George Eliot

Middlemarch


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Das ist das einzige, was ich an Dir auszusetzen habe. Du hast das beste Temperament von der Welt, und doch bist Du so reizbar gegen Deine Brüder.«

      »Nicht reizbar, Mama, Du hörst mich gewiß nie etwas unfreundlich sagen.«

      »Nun ja, aber Du willst ihnen Manches vorenthalten.«

      »Brüder sind so unangenehm.«

      »O, liebes Kind, Du mußt mit jungen Männern Nachsicht haben. Sei dankbar dafür, daß sie gute Herzen haben. Frauen müssen lernen Kleinigkeiten leicht zu ertragen. Du wirst Dich doch einmal verheiraten.«

      »Aber nicht mit einem Manne, der so ist wie Fred.«

      »Bring' Deinen eigenen Bruder nicht in Verruf, liebes Kind. Es gibt wenige junge Leute, gegen welche sich so wenig sagen ließe, wenn er auch sein Examen nicht hat machen können, warum, begreife ich offen gestanden nicht; denn mir scheint er doch ein höchst talentvoller Mensch zu sein. Und Du weißt ja selbst, wie er auf der Universität zu den besten Gesellschaften eingeladen wurde. Aber Du, liebes Kind, bist auch so eigen! – Du solltest froh sein, einen so gentilen jungen Mann zum Bruder zu haben. An Robert hast Du immer auszusetzen, daß er nicht wie Fred ist.«

      »O nein, Mama, nur daß er Robert ist.«

      »Nun, liebes Kind, Du wirst keinen jungen Mann in Middlemarch finden, gegen den sich nicht etwas sagen ließe.«

      »Aber« – bei diesen Worten zeigte sich auf Rosamunden's Gesicht ein Lächeln, welches plötzlich zwei Grübchen zu Tage förderte. Sie selbst mochte diese Grübchen nicht, und pflegte deshalb in größerer Gesellschaft wenig zu lächeln.

      »Aber ich werde keinen jungen Mann aus Middlemarch heiraten.«

      »So scheint es, liebes Kind. Denn Du hast ja den höchsten Nummern unter ihnen so gut wie einen Korb gegeben, und wenn es einen bessern Mann gibt als diese, so existiert gewiß kein Mädchen, das ihn mehr verdiente, als Du.«

      »Nimm es nicht übel, Mama, ich möchte aber, Du sagtest nicht ›die höchsten Nummern‹.«

      »Warum, was sind sie denn anders?«

      »Ich meine den Ausdruck, Mama, der ein bisschen gar zu vulgär ist«

      »Das mag wohl sein, liebes Kind, ich habe mich nie auf eine gewählte Sprache verstanden. Was sollte ich denn sagen?«

      »Die besten unter ihnen.«

      »Warum denn, der Ausdruck scheint mir eben so häßlich und gewöhnlich. Wenn ich es mir überlegt hätte, würde ich gesagt haben: ›Die feinsten jungen Männer‹. Aber Du mit Deiner Erziehung mußt es besser wissen.«

      »Was muß Rosy wissen?« fragte Fred, der, während die Damen über ihre Arbeiten gebeugt dasaßen, unbemerkt durch die halboffne Tür ins Zimmer geschlüpft war, und jetzt an das Kamin trat, sich mit dem Rücken gegen dasselbe stellte und die Sohlen seiner Pantoffeln daran wärmte.

      »Ob es richtig ist, zu sagen: ›die feinsten jungen Männer‹,« antwortete Frau Vincy, indem sie wieder die Klingel zog.

      »Ach es gibt jetzt so viele ›feinste‹ Tee- und Zuckersorten. ›Fein‹ wird nachgrade ein Ladenjargon-Ausdruck.«

      »Seit wann bist Du denn ein Feind von Jargon?« fragte Rosamunde mit mildem Ernst.

      »Nur ein Feind von der falschen Art von Jargon. Alle besondern Ausdrücke sind Jargon und bezeichnend für eine bestimmte Gesellschaftsklasse.«

      »Es gibt korrektes Englisch, welches kein Jargon ist.«

      »Bitte um Vergebung, korrektes Englisch ist der Jargon der naseweisen Patrone, welche Geschichte und Essays schreiben. Und der stärkste Jargon von Allen ist der Jargon der Dichter.«

      »Dir kommt es nicht darauf an, Fred, was Du sagst, wenn es Dir nur scheinbar zum Beweis einer Behauptung dient.«

      »Nun, sag' mir doch, ob es Jargon oder Poesie ist einen Ochsen ›schleppfüßig‹ zu nennen.« –

      »Natürlich kannst Du es Poesie nennen, wenn Du willst.«

      »Oho, Fräulein Rosy, Sie wissen Homer nicht von Jargon zu unterscheiden. Ich werde ein neues Spiel erfinden; ich werde kleine Sätze aus den Klassikern und Andere in Jargon auf Zettel schreiben und sie Dir geben, um sie zu sondern.«

      »Weiß Gott, es ist doch höchst amüsant, junge Leute reden zu hören!« sagte Frau Vincy im Tone freudiger Bewunderung.

      »Haben Sie nichts anderes für mich zum Frühstück, Pritchard?« fragte Fred den Diener, der eben Kaffee und geröstetes Brot mit Butter hereinbrachte, indem er dabei um den Tisch herumging und sich den darauf stehenden Schinken, das gehackte Ochsenfleisch und andere Reste von kalter Küche, mit einer Miene stillen Missvergnügens und höflicher Enthaltung von Äußerungen des Widerwillens betrachtete.

      »Haben Sie Lust zu Eiern, Herr?«

      »Eier, nein, lassen Sie mir ein Hühnerbein rösten.«

      »Wahrhaftig, Fred,« sagte Rosamunde, als der Diener das Zimmer verlassen hatte, wenn Du durchaus warme Speisen zum Frühstück haben mußt, so solltest Du doch früher hinunter kommen. Du kannst doch um sechs Uhr morgens aufstehen, wenn Du jagen willst, ich begreife nicht, warum Du es so schwer findest, auch an andern Tagen früher aufzustehen.«

      »Das liegt an Deinem schwachen Begriffsvermögen, Rosy. Ich kann aufstehen, um zu jagen, weil es mir Vergnügen macht.«

      »Was würdest Du von mir denken, wenn ich zwei Stunden später als Alle hinunter käme und gebratene Hühnerbeine beorderte?«

      »Ich würde denken, daß Du eine sehr verwöhnte junge Dame seiest,« sagte Fred, indem er mit der größten Gemütsruhe sein geröstetes Brot verzehrte.

      »Ich sehe nicht ein, welches größere Recht Brüder haben, sich unangenehm zu machen, als Schwestern.«

      »Ich mache mich nicht unangenehm, Du findest mich nur so. Unangenehm ist ein Wort, daß Deine Gefühle, aber nicht meine Handlungen bezeichnet.«

      »Ich finde, es bezeichnet den Geruch von gerösteten Hühnerbeinen.«

      »Durchaus nicht, es bezeichnet eine Sinnesempfindung in Deiner kleinen Nase, in Verbindung mit gewissen zimperlichen Ideen, welche Du in Frau Lemon's Schule eingesogen hast. Sieh Dir doch Mutter an, sie hat an Nichts als an dem, was sie selbst tut, etwas auszusetzen. Sie ist mein Ideal einer charmanten Frau.«

      »Gott segne Euch Beide, liebe Kinder, streitet Euch doch nicht,« sagte Frau Vincy mit mütterlicher Herzlichkeit. »Komm, Fred, erzähle uns ein wenig von dem neuen Doctor, wie gefällt er Onkel Featherstone?«

      »Ich glaube, ganz gut. Er tut Lydgate alle erdenklichen Fragen und schneidet dann, wenn dieser ihm antwortet, Gesichter, als wenn die Antworten ihn in die Zehen kniffen. Das ist so seine Manier. Ah, da kommt mein gebratenes Hühnerbein.«

      »Aber, weshalb bist Du gestern Abend so spät nach Hause gekommen, lieber Fred? Du sagtest ja, Du wolltest nur Onkel besuchen.«

      »O, ich habe bei Plymdale zu Mittag gegessen und nachher haben wir eine Partie Whist gemacht, Lydgate war auch da.«

      »Und wie gefällt er Dir? Er ist, glaube ich, ein echter Gentleman. Er soll von sehr guter Familie sein, – mit den besten Grafschaftsfamilien verwandt?«

      »Ja,« sagte Fred, »bei John war ein Lydgate, der ungeheuer viel Geld ausgab. Und ich höre, daß dieser Lydgate ein Großcousin des Doktors ist. Aber reiche Leute können sehr arme Schlucker zu Großcousins haben.«

      »Es macht doch immer einen Unterschied, ob Jemand von guter Familie ist,« sagte Rosamunde, in einem so sicheren Tone, daß man wohl merkte, sie habe über diesen Gegenstand näher nachgedacht.

      Rosamunde fühlte, daß sie vielleicht glücklicher gewesen wäre, wenn sie nicht einen Middlemarcher Fabrikanten zum Vater gehabt hätte, und Alles, was sie daran erinnerte, daß der Vater ihrer Mutter ein Gastwirt gewesen, war ihr unangenehm. Jeder, dem