George Eliot

Middlemarch


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zu vieler neuer Ideen herrührte.

      Schon als Dorothea das Esszimmer verließ, machten sich verschiedene über sie angestellte Beobachtungen in leisen Ausrufen Luft. »Eine stattliche Erscheinung, das, eine ungewöhnlich stattliche Erscheinung, bei Gott!« bemerkte Herr Standish, der alte Advokat, der seit langen Jahren in so vielfachen Verbindungen mit dem Landadel stand, daß er selbst etwas Landadliges bekommen hatte und sich daher dieses mit großem Aplomb ausgerufenen »bei Gott« als des unzweideutigen Kennzeichens eines vornehmen Mannes bediente.

      Die Worte schienen an Herrn Bulstrode, den Bankier, gerichtet zu sein; aber dieser Herr war kein Freund von rohen und profanen Ausdrücken und verneigte sich nur schweigend.

      Ausgenommen aber wurde die Bemerkung von Herrn Chichely, einem als Jagdliebhaber bekannten Junggesellen von mittleren Jahren, mit einem Teint von der Farbe eines Ostereis und mit spärlichen Haaren, die er mit äußerster Sorgfalt frisierte, einem Manne, welcher in seinem ganzen Benehmen das stolze Bewusstsein seiner distinguierten Erscheinung zu erkennen gab.

      »Ja,« sagte er, »aber nicht meine Schönheit. Ich liebe ein wenig mehr Koketterie bei Frauen. Wir Männer sehen es gern, wenn die Frauen etwas Herausforderndes in ihrem Wesen haben. Je stürmischer sie attackieren, desto besser.«

      »Darin liegt etwas Wahres,« erwiderte Herr Standish, der zu einem munteren Gespräch aufgelegt war, »und bei Gott, das ist ja die Art der meisten Frauen und ich denke mir, das ist von der Vorsehung weise so eingerichtet, was Bulstrode?«

      »Ich bin mehr geneigt weibliche Koketterie auf eine andere Quelle zurückzuführen. Ich würde eher den Teufel als ihren Urheber betrachten.«

      »Nun ja, ein bisschen Teufel im Leibe müssen die Weiber auch haben,« entgegnete Herr Chichely, dessen Studium des schönen Geschlechts seiner Rechtgläubigkeit verderblich geworden zu sein schien. »Und ich lobe mir die Blonden, mit einer gewissen Art sich zu bewegen und einem Schwanenhalse. Unter uns, meinem Geschmack sagt die Mayors-Tochter mehr zu, als Fräulein Dorothea, und auch als Fräulein Celia. Wenn ich noch an's Heiraten dächte, so würde ich Fräulein Vincy den Vorzug vor beiden Schwestern geben.«

      »O Sie können das Versäumte ja nachholen,« bemerkte Herr Standish in scherzendem Tone, »Sie sehen ja, die Männer in mittleren Jahren sind die Helden des Tages.«

      Herr Chichely schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. Er wollte die sichere Aussicht, von seiner Erwählten angenommen zu werden, doch lieber nicht auf die Probe stellen.

      Das Fräulein Vincy, welches die Ehre hatte, von Herrn Chichely als Ideal erkoren zu sein, war natürlich nicht da; denn Herr Brooke, der sich in Acht nahm, nicht zu weit zu gehen, wünschte nicht, daß seine Nichten mit der Tochter eines Fabrikanten anders als bei öffentlichen Gelegenheiten zusammen kämen. Unter den weiblichen Mitgliedern der Gesellschaft befand sich keines, an dessen Anwesenheit Lady Chettam oder Frau Cadwallader hätten Anstoß nehmen können, denn die Witwe des Oberst Renfrew, war nicht nur von untadeliger Abkunft, sondern auch interessant durch ihr körperliches Leiden, welches die Verzweiflung der Ärzte war und einen Fall bildete, in welchem man, wie die Damen überzeugt waren, genötigt sein würde, trotz aller zu Gebote stehenden medizinischen Gelehrsamkeit, doch zur Quacksalberei seine Zuflucht zu nehmen. Lady Chettam, welche ihre sehr gute Gesundheit dem reichlichen Genuss selbstfabrizierter »Bitterer« in Verbindung mit beständiger ärztlicher Pflege zuschrieb, ging mit dem ganzen Aufgebot ihrer Einbildungskraft auf Frau Renfrew's Bericht über die Symptome ihres Leidens und die erstaunliche Unwirksamkeit aller stärkenden Arzneien in ihrem Falle ein.

      »Wo mögen nur die stärkenden Ingredienzien all der Arzneien bleiben, meine Liebe?« fragte die milde, aber majestätische alte Dame nachdenklich Frau Cadwallader, als Frau Renfrew's Aufmerksamkeit von diesem Gespräche abgelenkt wurde.

      »Sie stärken die Krankheit,« erwiderte die Frau Pfarrerin, die von viel zu guter Herkunft war, um nicht eine Dilettantin der Heilkunde zu sein. »Alles hängt von der Constitution des Menschen ab, bei einigen Menschen wird alles zu Fett, bei andern zu Blut, und bei wieder andern zu Galle. Das ist meine Ansicht von der Sache, und was sie auch einnehmen mögen, gibt ihrer körperlichen Tendenz neue Nahrung.«

      »Da müßte sie also, wenn Sie Recht haben, meine Liebe, reduzierende Medizin nehmen, eine Medizin, welche die Krankheit reduziert, wissen Sie. Und ich glaube, was Sie sagen, ist verständig.«

      »Gewiß ist es das. Auf demselben Felde ziehen Sie zwei verschiedene Sorten Kartoffeln. Die eine wird immer wässeriger –«

      »Ah, wie die arme Frau Renfrew, das glaube ich auch. Wassersucht! Geschwulst ist noch nicht sichtbar, es ist bis jetzt nur erst innerlich. Ich sollte denken, sie müßte trocknende Arznei nehmen, meinen Sie nicht auch? – Oder ein trockenes heißes Luftbad. Es gibt vielerlei Mittel von trocknender Natur, die man versuchen könnte.«

      »Sie sollte es mit den Flugschriften eines gewissen Herrn versuchen,« sagte Frau Cadwallader leise, als sie die Herren eintreten sah. »Der bedarf keiner Austrocknung.«

      »Wen meinen Sie?« fragte Lady Chettam, eine charmante Frau, deren Auffassung aber nicht rasch genug war, um das Vergnügen einer Erklärung für sie überflüssig zu machen.

      »Ich meine den Bräutigam – Casaubon. Seit seiner Verlobung ist seine Austrocknung noch rascher vor sich gegangen, das tut gewiß das Feuer der Leidenschaft.«

      »Mir scheint, der Mann hat nicht die beste Gesundheit,« sagte Lady Chettam noch leiser. »Und dabei hat er ein so trocknes Studium, wie Sie sagen.«

      »Neben Sir James sieht er wahrhaftig aus, wie ein für die Gelegenheit mit Haut überzogener Totenkopf. Merken Sie auf meine Worte, ich sage Ihnen, heute übers Jahr wird das Mädchen ihn hassen. Jetzt blickt sie zu ihm auf, wie zu einem Orakel, aber bei Kleinem wird sie ins entgegengesetzte Extrem verfallen. Es ist Alles Faselei!«

      »Welche traurige Aussicht, ich fürchte, sie ist halsstarrig. Aber sagen Sie mir, Sie kennen ihn ja genau, hat er wirklich sehr schlimme Eigenschaften? Sagen Sie mir die Wahrheit?«

      »Die Wahrheit? Er ist so schlimm, wie verkehrte Medizin, er schmeckt schlecht, und bekommt Einem schlecht.«

      »Etwas Schlimmeres könnte es gar nicht geben,« sagte Lady Chettam, welcher der Vergleich mit der Medizin so sehr einleuchtete, daß sie eine genaue Auskunft über die schlechten Seiten Casaubon's erhalten zu haben glaubte. »Aber auf Fräulein Brooke will James nichts kommen lassen. Er sagt, sie sei für ihn noch immer das Muster eines Mädchens.«

      »Das ist eine edle Täuschung von ihm. Verlassen Sie sich darauf, ihm gefällt die kleine Celia besser, und sie weiß ihn zu würdigen. Ich hoffe, meine kleine Celia gefällt Ihnen auch.«

      »Gewiß; sie macht sich mehr aus Geraniums und scheint gelehriger, wenn sie auch keine so stattliche Erscheinung ist. Aber wir sprachen von Arznei, erzählen Sie mir doch etwas von dem neuen jungen Arzt, Herrn Lydgate. Ich höre, er ist außerordentlich talentvoll und er sieht danach aus, er hat eine sehr schöne Stirn.«

      »Er ist ein Gentleman. Ich habe ihn mit Humphrey sprechen gehört. Er spricht gut.«

      »Ja, Herr Brooke sagt, er gehört zu den Lydgates von Nortumberland, einer sehr guten Familie. Man erwartet das gar nicht, bei einem Professionisten dieser Art. Ich meinesteils ziehe die Ärzte vor, die auf einer Linie mit Dienstboten stehen; sie sind oft nur um so geschickter. Ich versichere Sie, ich habe das Urteil des armen Hicks' unfehlbar gefunden; ich habe ihn nie auf einem Irrtum ertappt. Er war ordinär und hatte Manieren, wie ein Schlächter, aber er kannte meine Constitution. Sein plötzlicher Tod war ein großer Verlust für mich. Sehen Sie doch einmal, in welcher lebhaften Unterhaltung Fräulein Brooke mit diesem Herrn Lydgate begriffen ist.«

      »Sie spricht mit ihm von Arbeiterwohnungen und Hospitälern,« sagte Frau Cadwallader, deren Ohren eben so scharf waren wie ihre Fassungskraft rasch. »Ich glaube, er ist eine Art Philanthrop, da ist er natürlich etwas für Brooke.«

      »James,« sagte Lady Chettam zu ihrem Sohne, als er an sie herantrat, »bringe mir doch einmal Herrn Lydgate her, und stelle mir ihn vor, ich möchte sehen was an ihm ist.«

      Die