Luise Hennich

Krötenküssen


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noch reglos neben ihrem paralysierten Hund stand.

      Ich tätschelte seinen monumentalen Kopf, während ich versuchte, mich wieder einigermaßen zu fassen.

      Die Fee starrte mich an. Ich bemerkte, wie ich zu schwitzen begann. War mit mir etwas nicht in Ordnung - abgesehen von all dem, das mit mir nicht in Ordnung war, aber das sie unmöglich sehen konnte? Schließlich öffnete sie den Mund und sagte etwas zu mir, dass ich nicht verstand. Es klang wie: „Du streichelst meinen Hund.“

      Ich sah sie verständnislos an.

      Ja klar, streichelte ich ihren Hund.

      Wo war das Problem?

      „Wotan lässt sich eigentlich nicht von Fremden anfassen.“

      Scheiße!

      „Und eigentlich wollen Fremde ihn auch gar nicht anfassen.“

      Verdammt, jetzt hieß es cool bleiben.

      Natürlich ließ sich Wotan – was für ein Name für dieses Urzeitmonster - von mir anfassen. Mir war noch kein Tier unter der Sonne begegnet, das sich nicht von mir anfassen ließ. Doch die Erklärung dafür konnte ich natürlich nicht liefern. Also sagte ich nur betont lässig: „Ich mag Hunde, die merken das.“ Ging es eigentlich noch dämlicher?

      Die Fee sah mich zweifelnd und ungläubig an. Aber noch bevor sie etwas entgegnen konnte, schallte eine tiefe Frauenstimme durch den Garten und nannte die Fee bei ihrem Namen.

      Mia.

      Den Rest des Satzes verstand ich nicht mehr. Ihr Name klang noch immer in meinen Ohren.

      „Du bist also Mia“, sagte ich und streckte ihr völlig konfus die Hand entgegen. „Ich bin Rasputin.“

      Sie ignorierte meine Hand, was wahrscheinlich auch besser war, denn womöglich hätte mich bei dieser Berührung der Schlag getroffen. Unvermittelt sagte sie stattdessen:

      „Du hast heute mein Leben gerettet.“

      Ich zog meine Hand, die noch immer nutzlos zwischen uns schwebte, wieder zurück und kam mir blöd vor. Um den Eindruck zu revidieren, machte ich auf cool:

      „So dramatisch würde ich das nicht sehen!“ Was für ein dämlicher Satz; natürlich war es dramatisch gewesen! Aber es kam noch dämlicher.

      „Und dann warst du plötzlich weg“, stellte sie sachlich fest.

      „Ich musste mich beeilen“, hörte ich mich sagen. Himmel, die Fee schien mein Sprachzentrum zu lähmen oder vielleicht mein gesamtes Großhirn. Was stammelte ich da für einen Unsinn?

      Gerettet wurde ich durch eine schrill gekleidete ältere Frau, die mit großen Schritten durch den Garten auf uns zukam. Ich erkannte sie sowohl an ihrem Outfit als auch an ihrer Stimme. Sie war es gewesen, die heute Morgen mit Mia im Café war und sie war es auch gewesen, die heute Vormittag bei uns mit ihrer Flasche Schnaps in der Hand geklingelt hatte. Und nun redete sie davon, dass ihre Nichte, also war sie wohl die Tante, dem Alkohol verfallen war. Ich warf einen prüfenden Blick auf die Fee, um zu sehen, ob sie betrunken war, kam aber nicht dazu, irgendetwas zu sagen, denn Tante Rosie, wie Mia sie nannte, setzte zu einer Dankestirade an, die sich über gefühlte zehn Minuten erstreckte und in der ich erfuhr, dass die Fee sich offenbar nur versehentlich am Nachmittag betrunken hatte und außerdem offenbar für ein Jahr mit dieser Verrückten alleine war.

      Insgeheim zog ich die Möglichkeit in Betracht, dass „Tante Rosie“ wie ein Insekt über Tracheen verfügte, die es ihr ermöglichten, Atmen und Reden unabhängig von einander zu betreiben, als sie dann doch plötzlich Luft holen musste und kurz verstummte.

      Während des ganzen Redeschwalls sah die Fee mich peinlich berührt an. Ich hielt mich weiter an ihrem Monsterhund fest und brachte ein: „Geht es dir gut?“ hervor, ehe ihre Tante, versorgt mit Sauerstoff, wieder das Wort ergriff. Sie lud mich nun zum Essen ein.

      Ich war völlig perplex und wusste nicht so recht was ich sagen sollte. Heute Morgen war ich noch der Held und nun schien es so, als würde ich hier von einer Peinlichkeit in die nächste stolpern.

      Also betraten wir das Haus der Fee. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber auf das, was mich erwartete, war ich nicht vorbereitet. Vor mir breitete sich ein unbeschreibliches Chaos aus. Die gesamte untere Etage schien weitgehend durch unzählige zum größten Teil geöffnete aber nicht ausgeräumte Umzugskartons unbewohnbar gemacht. Mias Tante schien dies allerdings nicht weiter zu stören, denn munter stolzierte sie vor uns her in die Küche.

      Zu meiner Überraschung stand hier zwischen verstreutem Wohnzimmermobiliar und einem Computer tatsächlich Essen auf dem Herd und es roch sehr appetitlich.

      Ich bemerkte, dass mir der Magen knurrte. Tatsächlich hatte ich eigentlich den ganzen Tag über nichts gegessen.

      Mias Tante tischte irgendwas mit Hühnchen auf und ich erklärte höflich, dass es sich um eines meiner Leibgerichte handelte, während ich unablässig aus dem Augenwinkel die Fee beobachtete und dabei gleichzeitig auf die zahllosen Fragen ihrer Tante antwortete.

      Die Fee schwieg.

      Was den Redefluss anging, schien sie nicht viel mit ihrer Tante gemeinsam zu haben. Oder war es ihr unangenehm, dass ich jetzt hier zusammen mit ihr saß? Vielleicht fand sie mich ja blöd, und wäre mich gerne nach einem kurzen „Danke schön“ für die Lebensrettung wieder losgeworden? Wahrscheinlich war es so. Dass man jemandem das Leben rettete, bedeutete ja nun noch lange nicht, dass sich dieser sofort hoffnungslos in seinen Retter verliebte. Das gab es ja wohl nur in Romanen. Schlechten Romanen!

      Ich war ein Idiot und wer hatte mich in diese bescheuerte Situation gebracht? Wolf! Wo steckte er überhaupt? Diskret ließ ich meinen Blick schweifen und entdeckte ihn, wie er schwanzwedelnd Tante Rosie zu Füssen lag. Diese setzte währenddessen ihre inquisitorische Befragung fort.

      Die Fee schwieg weiterhin.

      Rosie entrang mir das Bekenntnis, dass ich die Schule noch nicht beendet hatte und noch ein Jahr bis zum Abitur brauchte. Wenn wir uns einigermaßen niedergelassen hatten, würde ich hier das letzte Jahr am Gymnasium absitzen.

      Die Fee hustete.

      Ihre Tante sah sie entsetzt an, weil sie dachte, sie hätte wieder etwas im Hals stecken. Ich sah sie entsetzt an, weil ich mir sicher war, dass sie sich ob der Aussicht, mich nun auch noch tagtäglich treffen zu müssen, vor Schreck verschluckt hatte.

      Sie sah uns beide mit Tränen in den Augen an und meinte: „Alles in Ordnung, ich habe mich nur ein bisschen verschluckt.“

      Betont sachlich sagte ich zu ihr gewandt: „Passiert dir das öfter? Dann solltest du mal zum Arzt gehen.“

      „Nein, nein“, hüstelte sie. „Eigentlich verschlucke ich mich sonst nie.“

      Komisch, warum dann zweimal an ein und demselben Tag, fragte ich mich im Stillen.

      Es wurde Zeit für mich zu gehen. Wie von Zauberhand klingelte mein Handy gerade in diesem Moment. Komisch, dass niemand dran war; aber das merkte ja nur ich.

      Ich lauschte ein bisschen in die tote Leitung und nickte dann eifrig. „Ich bin gleich da“, versicherte ich dem nicht vorhandenen Gesprächsteilnehmer und legte auf.

      „Ich muss leider los“, sagte ich zu Rosie gewandt und befahl Wolf mit einem kurzen Nicken zu mir herüber.

      Und um meine Popularität noch ein bisschen zu steigern, gab ich der Fee noch einen markigen Spruch mit auf den Weg, bevor ich ohne ein weiteres Wort verschwand.

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