George Eliot

Middlemarch


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sieht nach den Pferden und wird gleich hier sein.«

      »Setz' Dich, setz' Dich. Frau Waule, Du tust wohl besser fortzugehen.«

      Selbst diejenigen unter Peter Featherstone's Nachbaren, welche ihn einen alten Fuchs nannten, hatten ihn doch nie einer nicht aufrichtig gemeinten Höflichkeit geziehen, und seine Schwester war schon ganz an den eigentümlichen Mangel jeder Förmlichkeit, welcher den Verkehr mit seinen Blutsverwandten charakterisierte, gewöhnt.

      In der Tat war sie selbst zu glauben geneigt, daß für Mitglieder einer und derselben Familie die völlige Entbindung von dem Zwang, sich einander angenehm zu machen, den Absichten des Allmächtigen entspreche. Sie stand langsam ohne irgend ein Zeichen von Empfindlichkeit auf und sagte in ihrer gewöhnlichen, murmelnden eintönigen Weise:

      »Bruder, ich hoffe, der neue Doctor wird etwas für Dich tun können. Salomon sagt, die Leute sprechen viel von seiner Geschicklichkeit. Ich wünsche wirklich von Herzen, daß Du uns erhalten bleibest. Und niemand ist mehr bereit Dich zu pflegen, als Deine rechte Schwester und Deine rechten Nichten, wenn Du es nur sagen wolltest. Da sind Rebecca und Johanna und Elisabeth, weißt Du.«

      »Ja, ja, ich weiß ganz gut, – ich will Dir beweisen, daß ich mich ihrer Aller ganz gut erinnere – sie sind Alle dunkel und häßlich, ihnen täte ein bisschen Geld sehr nötig, wie? Von den Frauen in unserer Familie war nie eine hübsch; aber die Featherstone's haben immer etwas Geld gehabt und die Waule's auch. Waule hat auch Geld gehabt. Waule saß gut in der Wolle Ja, ja, Geld ist ein gutes Ei; und wenn man Geld zu hinterlassen hat, soll man es in ein warmes Nest legen. Adieu, Frau Waule!«

      Bei diesen Worten zupfte Herr Featherstone an beiden Seiten seiner Perücke, als ob er sich die Ohren zuhalten wolle, und seine Schwester ging, über seinen letzten orakelhaften Ausspruch grübelnd, von dannen. Ungeachtet ihrer Eifersucht auf die Vincy's und Mary Garth, lag doch als unterster Bodensatz in der Tiefe ihres Herzens die Überzeugung, daß ihr Bruder, Peter Featherstone, den Hauptbestandteil seines Vermögens niemals seinen Blutsverwandten entziehen werde. Warum hatte sonst der Allmächtige seine beiden Frauen kinderlos zu sich genommen, nachdem er so viel Geld an Manganerz und anderen Dingen, an die vorher Niemand gedacht, verdient hatte. Und warum gab es in Lowick eine Kirche, in welcher die Waules und Powderells seit Generationen in demselben Kirchenstuhl und die Featherstone's dicht dabei gesessen hatten, wenn am nächsten Sonntag nach dem Tode ihres Bruders Peter, jeder Mensch erfahren sollte, daß sein Vermögen aus der Familie gegangen sei? Der menschliche Geist hat sich zu keiner Zeit bei dem Gedanken an ein sittliches Chaos beruhigen können und etwas so Widersinniges, wie es die hier in Aussicht genommene Möglichkeit gewesen wäre, war doch nicht zu fassen. Aber wir fürchten Vieles, was wir nicht eigentlich zu fassen vermögen.

      Als Fred ins Zimmer trat, betrachtete ihn der Alte mit einem eigentümlichen Augenzwinkern, welches der junge Mann oft Gelegenheit gehabt hatte, sich als eine Äußerung des Stolzes auf die Reize seiner Erscheinung auszulegen.

      »Geht Ihr Beiden auch fort, Mädchen,« sagte Herr Featherstone, »ich habe mit Fred zu reden.«

      »Komm mit mir auf mein Zimmer, Rosamunde. Du wirst Dir für die kurze Zeit aus der Kälte nichts machen,« sagte Mary.

      Die beiden Mädchen hatten sich nicht nur als Kinder gekannt, sondern waren in derselben Provinzialschule zusammen gewesen, so daß sie viele gemeinschaftliche Erinnerungen hatten und sehr gern vertraulich mit einander plauderten. In Wahrheit war dieses tête-à-tête einer der Zwecke, welche Rosamunde nach Stone Court geführt hatten.

      Der alte Featherstone wollte die Unterredung mit Fred nicht eher anfangen, als bis sich die Tür hinter den Mädchen geschlossen hätte. Er fuhr fort, Fred mit demselben Augenzwinkern und einer seiner gewöhnlichen Grimassen zu betrachten, welche darin bestand, daß er abwechselnd seine Lippen zusammenpreßte und weit öffnete. Als er dann zu sprechen anfing, geschah es in einem leisen Tone, welcher eher einem bezahlten Denunzianten, als einem erzürnten älteren Mann anzugehören schien. Es lag nicht in seiner Art, selbst wenn es sich um Vergehen gegen seine eigene Person handelte, eine ernste sittliche Entrüstung zu empfinden. Er fand es sehr natürlich, daß Andere es versuchte, ihn zu übervorteilen, nur daß er ein bisschen zu schlau für sie war.

      »So, mein junger Herr, Sie haben zehn Prozent für Geld bezahlt, welches Sie durch eine Hypothek auf mein Land, die Sie nach meinem Tode geben wollen, abzubezahlen versprochen haben, wie? Sie schätzen meine Lebensdauer auf etwa zwölf Monate, aber ich kann mein Testament noch ändern.«

      Fred errötete. Er hatte zwar kein Geld in der angegebenen Weise geborgt und das aus sehr triftigen Gründen; aber er war sich bewußt, ziemlich zuversichtlich (vielleicht zuversichtlicher, als er sich selbst erinnerte), von seiner Aussicht, Featherstone's Landbesitz zu erben, gesprochen und diesen Besitz als ein künftiges Mittel, gegenwärtige Schulden zu bezahlen, bezeichnet zu haben.

      »Ich weiß nicht, was Du meinst, Onkel. Ich habe ganz gewiß nie Geld auf eine so unsichere Aussicht hin geborgt. Bitte, erkläre Dich näher.«

      »Nein, mein Lieber, Du mußt mir die Sache erklären. Ich kann mein Testament noch ändern, vergiß das nicht. Ich bin bei vollem Verstande, kann Zins auf Zins im Kopf berechnen und erinnere mich des Namens jedes Narren, mit dem ich einmal zu tun gehabt habe, noch ganz so gut, wie vor zwanzig Jahren. Was Teufel! Ich bin ja noch keine Achtzig. Ich sage Dir, Du mußt diese Geschichte in Abrede stellen.«

      »Ich habe sie ja in Abrede gestellt, Onkel,« antwortete Fred mit einer Nuance von Ungeduld im Tone; er vergaß, daß in der Ausdrucksweise seines Onkels »in Abrede stellen« so viel bedeute, wie »beweisen, daß etwas nicht wahr sei,« obgleich Niemand weiter davon entfernt war, die beiden Begriffe mit einander zu verwechseln, als der alte Featherstone, der sich oft darüber wunderte, daß so viele Narren seine eigenen Behauptungen für Beweise nahmen. »Aber,« fuhr Fred fort, »ich stelle die Geschichte nochmals förmlich in Abrede, sie ist eine alberne Lüge.«

      »Dummes Zeug, Du mußt mir Beweise bringen, ich habe die Geschichte von dem besten Gewährsmann.«

      »Nenne mir Deinen Gewährsmann und laß ihn Dir den Mann nennen, von welchem ich das Geld geborgt haben soll, dann kann ich beweisen, daß die Geschichte nicht wahr ist.«

      »Mein Gewährsmann ist sehr gut, ein Mann, der glaube ich fast Alles weiß, was in Middlemarch vorgeht. Es ist Dein feiner, frommer, mildtätiger Onkel.«

      Bei diesen Worten schüttelte der Alte sich, was bei ihm gute Laune bedeutete.

      »Herr Bulstrode?«

      »Wer anders, wie?«

      »Ach dann haben sicherlich ein paar salbungsreiche Worte, die er vielleicht über mich hat fallen lassen, Veranlassung zu dieser Lügengeschichte gegeben. Behaupten die Leute, er habe den Mann, der mir das Geld geliehen, namhaft gemacht?«

      »Wenn es einen solchen Mann gibt, so kennt ihn Bulstrode, darauf kannst Du Dich verlassen. Aber vielleicht hast Du nur versucht, das Geld zu bekommen, und hast es nicht bekommen, das würde Bulstrode auch wissen. Du mußt mir ein Schreiben von Bulstrode bringen, in welchem er erklärt, er glaube nicht, daß Du jemals versprochen habest, Deine Schulden mit meinem Landbesitz zu bezahlen. Hörst Du?«

      Featherstone's Gesicht mußte die ganze Scala seiner Grimassen durchmachen, um seinem stillen Triumphe über die Ungetrübtheit seiner geistigen Fähigkeiten zum vollen Ausdrucke zu verhelfen.

      Fred fühlte, daß er sich in einem widerwärtigen Dilemma befand.

      »Du scherzest gewiß, Onkel; Herr Bulstrode läßt sich wie andere Leute eine Menge von Dingen aufbinden, und er hat ein Vorurteil gegen mich. Ich würde ihn leicht dahin bringen können, schriftlich zu erklären, daß er keine Tatsachen zum Beweise des Gerüchts weiß, von dem Du sprichst, obgleich das zu Unannehmlichkeiten führen könnte. Aber ich könnte ihn doch kaum bitten, sich schriftlich über das zu erklären, was er in Betreff meiner glaubt oder nicht glaubt.« Fred hielt einen Augenblick inne, und fügte dann mit einem vermeintlich schlau berechneten Appell an die Eitelkeit seines Onkels hinzu: »So etwas kann doch ein Gentleman nicht von mir verlangen.«

      Aber er sah sich in seiner Erwartung von der