George Eliot

Middlemarch


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mir komisch vor, daß er Tertius heißt,« sagte die freundlich blickende Matrone, »aber es ist natürlich ein in der Familie üblicher Name. Und nun erzähle uns ordentlich, was für eine Art Mann er ist?«

      »O, ziemlich groß, dunkel, gescheit, spricht gut – macht sich etwas wichtig.«

      »Ich kann nie recht dahinter kommen, was Du unter ›wichtig machen‹ verstehst,« sagte Rosamunde.

      »Wichtig macht sich Einer, wenn er zeigen will, daß er seine eigenen Ansichten hat.«

      »Aber, lieber Fred, Ärzte müssen doch ihre eigenen Ansichten haben,« sagte Frau Vincy. »Wozu anders sind sie denn da?«

      »Ja, Mutter, die Ansichten für die sie bezahlt werden. Aber einer, der sich wichtig macht, tut immer, als wenn er Einem mit seinen Ansichten ein Geschenk machte.«

      »Ich glaube, Mary Garth hat sehr viel für Herrn Lydgate übrig,« sagte Rosamunde, nicht ohne eine Nuance von kleiner Malice.

      »Das weiß ich wahrhaftig nicht,« sagte Fred in etwas verdrießlichem Tone, indem er vom Tische aufstand, einen Roman, den er mit hinunter gebracht hatte, ergriff und sich damit in einen Lehnstuhl warf. »Wenn Du eifersüchtig auf sie bist, so gehe selbst öfter nach Stone-Court und mache sie tot!«

      »Bediene Dich doch nicht so ordinärer Ausdrücke, Fred. Wenn Du fertig bist, bitte klingele.«

      »Aber wahr ist es doch, was Dein Bruder sagt, Rosamunde,« fing Frau Vincy an, als der Diener abgedeckt hatte. »Es ist jammerschade, daß Du es nicht über Dich gewinnen kannst, Onkel öfter zu besuchen, so stolz, wie er auf Dich ist, und er wollte ja, daß Du ganz zu ihm zögest. Wer weiß, was er dann für Dich und für Fred getan hätte. Gott weiß, wie gern ich Dich bei mir habe; aber ich kann mich auch von meinen Kindern trennen, wenn es zu ihrem Besten ist. Und jetzt kannst Du Dich darauf verlassen, daß Onkel Featherstone etwas für Mary Garth tun wird.«

      »Mary Garth kann es in Stone Court wohl aushalten, weil ihr das besser gefällt, als Gouvernante zu sein,« sagte Rosamunde, indem sie ihre Arbeit zusammenlegte. »Lieber will ich nichts erben, als Onkels Husten und seine häßlichen Verwandten oft ertragen müssen.«

      »Er kann nicht mehr lange leben, liebes Kind, ich möchte sein Ende nicht beschleunigen, aber mit seinem Asthma und seinem inneren Leiden, – wir wollen hoffen, daß er es in einer andern Welt besser bekommt. Und ich meine es gewiß nicht schlecht mit Mary Garth, aber es muß doch Alles gerecht in der Welt zugehen. Und Herrn Featherstone's erste Frau hat ihm kein Geld mitgebracht, wie meine Schwester. Die Nichten und Neffen der ersten Frau können nicht so viel Anspruch auf die Erbschaft machen, wie die Nichten und Neffen meiner Schwester. Und ich muß gestehen, ich finde, daß Mary Garth ein schrecklich häßliches Mädchen ist, das besser für eine Gouvernante paßt.«

      »Darin werden Dir wohl nicht alle Leute beistimmen,« sagte Fred, welcher die Fähigkeit zu besitzen schien, zugleich zu lesen und zuzuhören.

      »Nun, lieber Fred,« erwiderte Frau Vincy, indem sie eine geschickte Schwenkung machte, »wenn sie auch etwas erben sollte, – Männer, die arme Frauen nehmen, müssen ja ihre armen Verwandten mitheiraten, und die Garths sind ja so arm und leben so bescheiden. Aber ich will Euch Euren Studien überlassen, liebe Kinder, denn ich muß in die Stadt, um einige Einkäufe zu machen.«

      »Fred's Studien sind nicht grade sehr tief,« sagte Rosamunde, indem sie zugleich mit ihrer Mutter aufstand, »er liest nur einen Roman.«

      »Nun, nun, nachher wird er auch schon an sein Latein und die andern Geschichten gehn,« sagte Frau Vincy, indem sie ihrem Sohne das Haar beschwichtigend streichelte. »Ich habe dazu schon im Rauchzimmer heizen lassen. Du weißt, lieber Fred, Dein Vater wünscht es, und ich sage ihm immer, Du wirst ein guter Junge sein, und wieder auf die Universität gehen, um Dein Examen noch einmal zu machen.«

      Fred zog die Hand seiner Mutter an die Lippen, sagte aber nichts.

      »Du reitest heute wohl nicht aus,« sagte Rosamunde zögernd, kurz nachdem ihre Mama fortgegangen war.

      »Du kannst morgen mit mir reiten, wenn Du Lust hast. Ich muß aber nach Stone Court, weißt Du.«

      »Ach, ich reite so gern, daß es mir einerlei ist, wohin wir gehen.«

      In Wahrheit wünschte Rosamunde grade nach Stone Court zu reiten.

      »Hört einmal, Rosy,« sagte Fred, als sie im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, »wenn Du Dich an's Klavier setzest, sag' mir Bescheid, und laß mich ein paar Lieder mit Dir spielen.«

      »Bitte, verlange das nur heute Morgen nicht von mir.«

      »Warum denn grade heute Morgen nicht?«

      »Ich möchte wirklich, Fred, Du gäbest es auf, Flöte zu blasen. Es sieht so albern aus, wenn ein Mann die Flöte bläst. Und Du spielst so aus dem Takt.«

      »Das nächste Mal, wenn Jemand Ihnen den Hof macht. Fräulein Rosy, werde ich ihm sagen, wie verbindlich Sie sind.«

      »Was hast Du für ein größeres Recht darauf, daß ich mich Dir durch anhören Deines Flötenspiels verbindlich erweise, als ich darauf, daß Du Dich mir dadurch verbindlich erweisest, daß Du nicht Flöte bläsest?«

      »Und was hast Du für ein Recht darauf, daß ich mit Dir ausreite?«

      Diese Frage führte eine gütliche Beilegung des geschwisterlichen Zwistes herbei, denn Rosamunde hatte sich grade auf diesen Ritt ganz besonders gespitzt.

      So übte sie wohl beinahe eine Stunde mit ihrem Bruder »An Alexis send' ich Dich,« »Ich war, wenn ich erwachte« und andere Lieblingslieder aus seinem »Lehrmeister auf der Flöte,« deren Exerzitium, wie der ganzen schnaufenden Beschäftigung Fred mit großem Ehrgeiz und nie ermattender Hoffnung auf Vervollkommnung oblag.

      12

      He had more tow on his distaffe

      Than Gerveis knew.

       Chaucer: The Miller's Tale

      Der Ritt nach Stone Court, welchen Fred und Rosamunde am nächsten Morgen machten, führte eine gute Strecke weit durch echt englische Landschaft, fast lauter Wiesen und Weideland, auf Wegen, die von Hecken eingezäunt waren, welche noch in üppiger Fülle wuchsen und rote Früchte für die Vögel ausstreuten. Jedes Feld hatte seine besondere Physiognomie, welche den von Jugend auf an sie gewöhnten Augen teuer war. Der Teich im Winkel, an welchem Sumpfgräser wuchsen und über welchen flüsternde Weiden gebeugt standen; die große Eiche, welche eine kahle Stelle inmitten des Weidelandes beschattete; der hohe Hügel, auf welchem Erlen wuchsen, die steile Böschung der alten Mergelgrube, welche einen roten Hintergrund für die Kletten bildete; die zerstreut daliegenden Dächer und Heuschober bäuerlicher Heimstätten, zu welchen kein erkennbarer Weg führte; das graue Tor und die Zäune, die sich von dem saftigen Grün des angrenzenden Wäldchens abhoben, und die einsame Hütte mit ihrem alten, alten Strohdache, auf welchem die Jahre Hügel und Täler von Moos gebildet hatten, die einen wundervollen Wechsel von Licht und Schatten darboten, eine Hügellandschaft im Kleinen, wie wir sie im späteren Leben in weiter Ferne suchen und wohl größer, aber nicht schöner finden –, das sind die Dinge, welche für die im Innern Englands Geborenen der Landschaft den höchsten Reiz verleihen, die Gegenstände, unter denen sie als Kinder herumtrippelten, die sich ihnen einprägten, wenn sie im Wagen zwischen den Knien ihres Vaters stehend, langsam durch die Landschaft dahinfuhren.

      Aber die Wege, selbst die Seitenwege waren vortrefflich; denn in dem Lowicker Kirchspiel gab es, wie wir gesehen haben, keine kotigen Gässchen und keine armen Gutsleute, und durch das Lowicker Kirchspiel führte Fred und Rosamunde ihr Weg, nachdem sie etwa eine halbe Meile geritten waren. Noch eine Viertelstunde und sie waren in Stone Court und schon am Ende der ersten Hälfte dieser Strecke wurde das Haus sichtbar, welches aussah, als ob es durch das unerwartete Entstehen vieler landwirtschaftlicher Gebäude an seiner linken Seite, in seinem Ausbau zu einem steinernen Herrenhause aufgehalten und verhindert worden wäre, mehr als die stattliche Wohnung eines Hofbesitzers zu werden.