Ralos Znarf

Zapfenstreich für Österreich


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Wahn und versuchte auch den blauen Fleck wegzureiben. Sie rieb und rieb; in ihrem Selbsthass spürte sie keinen Schmerz. Nach einiger Zeit zerknüllte sie das Papier und warf es fort.

      In blinder Wut schrie sie auf, krallte die Nägel des rechten Zeige-, Mittel- und Ringfingers unterhalb des blauen Flecks in ihr Fleisch und riss die Hand aufwärts.

      Drei tiefe Wunden durchzogen nun streifenartig und blutrot den blauen Grund.

      Restpartikel des Makeup gelangten in die Wunden und bescherten eine oberflächliche Infektion.

      So blieben ihr, der Makellosen, für den Rest des Lebens drei Narben; ein ewiges Mahnmal ihrer Entgleisung.

      Sie ließ die Wunden einfach bluten, warf sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Die Sehnsucht nach Bruno wurde unerträglich.

      Da öffnete sie die Lade des Nachtkästchens und entnahm einem länglichen, liebevoll arrangierten Nest aus rotem Samt den Erinnerungsknochen.

      Sie löschte das Licht, legte sich, den Knochen mit beiden Händen umklammernd zurück aufs Bett und stieg hinab in die einsame Zelle, die der Anbetung Brunos geweiht war.

      Während des Schlafes drehte sich Sonja auf die rechte Seite und das Blut gerann im Kontakt mit dem Leintuch.

      Es graute schon der Morgen und die ersten Vögel sangen, als sie sich auf die andere Seite warf. Da lösten sich die drei Streifen getrockneten Schorfs und Sonja erwachte durch hefigen, risshaften Schmerz.

      Sie sprang auf, nahm ein Desinfektionsmittel aus dem Medizinschrank, versorgte die Wunde und verband sie.

      Zurück im Schlafzimmer, begann sie den Boden von den gebrauchten Kleenex Tüchern zu befreien.

      Danach zog sie die Bettwäsche ab und stopfte sie in die Waschmaschine. Als sie diese in Gang setzte, überprüfte sie noch einmal alle Einstellungen: der Schonwaschgang mit 30° war ebenso programmiert, wie das Schonschleudern: auch der Trockner...jetzt stutze sie: für den Trockenvorgang bot ihre Luxusmaschine zwei verschiedene Temperaturen an:

      High – schnelles Trocknen, für normale Wäsche

      Low – langsames Trocknen, für empfindliche Wäsche

      Den fingernagelgroßen Kippschalter hatte sie grundsätzlich immer auf 'Low' gestellt. Doch jetzt stand er auf 'High'.

      Nachdenklich ließ sie den Abend revuepassieren; ja natürlich! Sie hatte sich doch während des Schonschleuderganges auf die Waschmaschine gesetzt....und als Bruno sich angelehnt hatte, gab es ein knackendes Geräusch! Sie legte den Schalter um - und hörte genau dieses Knacken.

      Gemartert von Überlegungen, wie sie Bruno ihre Unschuld mitteilen könnte, überzog sie das Bett neu; zur Vorsicht mit schwarzem Satin. Aus der gleichen Vorsicht schlüpfte sie in eine Pyjamahose und suchte vergebens nach Schlaf.

      °°°°°

      Kapitel 6

      Karl wurde bewusst, dass er sich deutlich tiefer als zwei Spannen unter der Erde befand. Im Bauch eines zügig dahinschlängelnden Wurmes.

      Ihn beschlich das Gefühl, diese wurmige U-Bahngarnitur könne jederzeit aus irgendwelchen versteckten Tanks ätzende Magensäure ausscheiden. Als wäre dies ein gottgewolltes Mittel, sich der drückenden Misanthropie und Missgunst zu entledigen. Aufmerksam ließ er den Blick an den Verschalungen des Waggons entlanggleiten. Wo könnten die Hohlräume sein, die Drüsen, darin die Säure gelagert war, um die feindseligen Fahrgäste in unförmige Klumpen zu transformieren.

      In Karls Vorstellungen rollte die U-Bahngarnitur durch die oberirdisch gelegene, vorstädtische Endstation....ein Habitat der unerfüllten Träume, ein Massengrab der Lebensfreude, ein Friedhof der Philanthropie - und der Waggon rollte weiter durch die betondichte Fußgängerzone, die eingefriedet war von Tempeln voller Diskontwaren....frequentiert von traurigen Untoten, die der Illusion der Selbstbestimmung und eines freien Willens auf den Leim gingen....

      Karls Schwermut verlor in diesen Augenblicken an Gewicht, da er am 'Style' dieser apokalyptischen Bilder Gefallen zu finden begann.

      Hatte ihm seine düstere Phantasie doch ein vielversprechendes Setting vor Augen geführt, die Grundidee zu einem innovativen Computerspiel von beklemmender Faszination.....ein Endzeit-Spiel, das in etwa so funktionieren könnte:

      Grausame Schwefelmonster trachten danach, die Menschheit in eine kollektive Selbstausrottung zu treiben.

      Sie greifen gezielt die Lust- und Liebeszentren des Homo Sapiens an.

      Die Ungeheuer infizieren Waren des täglichen Gebrauchs mit einer Emotions-Killer-Säure.

      Diese dringt bei der Verwendung des Gegenstandes unbemerkt in die Nervenbahnen des Benutzers.

      Sie zerstört seine Empathiefähigkeiten (schmerzlos für den Betroffenen).

      Es gäbe in diesem Setting aber nicht nur organische Zersetzungsmittel, sondern auch gedankliche:

      Die Formulierungen in Medien, Werbung und Gesetzestexten tragen den 'Kalten Keim' in sich. Dieser potenziert durch Suggestivkraft die Wirkung der Emotions-Killer-Säure.

      Zu Beginn des Spieles befindet sich die Menschheit an einem Kreuzungspunkt.

      Erstarrung und Gleichgültigkeit bringen immer mehr Eltern dazu, ihre Kinder zu vernachlässigen, die Pflegebedürfnisse der Alten zu ignorieren und die Vereinigung mit dem Partner zu verweigern.

      Die Aufgabe des Spielers besteht darin, durch überdurchschnittliche Wachsamkeit und geschärfte sensorische Fähigkeiten seine Mitmenschen auf eine höhere Stufe des Bewusstseins zu führen – auf dass sie die Manipulationen durchschauen und zu einer tatsächlichen Freiheit finden.

      An seinem momentanen Entwurf gefiel Karl besonders die Verheißung, an einem anderen Ort der Welt existiere eine attraktive Kämpferin gegen den 'Kalten Keim', die von den Monstern als Terroristin gebrandmarkt und gehetzt wird.

      Das Spiel sollte darauf hinauslaufen, dass der 'Aufbegehrer', also der Spieler, in einem großen Finale die gefangengehaltene 'Amazone' befreit. Sie sollte wunderschön sein. Die geradezu bestürzend makellosen Rundungen des Leibes würden in Gemeinschaft mit ihren klugen, ebenmäßigen Gesichtszügen ein Bild berührender Anmut vermittelten - und an einem romantischen Ort zeugten sie beide dann eine neue Form des Homo Sapiens, die geprägt wäre von verständnisvoller Zuwendung und einer verspielten Sexualität, die in die freundliche Sphäre einer beglückenden Harmonie und einer lichtdurchfluteten Spiritualität führt.

      Karl war beflügelt.

      Durch die Benützung eines Spielhelmes mit Display-Visier und den Gebrauch sensorischer Fingerkuppen wäre ein völliger Eintritt in den Cyberspace möglich.

      Damals, während des Germanistikstudiums, hatte ein uralter Professor einmal irgendeinen Künstler zitiert, der gemeint hatte, dass man „den Menschen nicht durch vordergründige logische Analyse verstehen könne, sondern nur durch die Kunst, die ja dem Unterbewusstsein entspringe.“ Und ein völliges Verstehen der Kunst sei nur möglich, „indem das Kunstwerk sich in den Menschen hineinverstelle, und der Mensch in das Kunstwerk.“

      Jetzt verstand Karl diese seltsame Aussage, wurde in der Euphorie aber jäh unterbrochen; sein Gedankentaumel hatte ihn innerlich erhitzt und dazu veranlasst, den braunen Pulli auszuziehen und wieder über die Schultern zu hängen. Dabei machte er eine ungeschickte Bewegung nach vorne, gerade als der U-Bahnzug in die Endstation einfuhr. Sein nervöses Drängeln war auch dem Umstande geschuldet, dass er dringend aufs Klo musste.

      Der dicke Fahrgast drehte sich brüsk um: „Heans, wos woins? Mir scheint Sie san wirklich a bissl woam!“

      Plötzlich hielt er inne. Sein Blick fiel auf Karl, wurde immer misstrauischer und stierer:

      „Sogen'S… mir scheint goar… ca. 30, brauna Pullova üba de Schuitern… I wass zwoar net wia das geh'n kann....oba....!“

      - Und