sich für etwas bezahlen zu lassen, was man in der Tat gar nicht leistet. Alles, was hier zu tun ist, kann ich so gut wie irgend eine Andere, und vielleicht besser als Einige – z. B. Rosy, die eines von jenen reizenden Geschöpfen ist, wie sie in Märchen verzauberte Prinzen befreien.«

      »Rosy?« rief Fred im Tone des äußersten brüderlichen Skeptizismus.

      »Gehen Sie, Fred,« sagte Mary emphatisch, »Sie haben kein Recht so kritisch zu sein.«

      »Meinen Sie damit irgend etwas Besonderes?«

      »Nein, ich meine damit etwas Allgemeines.«

      »O, daß ich träge und verschwenderisch bin. Nun ja, ich bin nicht dazu gemacht, ein armer Mann zu sein. Ich wäre kein übler Kerl geworden, wenn ich reich geboren wäre.«

      »Das heißt, Sie würden Ihre Pflicht in einer Lebenslage getan haben, in welche es Gott nicht gefallen hat, Sie zu versetzen,« sagte Mary lachend.

      »Nun ja, ich könnte als Geistlicher so wenig meine Pflicht tun, wie Sie die Ihrige als Gouvernante. Sie sollten dafür ein wenig Mitgefühl haben, Mary.«

      »Ich habe nie gesagt, daß Sie ein Geistlicher werden sollten. Es gibt ja andere Arten-»von Tätigkeit. Es scheint mir sehr erbärmlich, sich nicht zu irgend einer Laufbahn entschließen und diesem Entschluss gemäß handeln zu können.«

      »Das würde ich können; wenn –« Fred brach ab, stand auf und lehnte sich an das Kaminsims.

      »Wenn Sie gewiß wären, kein Vermögen zu bekommen?«

      »Das habe ich nicht gesagt. Sie wollen sich durchaus mit mir zanken. Es ist sehr häßlich von Ihnen, sich von dem, was andere Leute von mir sagen, leiten zu lassen.«

      »Wie kann ich mich mit Ihnen zanken wollen? Da würde ich mich ja mit allen meinen neuen Büchern zanken,« sagte Mary, indem sie den auf dem kleinen Tische liegenden Band berührte. »Wie unartig Sie auch gegen andere Leute sein mögen, gegen mich sind Sie doch immer gut.«

      »Weil ich Sie lieber habe als irgend einen andern Menschen; aber ich weiß, Sie verachten mich.«

      »Ja, das tue ich, ein wenig,« sagte Mary, indem sie lächelnd mit dem Kopfe nickte.

      »Sie würden einen ganz ausgezeichneten Menschen bewundern, der weise Ansichten über Alles hätte.«

      »Ja, das würde ich.«

      Mary nähte mit raschen Stichen an ihrer Arbeit und beherrschte, zu Freddy's Verdruss, ersichtlich die Situation vollkommen. Wenn eine Unterhaltung eine für uns ungünstige Wendung genommen hat, so pflegen wir, nur noch immer tiefer in den Sumpf der Ungeschicklichkeit zu versinken. Das fühlte Fred Vincy.

      »Ich glaube, ein Mädchen liebt nie einen Mann, den sie gekannt hat, so lange sie denken kann. Es muß immer ein Fremder sein, der einem Mädchen Eindruck macht.«

      »Lassen Sie mich einmal sehen,« sagte Mary, indem sie die Mundwinkel schelmisch verzog; »ich muß mich auf meine Erfahrungen besinnen. Da ist Julia; die scheint ein Beleg für Ihre Behauptung zu sein. Aber auf der andern Seite hatte doch Ophelia Hamlet schon lange gekannt; und Brenda Troil, die hatte doch Mordaunt Merton seit ihrer frühesten Jugend gekannt; aber freilich scheint er auch ein sehr achtbarer junger Mann gewesen zu sein; und wiederum war Minna noch verliebter in Cleveland, der ein Fremder war. Waverley war auch ein Fremder für Flora Mac-Ivor, aber sie verliebte sich auch nicht in ihn. Und da sind ferner Olivia Primrose und Corinna – von denen kann man auch sagen, daß sie sich in Fremde verliebt haben. Alles in Allem sprechen meine Erfahrungen gleich stark für beides.«

      Bei diesen Worten warf Mary Fred einen schelmischen Blick zu, welchen er sehr gern hatte, obgleich ihre Augen nichts waren als klare Fenster, aus welchen eine scharfe Beobachtung lachend hervorguckte. Er hatte in Wahrheit ein empfängliches Gemüt, und wie er vom Knaben zum Manne herangereift war, war auch seine Liebe für diese alte Spielgefährtin gewachsen, ungeachtet seiner »gelehrten« Erziehung, welche seine Ansprüche an Rang und Vermögen so sehr gesteigert hatte.

      »Wenn ein Mann seine Liebe nicht erwidert sieht, nützt es ihm nichts, zu erklären, daß er ein besserer Mensch sein würde – ich meine, daß er Alles leisten könnte, wenn er gewiß wäre, wieder geliebt zu werden.«

      »Es nützt ihm nicht das Mindeste zu erklären, er könnte besser sein. – Möchte, wollte, könnte, – das sind lauter nichtsnutzige Hilfszeitwörter.«

      »Ich sehe nicht ein, wie ein Mensch viel nütze sein soll, wenn er nicht ein weibliches Wesen hat, das ihn zärtlich liebt.«

      »Ich finde, er müßte sich bewähren, bevor er zu einer solchen Erwartung berechtigt wäre.«

      »O Mary! Sie wissen doch nur zu gut, daß Frauen die Männer nicht ihrer Güte wegen lieben.«

      »Vielleicht nicht, aber wenn sie sie lieben sollen, dürfen sie sie doch nicht für schlecht halten.«

      »Es ist doch wohl nicht recht, mich schlecht zu nennen.«

      »Ich rede ja gar nicht von Ihnen.«

      »Ich werde nie zu irgend etwas in der Welt nütze sein, Mary, wenn Sie nicht erklären wollen, daß Sie mich lieben, wenn Sie nicht versprechen wollen, mich zu heiraten, ich meine, sobald ich im Stande bin zu heiraten.«

      »Wenn ich Sie liebte, würde ich Sie doch nicht heiraten – würde ich Ihnen doch nicht das Versprechen geben, Sie je zu heiraten.«

      »Das finde ich sehr schlecht von Ihnen, Mary. Wenn Sie mich lieben, so sollten Sie auch versprechen, mich zu heiraten.«

      »Im Gegenteil, ich finde, es wäre schlecht von mir, Sie zu heiraten, selbst wenn ich Sie liebte.«

      »Sie meinen in meiner jetzigen Lage, wo ich ohne Mittel bin, eine Frau zu ernähren. Natürlich, ich bin erst dreiundzwanzig Jahre alt.«

      »In dieser Beziehung werden Sie sich ändern, ob aber auch in irgend einer andern Beziehung, das ist mir zweifelhaft. Mein Vater sagt, ein Müssiggänger sollte gar nicht existieren, geschweige heiraten.«

      »Dann muß ich mir also eine Kugel vor den Kopf schießen.«

      »Nein, Alles in Allem täten Sie, glaube ich, besser Ihr Examen zu machen. Ich habe Herrn Farebrother sagen hören, das Examen sei schmachvoll leicht.«

      »Das ist Alles sehr schön. Ihm ist Alles leicht. Nicht als ob Begabung irgend etwas damit zu tun hätte. Ich bin zehnmal begabter, als viele Leute, die im Examen durchkommen.«

      »Du lieber Gott,« sagte Mary, die eine sarkastische Bemerkung nicht unterdrücken konnte, »da begreift man, wie solche Leute,