Luise Hennich

Krötenküssen


Скачать книгу

was einfallen, womit du ihn beschäftigen kannst“, erwiderte mein Vater, als er meinen Blick sah.

      Konnte er jetzt auch noch Gedanken lesen? Oder konnte er womöglich schon immer Gedanken lesen und es war mir nur nicht aufgefallen?

      „Mach dir keine Sorgen, ich kann keine Gedanken lesen“, sagte er. Verwirrt sah ich ihn an. „Dein Blick hat bloß Bände gesprochen!”, sagte er grinsend und wandte sich zum Gehen.

      Ich fühlte eine kleine Hand in meiner und blickte hinunter.

      „Was willst du machen?”, fragte ich ihn.

      „Weiß nicht“, antwortete er. Na, da hatte er wohl eine seiner kreativen Phasen.

      Ich stellte mich stur. „Ich weiß auch nichts.“ Aaron blickte nachdenklich in die Ferne. Ich ließ seine Hand los und stellte den Presslufthammer, den ich immer noch fest umschlossen hielt, beiseite.

      Schließlich drehte sich mein kleiner Bruder zu mir um, strahlte mich an und sagte nur ein Wort: „Pferde.“

      Die „Pferde“ standen in einem der maroden Nebengebäude, das wir provisorisch zu einem Stall umgewandelt hatten und hatten schlechte Laune, als wir eintraten.

      Ich hatte Aaron auf meine Schultern gesetzt, damit er nicht unter die Hufe geraten konnte und er genoss den Ausblick auf die drei graziösen Tiere. Seit er laufen konnte, war der Pferdestall sein bevorzugter Aufenthaltsort und wir mussten aufpassen wie verrückt, damit er nicht in einem unbeobachteten Moment alleine einen Ausflug hierher unternahm.

      „Hallo ihr drei“, begrüßte ich die Grazien, die als Antwort nur ein mürrisches Schnauben von sich gaben. Offenbar missfiel ihnen ihre provisorische Unterkunft. Seit ich mich erinnern konnte, war meine Familie im Besitz dieser Tiere. Ein Hengst und zwei Stuten. Alle drei schwarz wie die Nacht und Nüstern so samtweich wie ein Pfirsich. Ich beugte mich über den Rand der Box und kraulte den Hengst zwischen den Ohren.

      „Hey, Seraphim, sei nicht so schlecht gelaunt“, flüsterte ich ihm zu. Er spitzte die Ohren.

      „Ich weiß, dass ihr das dauernde Umziehen hasst. Aber wenn alles klappt, dann können wir erstmal eine ganze Weile hier bleiben“.

      Er antwortete mit einem belustigten Wiehern und die beiden Stuten hoben die Köpfe. „Doch, ich meine das ernst“, bekräftigte ich. „Ihr müsst bloß mitmachen.“

      Aaron zappelte auf meinen Schultern. „Ich will mal streicheln“, maulte er und beugte sich weit nach vorne. Zu weit. Denn noch bevor ich ihn greifen konnte, verlor er das Gleichgewicht und fiel über meinen Kopf hinweg in die Pferdebox. Das hatte mir noch gefehlt. Er lag zwischen zwölf Hufen inmitten eines Haufens Stroh und grinste mich fröhlich an.

      „Hab mir gar nicht weh getan“, verkündete er strahlend.

      Für einen Moment erstarrte ich bei der Vorstellung, wie weh er sich tun würde, wenn einer der Hufe ihn traf. Aber auch die Pferde erstarrten in ihrer Box. Vorsichtig drehten sie die Köpfe und betrachteten den Winzling, der zwischen ihren Beinen lag. „Bleibt stehen wo ihr seid, ich hole ihn sofort raus“, rief ich mit leicht panischer Stimme und versuchte, das Gattertor zu öffnen. Es ließ sich nicht bewegen. Verzweifelt ruckelte und zerrte ich, aber es saß fest.

      Ärgerlich trat ich gegen das Tor.

      Ich versuchte, mich über das Gatter zu schwingen, doch während ich noch dabei war, mein rechtes Bein über das Hindernis zu bringen, schaute mich Nofretete verächtlich an, blähte die Nüstern und beugte sich dann vorsichtig zu Aaron hinab.

      Sie beschnupperte sein Gesicht und schnupperte sich dann seinen Rücken entlang. Aaron kicherte.

      „Hey, Nofretete, was wird das?”, rief ich, während ich auf dem Gatter saß. Nofretete beachtete mich mit keinem einzigen Blick.

      „Hey, hey, hey“, stieß ich hervor, als sie plötzlich die Zähne bleckte. Doch dann kapierte ich, was sie vorhatte.

      Unendlich vorsichtig packte sie Aaron am Hosenbund und hob ihn hoch. Er gluckste begeistert.

      „Nofretete hebt mich hoch“, teilte er mir mit, als ob ich blind wäre.

      „Stimmt“, antwortete ich knapp und verfolgte gebannt, wie Nofretete ihn ganz behutsam über das Gatter hob. Ich streckte die Arme aus und sie ließ ihn vorsichtig hinein gleiten. Sie bedachte mich noch mit einem verächtlichen Blick und drehte mir dann den Rücken zu.

      „Äh, danke schön.“ Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.

      „Das war sehr nett von dir.“ Sie schnaubte und begann, Hafer aus dem Trog zu fressen.

      Ich wollte mich irgendwie erkenntlich zeigen.

      „Wollt ihr mal ein bisschen an die frische Luft?“ Die drei sahen mich interessiert an. Eigentlich bevorzugten sie es, bei Nacht draußen zu grasen, aber durch unseren Umzug waren sie, was ihre Pflege anging, etwas zu kurz gekommen.

      „Passt auf, ich versuche, dieses Gattertor zu öffnen und dann geht es los“. Mit aller Kraft drückte ich von unten gegen den Haken, aber er war wie fest geschweißt und bewegte sich keinen Millimeter.

      Die drei beobachteten mich eine Weile mit stoischen Gesichtern. Schließlich trat Seraphim einen Schritt vor, beugte den Kopf über das Gatter und schnaubte zweimal vernehmlich auf die Verriegelung. Er sah mich an, ich sah ihn an und versuchte es ein weiteres Mal. Wie geölt glitt die Verriegelung auf. Hatten die Biester sich womöglich selber eingeschlossen? Ich beschloss, so tun, als sei nichts geschehen, öffnete die Box und setzte Aaron vorsichtig wieder auf meine Schulter.

      „Kein Rumgezappel mehr!”, warnte ich ihn.

      „Ja“, antwortete er kleinlaut und saß ganz still.

      Seraphim schritt mit hoch erhobenem Kopf heraus und blieb vor mir in der Stallgasse stehen. Ich tätschelte seinen Hals und sah mich nach den Stuten um. Nofretete folgte ihm, blähte die Nüstern und blies mir einen Schwall warmen Atem ins Gesicht. Ich hustete.

      „Was ist mit dir, Suzi Wong?”, fragte ich die zweite Stute, die unbeweglich in der Box stand. Suzi Wong war die jüngste der dreien und erst lange Jahre nach Seraphim und Nofretete zu uns gekommen, wie ich aus den Erzählungen meiner Eltern wusste. Obwohl das ja nun auch schon einige Zeit her war, hatte sie sich mit ihrem Leben unter Mensch noch immer nicht richtig angefreundet und zog es vor, des Nachts alleine ihre Bahnen zu ziehen. Ich war daher nicht verwundert, dass sie keine Anstalten machte, mit uns zu einem kleinen Ausflug aufzubrechen.

      „Na gut, Suzi. Wenn du hier bleiben möchtest, dann schließe ich das Tor wieder.“ Sie schnaubte leise und bewegte eine Möhre spielerisch zwischen ihren Lippen.

      Ich wandte mich zu den beiden anderen.

      „Okay, ihr zwei. Lasst uns ein bisschen die Gegend erkunden.“

      „Au ja, ausreiten“, krähte Aaron über mir.

      „Du reitest mit mir zusammen auf Seraphim“, erklärte ich bestimmt. Obwohl er für seine vier Jahre schon ein geschickter Reiter war, wollte ich doch zumindest heute keine Risiken mehr eingehen.

      „Ich kann selber reiten“, antwortete er empört. „Nichts da!”, konterte ich energisch, hob ihn von meiner Schulter, setzte ihn auf Seraphims Kruppe und schwang mich selber hinter ihn auf den Rücken des Tieres.

      Ich war es gewohnt, ohne Zaumzeug und Sattel zu reiten. Meinen Halt fand ich in der Mähne und die Führung übernahmen ohnehin jedes Mal die Tiere. Wir verließen den Stall im Schritt, überquerten den Sonnen beschienen Hof und ritten durch das große Tor. Ich hörte Nofretete hinter uns schnauben. Seraphim drehte kurz den Kopf und bog dann vom Weg in die Wiese ab, die neben unserem Anwesen lag. Wir überquerten sie und gelangten auf den schmalen Pfad, der hinter dem Haus entlang führte. Unwillkürlich ließ ich meinen Blick schweifen, aber die Fee war nicht zu entdecken.

      Die Pferde trotteten ein kurzes Stück den Pfad entlang, verließen ihn jedoch, als wir auf einen Waldweg stießen, der uns bergauf führte. Diesen Teil der Region hatte ich noch nicht erkundet,