Luise Hennich

Krötenküssen


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deutlich zu sprechen.

      „Also, Mia, am besten, du legst dich in den Liegestuhl und ich mache dir in der Zwischenzeit mal was Richtiges zu essen.“

      Tante Rosie war aufgestanden und fasste mich am Oberarm. Ich stellte mich auf die Beine, und schaffte es mit Mühe, einigermaßen würdevoll die paar Schritte bis zur Gartenliege zu gehen. So graziös wie möglich ließ ich mich hineingleiten und schloss erleichtert die Augen. Ich spürte Wotans große Schnauze auf meinem Schoß und hörte meine Tante noch sagen, dass sie nun mal kurz in der Küche verschwinden würde, bevor ein seliger Schlummer mich einhüllte.

      Ein dunkles Knurren riss mich aus meinen Träumen.

      Verwirrt öffnete ich die Augen und brauchte einige Augenblicke, um zu verstehen, warum ich auf einer Liege in unserem Garten lag. Nicht verstehen konnte ich allerdings, warum die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden und der Garten in sanftes Licht gehüllt war. Oh Gott, hatte ich etwa den ganzen Nachmittag verschlafen? Warum hatte Tante Rosie mich nicht geweckt? Im Grunde waren diese Fragen absolut nebensächlich neben der Frage, warum Wotan mit hoch gezogenen Lefzen und gesträubtem Nackenfell neben mir saß und knurrte wie der Teufel.

      Ich richtete mich auf und blickte umher, um den potentiellen Feind ausfindig zu machen. Mein Blick schweifte suchend über den Rasen, aber ich konnte nichts erkennen, was Wotans Wut gerechtfertigt hätte.

      Dieser hatte sich währenddessen zu seiner vollen Körpergröße aufgerichtet und stand nun neben mir. Geifer lief aus seinem Maul. Langsam setzte er sich in Bewegung und näherte sich zögerlich - Meter um Meter – einem großen, alten Apfelbaum, der mitten auf der Wiese stand. Etwa einen Meter vor dem dicken Stamm blieb er mit gebleckten Zähnen stehen.

      Mühsam erhob ich mich aus meinem Liegestuhl und unterdrückte einen Schmerzenslaut. Mein Schädel brummte gewaltig und mir war noch ein bisschen schwindlig.

      „Doofer Hund“, murmelte ich vor mich hin, während ich mich auch auf den Weg zum Apfelbaum machte.

      „Mach nicht so ein Theater, mir tut der Kopf weh“, rief ich zu ihm hinüber. Wotan beachtete mich nicht und stand weiter geifernd vor dem Baum. Inzwischen war auch ich dort angekommen.

      „Wotan, falls hier eine Katze im Baum sitzt, dann lässt du sie bitte leben; noch ein Drama halte ich heute nicht mehr aus.“

      Aber irgendwie wirkte Wotan nicht so, als hätte er eine Katze entdeckt. Er machte einen merkwürdig zögernden Eindruck und ich nutzte die Gelegenheit, um einen Blick hinter den Baumstamm zu werfen, ehe Wotan sich selber dazu entschloss.

      Mein Blick fiel auf einen kleinen braunen Hund, der mir bekannt vorkam. Erst vor wenigen Stunden hatten wir zusammen zwischen Brennnesseln gelegen. Wenn Wotan seiner ansichtig wurde, war das sein sicheres Ende.

      „Wolf, was machst du denn hier?”, entfuhr es mir. „Schnell, mach, dass du nach Hause kommst.“ Mit einem schnellen Griff packte ich Wotans Halsband und versuchte, ihn von Wolf fern zu halten. Wolf sah mich treuherzig an, wedelte mit dem Schwanz und kam hinter dem Baum hervor.

      Mir blieb vor Schreck das Herz stehen.

      „Aus, wage es nicht!”, brüllte ich Wotan an. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon, wie Wolf zwischen Wotans riesigen Kiefern verschwand. Doch dieser stellte zu meinem großen Erstaunen das Knurren ein, legte sich auf den Boden und sah Wolf unverwandt an.

      „Wolf, mach, dass du weg kommst“, versuchte ich, die Gunst der Stunde zu nutzen und dem kleinen Hund meines Lebensretters das Leben zu retten.

      Wolf hingegen schien vollkommen unbeeindruckt von Wotans Anblick und machte Schwanz wedelnd auf kurzen Beinen einen Schritt auf ihn zu. In der rechten Hand hielt ich noch immer Wotans Halsband und mit der freien linken Hand versuchte ich Wolf daran zu hindern, uns näher zu kommen, indem ich vor ihm in der Luft auf und ab wedelte. Wolf ignorierte meine Hand geflissentlich und marschierte weiter auf Wotan zu.

      Ich hielt den Atem an, als er Schwanz wedelnd vor Wotans riesigem Maul stehen blieb. Wotan blieb liegen, streckte seinen Kopf und schnupperte ganz vorsichtig an seinen Ohren. Wolf machte noch einen weiteren Schritt und stand nun neben Wotans Schultern. Nur mit Mühe konnte der kleine Hund überhaupt über den Rücken des liegenden Fellmonsters schauen. Das schien ihn aber nicht zu stören, denn nun begann er seinen riesenhaften Artgenossen zu umrunden. Der Winzling marschierte um Wotan herum, und ließ sich Zeit, um an allen für ihn wichtigen Körperteilen ausgiebig zu schnuppern.

      Ich stand schreckensstarr daneben und erst als mir schon ein wenig schwindlig wurde, dachte ich wieder daran, Luft zu schnappen. Wotan schien ebenso erstarrt zu sein wie ich. Mit angelegten Ohren ließ er diese Leibesvisitation geschehen.

      Wolf hatte seinen Rundgang beendet und stand nun genau vor Wotans riesiger Schnauze. Doch statt den Winzling mit einem Bissen zu verschlingen, robbte Wotan vorsichtig, ganz vorsichtig ein kleines Stückchen nach hinten. Es sah beinahe so aus, als hätte er Angst vor Wolf. Nein, das konnte beim besten Willen nicht sein! Doch es wurde noch unglaublicher.

      Sprachlos beobachtete ich, wie Wotan sich auf den Rücken drehte und Wolf spielerisch mit seinem winzigen Maul die riesige Kehle seines Gegenübers umfasste. Eine klare Unterwerfungsgeste des Fellmonsters! Vielleicht hatte der Hund doch mehr von Tante Rosies Cocktail aufgeschleckt, als ich gesehen hatte. Oder hatte er etwa einen eigenen Cocktail bekommen?

      Wolf ließ von Wotans Kehle ab und dieser blieb zitternd auf dem Rücken liegen. Der Hund musste zum Arzt. Irgendwas war mit ihm überhaupt nicht in Ordnung.

      Wolf schien von meinem Hund, diesem Riesenfeigling genug zu haben, denn plötzlich sprang er auf und begann über den Rasen zu toben. Wotan sah ihm reglos zu, wie er mehrere Runden um den Apfelbaum drehte.

      Er war gerade auf der Höhe des Gartentores, als sich dieses öffnete.

      „Alter, da bist du ja“, hörte ich eine männliche Stimme sagen und zum dritten Mal an diesem Tag sah ich meinen Lebensretter.

      Kapitel 8: Rasputin

      Wie heute morgen war er ganz in schwarz gekleidet. Die Stiefel hatte er gegen schwarze Chucks getauscht und der Mantel fehlte. Offenbar war es zu heiß für ein vollständiges Punker-Outfit. Er trug immer noch die Jeans, die er bereits am Mittag getragen hatte, als er noch mit einem Presslufthammer beschäftigt war. Allerdings hatte er sich nun ein altes T-Shirt übergestreift, das auf schwarzem Grund rote Schriftzeichen in Runenform trug. Offenbar hatte das T-Shirt auch aktiv daran Teil gehabt, Wände einzureißen, denn es war über und über mit Staub bedeckt.

      Der kleine Hund kam mit Mühe vor seinen Füßen zum Stehen. Lässig beugte er sich hinab und tätschelte Wolf kurz den Kopf, dann kam er hinüber zu Wotan und mir, kraulte ihn hinter den Ohren und wandte sich dann mir zu.

      „Hallo, das hätte mich mir denken können, dass Wolf im ersten unbeobachteten Moment zu euch rüber läuft. Er ist der neugierigste Hund der Welt.“

      Ich stand wie angewurzelt und starrte ihn an, während er das Fellmonster hinter den Ohren kraulte, als wäre es die normalste Sache der Welt. Wolf sprang fröhlich um die beiden herum.

      „Hallo“, stammelte ich.

      „Du streichelst meinen Hund.“

      Irritiert sah er erst mich an, dann meinen Hund, dann wieder mich.

      „Wotan lässt sich eigentlich nicht von Fremden anfassen. Und eigentlich wollen Fremde ihn auch gar nicht anfassen.“

      „Ach so“, antwortete er und klopfte Wotan beiläufig auf die Rippen.

      „Ich mag Hunde. Die merken das.“

      Ich fragte mich, ob ich vielleicht noch immer unter der Wirkung von Tante Rosies Drink stand, und das Ganze hier vielleicht nur träumte: Das Fellmonster hatte Angst vor einem Hund, der von der Größe her noch nicht einmal eine halbe Mahlzeit für ihn war, dann ließ er sich von einem fremden Punker streicheln, der mir zu allem Überfluss auch noch das Leben gerettet hatte. Und ich stand blöd rum und machte komische Bemerkungen.