George Eliot

Middlemarch


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sein und ich zweifle sehr, ob man das Leben leichter nimmt, je älter man wird.«

      »Nein,« sagte Rosamunde nachdenklich, »man begreift nicht, wie solche Menschen ohne alle Aussichten es aushalten. Die Religion muß ihnen Trost bieten. Aber,« fügte sie hinzu, indem sie ihre Grübchen zeigte, »mit Dir ist es etwas ganz anderes, Mary, Dir kann ja noch Jemand einen Antrag machen.«

      »Hat Dir Jemand gesagt, daß er mir einen machen wolle?«

      »Das natürlich nicht. Ich meine, es gibt einen Herrn, der sich in Dich verlieben könnte, weil er Dich fast jeden Tag sieht.«

      Mit Mary's Gesicht ging eine gewisse Veränderung vor, welche hauptsächlich dadurch hervorgebracht wurde, daß sie sich fest vornahm nicht verändert auszusehen.

      »Macht das die Menschen immer in einander verliebt?« warf sie nachlässig hin, »mir scheint es eben so oft ein Grund, einander zu verabscheuen.«

      »Nicht wenn sie interessant und liebenswürdig sind, und Herr Lydgate soll beides sein.«

      »O, Herr Lydgate,« sagte Mary mit einem nicht misszudeutenden Rückfall in ihren gleichgültigen Ton. »Du möchtest etwas Näheres über ihn wissen,« fügte sie hinzu, indem sie nicht geneigt war, Rosamunden's Wunsch, auf indirektem Wege zum Ziele zu gelangen, zu willfahren.

      »Ich möchte nur wissen, wie er Dir gefällt.«

      »Bis jetzt kann von ›gefallen‹ nicht die Rede sein. Wenn mir Jemand gefallen soll, so muß er mir ein bisschen freundlich entgegen kommen. Ich bin nicht großherzig genug, um Leute gern zu haben, die mit mir reden, ohne mich auch nur anzusehen.«

      »Ist er so hochmütig?« fragte Rosamunde mit wachsender Befriedigung. »Weißt Du, daß er von guter Familie ist?«

      »Nein, das hat er mir nicht als Grund angegeben.«

      »Mary, Du bist das sonderbarste Mädchen von der Welt. Aber wie sieht er eigentlich aus? Beschreibe ihn mir doch einmal.«

      »Wie kann man einen Mann beschreiben? Ich kann Dir höchstens ein Inventar seiner körperlichen Beschaffenheit geben: dicke Augenbrauen, dunkle Augen, eine grade Nase, volles schwarzes Haar, große feste weiße Hände und, wart' einmal – o, ein ausgesucht feines Batist-Schnupftuch! Aber Du wirst ihn ja sehen. Du weißt, er kommt fast immer um diese Zeit.«

      Rosamunde errötete ein wenig, sagte dann aber nachdenklich: »Ich mag wohl etwas hochmütige Manieren; ich kann geschwätzige junge Männer nicht ausstehen.«

      »Ich habe nicht gesagt, daß Herr Lydgate hochmütig sei, aber: › il y en a pour tous les goûts‹, wie die kleine Mademoiselle zu sagen pflegte, und wenn es ein Mädchen gibt, welches sich die Art von Selbstgefälligkeit, die ihr gefallen würde, aussuchen kann, so bist Du es, glaube ich, Rosy.«

      »Hochmut ist nicht Selbstgefälligkeit; ich nenne Fred selbstgefällig.«

      »Ich wollte, es sagte Niemand etwas Schlimmeres von ihm. Er sollte sich besser in Acht nehmen. Frau Waule hat Onkel erzählt, Fred sei sehr unsolide.«

      Mary sagte das von einem mädchenhaften Impulse getrieben, der die Oberhand über ihr ruhiges Urteil gewann. Das Wort »unsolide« verursachte ihr ein unbestimmtes Unbehagen, und sie hoffte, Rosamunde werde etwas sagen, dieses Gefühl zu verscheuchen. Aber sie unterließ es absichtlich, Frau Waule's detailliertere Insinuationen zu erwähnen.

      »O, Fred ist ein schrecklicher Mensch!« sagte Rosamunde.

      Sie würde sich ein so unpassendes Wort gegen Niemanden als gegen Mary erlaubt haben.

      »Was meinst Du mit ›schrecklich‹?«

      »Er ist so träge und macht Papa so böse und sagt, er will kein Geistlicher werden«

      »Ich glaube, Fred hat ganz Recht.«

      »Wie kannst Du das sagen, Mary? Ich hätte Dir mehr religiösen Sinn zugetraut.«

      »Er paßt nicht zum Geistlichen.«

      »Er müßte aber dazu passen.«

      »Nun dann ist er eben nicht so, wie er sein müßte. Ich kenne noch einige andere Menschen, die in demselben Falle sind.«

      »Dann ist auch Niemand mit ihnen zufrieden. Ich möchte keinen Geistlichen heiraten, aber es muß doch Geistliche geben.«

      »Daraus folgt noch nicht, daß Fred einer werden muß.«

      »Aber wenn Papa sich doch schon die Kosten gemacht hat, ihn dazu erziehen zu lassen! Und nimm nur einmal den Fall an, daß er Nichts erbte?«

      »Den Fall kann ich sehr gut annehmen,« erwiderte Mary trocken.

      »Dann wundere ich mich, wie Du Fred in Schutz nehmen kannst,« sagte Rosamunde, welche diesen Punkt gerne ins Reine bringen wollte.

      »Ich nehme ihn nicht in Schutz,« sagte Mary lachend. »Ich möchte nur jedes Kirchspiel dagegen schützen, ihn zum Geistlichen zu bekommen.«

      »Aber natürlich, wenn er ein Geistlicher wäre, müßte er anders sein.«

      »Ja, er würde ein großer Heuchler sein müssen, und das ist er noch nicht.«

      »Es nützt Nichts, Mary, mit Dir darüber zu reden, Du nimmst immer Fred's Partie.«

      »Warum soll ich denn nicht seine Partie nehmen?« fragte Mary mit blitzendem Auge. »Er würde ja auch meine nehmen. Er ist der einzige Mensch, der es der Mühe wert hält, sich mir freundlich zu erweisen.«

      »Diese Äußerung ist mir, offen gestanden, sehr unangenehm, Mary,« sagte Rosamunde in ihrem mildesten Ernst. »Ich möchte das Mama um Alles in der Welt nicht wieder erzählen.«

      »Was möchtest Du ihr nicht wieder erzählen?« fragte Mary aufgebracht.

      »Bitte, Mary, werde nicht heftig,« sagte Rosamunde milde wie immer.

      »Wenn Deine Mama bange ist, daß Fred mir einen Antrag machen könnte, so kannst Du ihr sagen, ich würde ihn nicht heiraten, auch wenn er um mich anhalten sollte. Aber ich bin überzeugt, daß er gar nicht daran denkt, und sicher ist, daß er noch nicht um mich angehalten hat.«

      »Mary, Du bist immer so leidenschaftlich«

      »Und Du reizest mich immer so.«

      »Ich? was hast Du mir vorzuwerfen?«

      »O vorwurfsfreie Menschen sind immer die, die uns am meisten reizen. Da wird geklingelt – ich glaube, wir müssen hinunter.«

      »Ich wollte keinen Streit mit Dir anfangen,« sagte Rosamunde, indem sie ihren Hut aufsetzte.

      »Streit anfangen, dummes Zeug, wir haben uns nicht gestritten. Wenn man nicht bisweilen heftig gegen einander werden sollte, wozu wäre man denn befreundet?«

      »Soll ich wiederholen, was Du gesagt hast?«

      »Ganz wie Du willst. Ich sage nie etwas, dessen Wiederholung ich zu scheuen hätte. Aber laß uns hinunter gehen.«

      Herr Lydgate kam diesen Morgen etwas spät, aber die Besuchenden blieben lange genug, um ihn noch zu sehen; denn Herr Featherstone hatte Rosamunde gebeten, ihm etwas vorzusingen, und sie war freundlich genug gewesen, ihm sein Lieblingslied: »O, wann kehrst Du zurück, mein treuer Johnnie« vorzusingen, nachdem sie vorher: »Wir winden Dir den Jungfernkranz,« ein Lied, welches sie verabscheute, gesungen hatte. Der hartköpfige Alte äußerte sich beifällig über dieses Genre von Liedern, als etwas für Mädchen besonders Passendes und wahrhaft Schönes, da Gefühl grade das Rechte für ein Lied sei.

      Herr Featherstone klatschte nach dem letzten Liede Beifall, und versicherte sein »Fräulein Nichte«, daß ihre Stimme so klar sei, wie die eines Singvogels, als Herrn Lydgate's Pferd am Fenster vorüberkam.

      Die unangenehme Aussicht auf das ermüdende Einerlei des Verkehrs mit einem alten Patienten, der sich gar nicht vorstellen kann, daß ihn die Arznei nicht kurieren würde, wenn nur der Doctor geschickt genug wäre –, in Verbindung mit seinem allgemeinen