Luise Hennich

Krötenküssen


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Terrassentür herüber. „Meine Güte, das hat aber lange gedauert, bis du deinen Rausch ausgeschlafen hattest.“

      Das konnte doch alles nicht wahr sein. Was sollte er von mir denken? Dass ich nicht vernünftig schlucken konnte und mich am helllichten Tag zu Hause betrank? Zum Glück hatte er mich wenigstens nicht dabei erwischt, wie ich ihn heimlich beobachtete hatte; sonst wäre das Gesamtbild noch um die Eigenschaft neugierig erweitert worden.

      Er grinste mich an und kraulte Wotan weiter hinter den Ohren.

      „Also, du bist Mia.“ Er hielt mir seine Hand entgegen. „Ich bin Rasputin.“

      Er räusperte sich und machte eine kurze Pause bevor er weiterredete.

      „Ich wollte nur schnell den Hund holen.“

      „Du hast mir heute das Leben gerettet“, stammelte ich, ohne seine Hand zu ergreifen. Das klang ja auch nicht viel geistreicher als meine erste Bemerkung.

      „So dramatisch würde ich das nicht sehen“, erwiderte er mit einem Lächeln und zog seine Hand wieder zurück.

      „Und dann warst du plötzlich weg“, ergänzte ich tonlos. Warum war ich nur plötzlich so befangen?

      „Ich musste mich beeilen“, antwortete er, als wäre es das Normalste der Welt, jemanden vor dem sicheren Erstickungstod zu retten und dann zur Tagesordnung überzugehen. Sicher gab es viele Dinge, die für Mister Cool wichtiger waren, als mein kleines Leben.

      „Trotzdem danke. Das war sehr nett von dir.“ Wie blöde klang das denn?

      „Wir haben Besuch – das habe ich ja gar nicht gesehen.“ Tante Rosie war mit großen Schritten den Gartenweg entlanggekommen und stand nun neben uns.

      „Oh, Sie sind doch der beherzte junge Mann von heute Morgen.“ Sie lächelte ihn an und stutzte dann plötzlich. „Hoffentlich denken Sie jetzt nicht, meine Nichte wäre dem Alkohol verfallen. Mia rührt das Zeug normalerweise nicht an. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen.“

      Er sah mich an und hob fragend eine Augenbraue.

      „Ich glaube, Rasputin möchte gar nicht die ganze Geschichte hören, Tante Rosie.“

      „Rasputin, was für ein schöner und seltener Name. Ich bin Rosemarie Young. Sehr nett Sie kennen zu lernen. Ich stehe tief in Ihrer Schuld!“ Sie ergriff seine rechte Hand und schüttelte sie lange und heftig.

      Tante Rosies Umgangsformen retteten die verfahrene Situation und ich gewann Stück für Stück meine Fassung zurück, während sie sich wieder und wieder überschwänglich für meine Rettung bedankte.

      „Wie kommt es, dass wir Sie nun so unerwartet bei uns begrüßen können? Wollten Sie sehen, wie es Mia geht?“

      „Äh, nein. Ehrlich gesagt, wollte ich nur unseren Hund wieder nach Hause holen. Wir sind nebenan eingezogen und Wolf hat die erste Gelegenheit genutzt, um die Gegend zu erkunden. Auf der Suche nach ihm bin ich in Ihren Garten geraten.“

      Erst jetzt bemerkte Tante Rosie den winzigen braunen Hund, der neben Wotan stand.

      „Wie kommt es, dass dieser Winzling nicht von Wotan gefressen wurde? Und wieso sind Sie eigentlich noch am Leben. Mir wurde dieser Hund als eine Art Tötungsmaschine vorgestellt.“

      „Also, ich komme mit Hunden ganz gut klar.“ Das schien mir allerdings auch so. Mister Cool hatte offenbar wirklich ein Händchen für unsere vierbeinigen Freunde.

      „Na, wie auch immer, auf jeden Fall haben wir nun die Gelegenheit, uns bei Ihnen angemessen zu bedanken.“

      Als ob sie das nicht schon hinlänglich in der letzten Minute getan hätte!

      Tante Rosies ausschweifende Dankbarkeit schien ihn tatsächlich in Verlegenheit zu bringen und er kraulte, wie es mir schien, Hilfe suchend noch immer Wotans Ohren.

      „Schon okay, das war doch keine große Sache.“

      „Keine große Sache, nun schmälern Sie Ihre Tat mal nicht! Wenn Sie nicht gewesen wären, müsste ich womöglich meine Nichte am anderen Ende der Welt aufstöbern und ihr vom Ableben ihrer mir anvertrauten Tochter berichten. Und das nachdem ich noch nicht einmal zwei Tage meiner Sorgfaltspflicht nachgekommen bin.“

      Nun sah er vollends verwirrt aus.

      „Meine Eltern sind für ein Jahr an den Südpol gereist. Meine Tante soll auf mich aufpassen“, versuchte ich zu erklären.

      „Was mir nur bedingt gelingt, wenn man bedenkt, dass Mia heute morgen beinahe erstickt wäre und sich dann heute Mittag so betrunken hat, dass sie den Rest des Tages verschlafen hat“, warf Tante Rosie ein. „Ich hoffe nur, dass es nicht so weiter geht.“

      Rasputin sah uns beide an, als würde er den Hund, dessen Kopf er noch immer tätschelte, für den vernünftigsten in dieser Runde halten. Wotan hatte sich inzwischen neben ihm niedergesetzt und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen in seiner Gegenwart.

      „Geht es dir gut?”, fragte er.

      „Mir geht es gut, vielen Dank“, erwiderte ich so würdevoll wie möglich, um zu retten, was an dieser verfahrenen Situation noch zu retten war.

      „Junger Mann, wollen Sie nicht vielleicht mit uns zu Abend essen? Sie würden uns die Gelegenheit geben, uns ihnen als ganz normale Nachbarn zu präsentieren.“

      Das konnte doch nicht Tante Rosies Ernst sein, ihm nun auch noch unser völlig verwüstetes Haus zu präsentieren. Zumindest war nicht damit zu rechnen, dass sie ihren Umzugswagen voll Utensilien bereits verstaut und so unser Haus wieder begehbar gemacht hatte. Womöglich kam er in diesem Chaos noch zu Fall und verletzte sich. Das würde dann der krönende Abschluss dieses Tages sein.

      „Tante Rosie, ich glaube, wir sollten Rasputin nicht mit unserem Chaos behelligen“, entfuhr es mir, ehe ich den Gedanken noch zu Ende gedacht hatte. Wie um alles in der Welt hörte sich das denn nun schon wieder an?

      „Ach Kindchen, das ist doch nicht so dramatisch. Wir werden schon noch ein Plätzchen für unseren Gast finden“, antwortete meine Tante gelassen. Aus ihrer Antwort schloss ich, dass sie das Chaos des Vormittages noch nicht beseitigt hatte.

      Rasputin sah mich fragend an.

      „Meine Tante ist erst gestern eingezogen und hatte noch keine Zeit, ihr Mobiliar einzuräumen. Es ist noch etwas unordentlich bei uns“, versuchte ich zu erklären und setzte hinzu: „Normalerweise ist bei uns natürlich alles tipp-topp.“

      War heute eigentlich der Abend der dämlichen Bemerkungen? Was hatte dieser Typ an sich, dass ich kein vernünftiges Wort mit ihm wechseln konnte?

      „Nein, lassen Sie mal“, sagte er zu Tante Rosie. „Wenn es bei Ihnen genauso chaotisch ist, wie bei uns, dann will ich auf keinen Fall stören. Das ist doch sehr lästig, wenn Sie dann noch Besuch zum Essen haben.“

      Bestätigend nickte ich in Tante Rosies Richtung, doch diese ließ sich nicht beirren.

      „Nein, nein, Sie sind unser Gast“, sagte sie bestimmt. „Ich habe schon etwas zu essen für Mia und mich vorbereitet. Wo zwei satt werden, reicht es auch für drei.“

      Energisch winkte sie ihm, ihr zu folgen und ging schnellen Schrittes Richtung Terrassentür.

      Rasputin sah mich an. „Ist es gestattet?“

      „Klar“, sagte ich möglichst gönnerhaft.

      „Du hast bestimmt Hunger, nachdem du heute schon eine ganze Wand eingerissen hast.“

      Er sah mich überrascht an und ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Nun hatte ich mich auch noch verplappert. Als ob er jedes Wort verstanden hätte, drehte sich Wolf, der wie selbstverständlich voran lief, zu mir um und ließ ein kurzes Kläffen hören. Ich nutzte diese kurze Ablenkung und ergänzte: „Na das sieht man doch. Du hast noch überall Mörtelstaub hängen.“

      „Meine Güte, du bist aber eine scharfe Beobachterin“, sagte er und klopfte