George Eliot

Middlemarch


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einer neuen Methode Fieber zu heilen gehört habe. Herr Lydgate hatte die ausgezeichnete ärztliche Eigenschaft, immer ernst auszusehen, auch wenn er den größten Unsinn mit anhören mußte, und seine dunklen ruhigen Augen trugen noch mehr dazu bei, den Eindruck hervorzubringen, daß er sehr gut zuzuhören wisse. Er war dem tiefbetrauerten Hicks so unähnlich wie möglich, namentlich in einer gewissen natürlichen Eleganz seiner Toilette und seiner Aussprache. Gleichwohl faßte Lady Chettam Vertrauen zu ihm. Er bestärkte sie in ihrer Ansicht über ihre Constitution, indem er dieselbe, wenn man auch alle Konstitutionen eigentümlich nennen dürfe, als besonders eigentümlich bezeichnete. Er war weder für ein zu schwächendes System, ein zu häufiges Schröpfen mit einbegriffen, noch auch andererseits für zu häufige Anwendung von Portwein und Chinin. Er wußte die Worte: »Ich glaube wohl« mit einer so eindrucksvollen Miene ergebener Zustimmung auszusprechen, daß Lady Chettam die beste Meinung von seiner Geschicklichkeit gewann.

      »Ihr Protégé gefällt mir sehr gut,« sagte sie beim Fortgehen zu Herrn Brooke.

      »Mein Protégé? – Du lieber Himmel, wer ist denn das,« fragte Brooke.

      »Der junge Lydgate, der neue Doctor. Er scheint mir sein Geschäft vortrefflich zu verstehen.«

      »O, Lydgate! Der ist nicht mein Protégé, wissen Sie; ich habe nur einen Onkel von ihm gekannt, der mir seinetwegen geschrieben hat. Indessen glaube ich wohl, daß er etwas Vorzügliches ist, – er hat in Paris studiert, hat Broussais gekannt, und hat Ideen, wissen Sie – er möchte seinen Beruf heben.« –

      »Lydgate hat eine Menge von ganz neuen Ideen über Ventilation und Diät, und was dahin gehört,« nahm Herr Brooke wieder auf, nachdem er Lady Chettam an den Wagen geführt hatte, und nun an eine Gruppe von Middlemarchern herangetreten war.

      »Hol's der Henker, halten Sie etwas davon, wenn einer die alte Lebensweise über den Haufen werfen will, welche die Engländer zu dem gemacht hat, was sie sind?« fragte Herr Standish.

      »Ärztliches Wissen ist bei uns noch sehr dürftig vertreten,« bemerkte Herr Bulstrode, der leise sprach und kränklich aussah. »Ich meinesteils begrüße die Ankunft des Herrn Lydgate freudig. Ich hoffe, er wird sich so bewähren, daß ich ihm das neue Hospital anvertrauen kann.«

      »Das ist Alles sehr schön,« entgegnete Herr Standish, welcher Herrn Bulstrode nicht mochte; »wenn Sie ihn Experimente an Ihren Hospitalkranken machen und ein paar Leute unentgeltlich umbringen lassen wollen, so habe ich nichts dagegen. Aber ich werde wahrhaftig kein Geld ausgeben, um an mir experimentieren zu lassen. Ich lobe mir eine Behandlung, welche schon ein bisschen erprobt ist.«

      »Nun Sie wissen, Standish, jede Dosis Medizin, die Sie einnehmen, ist ein Experiment – ein Experiment, wissen Sie!« sagte Herr Brooke, indem er dem Advokaten zunickte.

      »O, wenn Sie es so verstehen!« sagte Herr Standish mit einem so unzweideutigen Ausdruck des Widerwillens gegen eine andere als eine juristische Wortklauberei, wie ihn ein Advokat einem wertvollen Klienten gegenüber nur irgend zu erkennen geben kann.

      »Ich würde mir jede Behandlung gern gefallen lassen, die mich heilen würde, ohne mich zu einem Skelett zu machen, wie den armen Grainger,« bemerkte Herr Vincy, der Mayor, ein Mann von blühendem Aussehen, welcher, im schärfsten Kontrast zu den Francia'schen Tinten des Herrn Bulstrode, als eine Studie für die Darstellung üppigen Fleisches hätte dienen können. »Es ist, wie Jemand bemerkt hat, ein außerordentlich gefährliches Ding, den Pfeilen der Krankheit gar keine Auspolsterung entgegen setzen zu können, und mir scheint der Ausdruck sehr treffend.«

      Es versteht sich von selbst, daß Herr Lydgate dieses Gespräch nicht mit anhörte. Er hatte die Gesellschaft schon zeitig verlassen, und würde dieselbe höchst langweilig gefunden haben, hätten ihn nicht einige neue Bekanntschaften, namentlich die von Fräulein Brooke interessiert, deren jugendlich blühendes Wesen, in Verbindung mit ihrer bevorstehenden Heirat mit jenem bleichen Gelehrten, und ihrem Interesse für soziale Fragen, ihr den Reiz einer ungewöhnlichen Erscheinung verliehen.

      »Ein herzensgutes Wesen, dieses schöne Mädchen aber ein bisschen zu ernsthaft,« dachte er. »Es ist mühsam, sich mit solchen Frauen zu unterhalten. Sie verlangen immer Gründe; sind aber doch zu unwissend, die wahre Bedeutung irgend einer Frage zu verstehen, und verfallen in der Regel immer wieder in ihre angeborene Neigung, sich die Dinge zurecht zu legen, wie es ihnen zusagt.«

      Offenbar war Fräulein Brooke's so wenig für Herrn Lydgate, wie für Herrn Chichely, die Art von Mädchen, die ihm gefiel. Allerdings war sie auch, wenn man sie vom Standpunkte eines so gereiften Geistes, wie Herr Chichely es war, aus betrachtete, ein völliger Missgriff der Natur, welcher ihn in seinem Vertrauen auf die Zwecke der Vorsehung, zu welchen doch auch die Bestimmung hübscher junger Mädchen für lebenslustige Junggesellen gehörte, wohl irre machen konnte.

      Aber Lydgate war noch nicht so gereift, und konnte möglicherweise noch Erfahrungen im Leben machen, welche seine Ansichten über das, was an einer Frau vor Allem zu schätzen sei, modifizieren könnten. –

      Indessen sollte Fräulein Brooke keinen dieser beiden Herren als Mädchen wieder begegnen. Nicht lange nach dieser Mittagsgesellschaft war sie Frau Casaubon geworden, und hatte alsbald ihre Reise nach Rom angetreten.

      11

      But deeds and language such as men do use,

      And persons such as comedy would choose,

      When she would show an image of the times,

      And sport with human follies, not with crimes.

       Ben Jonson: Everyman in His Humour

      Lydgate war in jenem Augenblicke schon von einem Mädchen bezaubert, welches von Fräulein Brooke grundverschieden war; er meinte zwar keineswegs sein moralisches Gleichgewicht verloren zu haben und verliebt zu sein, aber er hatte von diesem Mädchen gesagt: »Sie ist die Grazie selbst, sie ist höchst anmutig und reizend. So muß eine Frau sein, sie muß auf uns wirken wie herrliche Musik.«

      Häßliche Frauen betrachtete er, wie die übrigen schweren Probleme des Lebens, als einen Gegenstand philosophischer Resignation und wissenschaftlicher Forschung Aber Rosamunde Vincy schien ihm den echten Reiz einer schönen Melodie zu haben und wenn ein Mann einmal das Mädchen gefunden hat, welches er gewählt haben würde, wenn er die Absicht gehabt hätte, sich bald zu verheiraten, so hängt die Fortdauer seiner Junggesellenschaft gewöhnlich mehr von ihrem als von seinem Entschluss ab.

      Lydgate glaubte, er werde sich noch in den nächsten Jahren nicht verheiraten, nicht eher, als bis er sich selbst einen sicheren, von der breiten Heerstraße abliegenden Weg gebahnt haben würde. Er kannte Fräulein Vincy fast schon eben so lange Zeit, wie Casaubon gebraucht hatte, sich zu verloben und zu verheiraten; aber dieser gelehrte Herr besaß ein Vermögen; er hatte Bände voll Notizen gesammelt, und hatte sich jene Art von Ruf erworben, welche der Ausführung einer Arbeit voran geht – jenen Ruf, welcher so oft den Hauptbestandteil des Ruhms eines Mannes bildet. Er nahm sich, wie wir gesehen haben, eine Frau, auf daß sie ihm das noch übrige Viertel seines Lebens verschönere und ihm als ein kleiner Mond leuchte, welcher eine kaum berechenbare Störung seines Kreislaufs verursachen würde.

      Aber Lydgate war jung, arm und ehrgeizig. Er hatte noch nicht, wie Casaubon, sein halbes Jahrhundert hinter sich und war mit der Absicht nach Middlemarch gekommen, viele Dinge zu unternehmen, welche nicht direkt darauf abzielten, ihm ein Vermögen zu schaffen, oder auch nur ihm ein gutes Einkommen zu sichern. Für einen Mann in solchen Verhältnissen bedeutet seine Verheiratung etwas mehr als eine Frage der Verschönerung des Lebens, wie hoch er auch diese schätzen möge, und Lydgate war geneigt, sie als die höchste Aufgabe einer Frau zu betrachten.

      Nach seiner aus einer einzigen Unterhaltung geschöpften Ansicht war dies der Punkt, wo Fräulein Brooke, trotz ihrer unleugbaren Schönheit, zu wünschen übrig ließ. Sie betrachtete die Dinge nicht aus dem nach seiner Ansicht für Frauen angemessenen Gesichtspunkte. Die Gesellschaft solcher Frauen schien ihm ungefähr eine so gute Erholung, wie wenn man nach schwerer Arbeit daran gehen müßte, Lektionen in Quinta zu geben, anstatt sich in einem