Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


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nippen zu können. Ich hatte die Flüssigkeit noch im Mund, da zog ich den Schal schon wieder hoch.

      Wir entfernten uns ein wenig von der Menschenmenge, die alle Wege verstopfte und sich nur kriechend fortbewegte, um ungestört plaudern zu können. Dabei war ich wirklich nicht in der Stimmung, wollte nur etwas Frieden in mir finden, nachdenken und mich mit literweise Glühwein zuschütten.

      Ich konnte ihnen nicht in die Augen schauen, sah entweder an ihnen vorbei oder senkte den Blick verlegen auf meine dampfende Tasse, während ich mit der Schuhspitze im leicht gefrorenen Boden herumstocherte. Die Situation war derart Respekt einflößend, dass mich das schlechte Gewissen nicht einfach nur sachte packte, sondern mich blutrünstig auffraß. Was natürlich albern war, denn die Eltern wussten weitaus besser als ich, was für ein Quadratesel ihr Sohn war. Andererseits gab mir die Trennung von Matz das Gefühl, dass ich mich auch automatisch von den Eltern getrennt hatte, darum kam es mir so vor, als ob ich mich mit dem Feind abgäbe.

      »Bist du allein hier?«, fragte Margret mich sensationshungrig aus und hielt nach allen Seiten Ausschau nach einer potenziellen Begleitung. Vermutlich erhoffte sie sich eine männliche Person an meiner Seite, um die ganze Stadt darüber in Kenntnis setzen zu können, wie schnell ich Matz ersetzt hätte und was für ein billiges Flittchen ich sei. Ob sie wusste, dass in Wirklichkeit ihr werter Sohn das »Flittchen« war?

      »Ja, ich muss einmal für mich sein, um den Kopf frei zu kriegen«, packte ich die Gelegenheit beim Schopfe und ließ meine Missstimmung durchklingen.

      »Oh, okay, dann wollen wir nicht weiter stören«, hatte zumindest Rainer den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.

      Margret leider nicht: »Nun warte doch mal!« Sie packte ihren Gatten am Arm, dabei hatte er sich noch gar nicht abgewandt. »Matz ist wieder bei uns eingezogen«, klang sie eine Spur zu vorwurfsvoll.

      »Schnubbi!« Rainer säuselte den Kosenamen nur vor sich hin, war völlig ohne Biss – die Stimme so sanft wie die eines Chorknaben, der Blick so angsterfüllt wie der eines geprügelten Hundes.

      Rainer war die Sorte Mann, die sich meinungslos unterordnete und sich den Dingen ergab, um jeden Konflikt zu vermeiden. Dafür trug er ein großes Herz in der Brust, Margret hingegen trug ihres auf der Zunge und hatte unbedingt eine Therapie gegen krankhaftes Alles-an-sich-reißen nötig. Als ich das erste Mal auf die beiden getroffen war, waren mir ihre ungleichen Persönlichkeiten sofort aufgefallen. Seither wunderte es mich jeden Tag ein Stück mehr, wie diese Ehe nur bestehen konnte.

      »Was ist denn passiert? Mätzchen erzählt gar nichts«, ließ Margret nicht locker.

      Gleichgültig hob ich die Schultern. Womöglich war ich auch nur völlig ausgebrannt, was diese Angelegenheit anbelangte. Aber so viel Rücksicht konnte ich von der Mutter nun einmal nicht erwarten. »Das ist aber wirklich eigenartig«, gab ich etwas zynisch zurück, »ich hätte meinen Arsch darauf verwettet, dass er seinen auf Biegen und Brechen retten würde.«

      Empört schnalzte Margret mit der Zunge und warf mir den dazu passenden Blick zu. »Leonie!« Und als sie erkannte, dass Rainer meine Ausdrucksweise (es könnte aber auch an der Wahrheit, die dahintersteckte, gelegen haben) amüsierte, ermahnte sie auch ihn, indem sie seinen Namen ebenfalls streng zitierte.

      »Was willst du von mir hören?«, gab ich hörbar gestresst von mir. Alle Anspannung fiel schlagartig von mir ab, weil ich erkannt hatte, dass sie mir überhaupt nichts anhaben konnten, jetzt, da ich nicht mehr zu dieser Familie gehörte. Ich war ihnen zu nichts verpflichtet. Und es war auch völlig nebensächlich, was sie über mich dachten. Nein, mehr als das – es war mir vollkommen schnuppe.

      »Warum ihr euch getrennt habt, zum Beispiel.«

      »Nun ja ...« Ich machte eine dramatische Pause, um sie auf die Folter zu spannen, versuchte, auf dieselbe komplizierte Weise an einen Schluck von meinem Glühwein zu kommen wie eben und ließ dann meinen Blick über den Markt wandern. Die Leute waren putzmunter und in Feierlaune, die Fahrgeschäfte standen kaum still und die Lichter flackerten um die Wette. Alles schloss darauf, dass dies nicht der richtige Ort war, um Probleme zu wälzen. »Ihr kennt doch euren Sohn. Irgendwie war es doch absehbar, dass er und ich keine Zukunft haben.«

      Während Rainer meine, zugegeben, eher spartanische Erklärung mit einem bartagamartigen Kopfnicken bestätigte, erklärte Margret sich nicht so richtig einverstanden damit, verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust und machte einen pikierten Gesichtsausdruck.

      »Zu einer Beziehung ...«

      »... gehören immer noch zwei!«, stieg ich in diese recht kalkulierbare Floskel gelangweilt ein. Doch galt diese auch für zwischenmenschliche Beziehungen? Wie würde Margret wohl reagieren, wenn ich ihr vorhielte, dass es den Eltern zur Hälfte zuzuschreiben war, dass ihr Sohn so missraten war? Vor Wut käme ihr Dampf aus den Ohren, todsicher!

      »Das hier ist doch alles nichts wert, Schnubbi«, merkte Rainer scharfsinnig an. Dann wandte er sich an mich, indem er meinen Unterarm leicht berührte und sich ein Stück zu mir vor neigte. »Im Grunde geht es uns ja auch nichts an.«

      »Das sehe ich nicht so«, legte Margret Einspruch ein, was hier natürlich niemanden erstaunte. »Schließlich ist er ja seit Leonies Rauswurf obdachlos und fällt uns wieder zur Last. Aber daran denkt ja keiner.«

      Als hätte sie einen wunden Punkt getroffen, feuerte ich zurück: »Jetzt ist aber mal genug, Margret. Meiner Auffassung nach habe ich nicht zu verantworten, dass er so unselbstständig und so ein Faulpelz ist. Das ist ja wohl eure konfuse Erziehung, nicht?« Ich bedauerte den umgänglichen Rainer mit einem flüchtigen Blick, weil ich ihn da mit hereinziehen musste, doch, um bei der Wahrheit zu bleiben, während Margret es mit der Strenge zu genau genommen hatte, war dementgegen sein kulantes Verhalten einfach des Guten zu viel. Kein Wunder, dass ihr Kind in der Erziehungsphase allmählich den Faden verloren hatte.

      »Du hättest ihm wenigstens die Gelegenheit geben können, sich eine neue Bleibe zu suchen, oder?«

      »Und wie hätte er diese finanzieren sollen?«, gab Rainer zu bedenken.

      »Mit Mietprellung kennt er sich doch bestens aus«, warf ich dazwischen und konnte mir das süffisante Grinsen nicht verkneifen.

      Just standen ihre Münder still und ihre Gesichter waren erstarrt. Doch es dauerte nicht lange, bis Margret wieder ganz und gar zu sich fand und die Krallen ausfuhr. »Nicht jeder hat das Glück und erbt ein Haus.«

      Stimmt genau! Vor sieben Jahren hatte ich das Haus meiner »Oma« geerbt, noch dazu einhundertfünfzigtausend Euro. Es war mir natürlich sehr entgegengekommen, denn ich war Studentin gewesen – arm wie eine Kirchenmaus – und das Haus recht sanierungsbedürftig. So hatte es viel zu tun gegeben, ehe ich es hatte beziehen können. Es war ja nicht so, dass ich je regen Kontakt zu meiner »Oma« gehalten hätte, es hatte schlichtweg keinen anderen Nachlassempfänger vor oder nach ihrer Tochter – meiner Adoptivmutter – gegeben, die nach einem letzten Clou vor zwölf Jahren (ich war gerade erst achtzehn geworden und hatte endlich meine erste eigene Wohnung bezogen) lebenslänglich hinter Gitter gewandert war.

      »Darauf habe ich mich allerdings nicht ausgeruht. Ich habe trotzdem studiert und gehe arbeiten, um mein Leben zu bestreiten.« Was konnte sie dem nun entgegensetzen? Ich war gespannt und überlegte kurz, ob ich mir der Stimmung wegen Popcorn dazu holen sollte.

      An ihrem wirren Blick erkannte ich dann in der Tat Überforderung. Dabei wäre sie dem nur zu gern entgangen, sich selbst anklagen zu müssen. Natürlich war es hart, sich eingestehen zu müssen, dass man in der Erziehung des einzigen Kindes mit Pauken und Trompeten durchgefallen war.

      »Haben wir jetzt genug Frust aneinander ausgelassen?«, rang Rainer mit einer Art von Sanftmütigkeit um Harmonie, dass ich unvermeidlich die Augen verdrehen musste. Ich wünschte, er schlüge nur ein einziges Mal mit der Faust auf den Tisch.

      Angefressen wandte Margret ihr Gesicht ab und schürzte die Lippen. Wenn sie mir nun mit Ignoranz begegnete, würde das trotzdem nichts an der Wahrheit ändern. Doch sie war nun einmal stur wie ein Panzer, besonders jetzt, da sie nicht mehr auf mich als Kindermädchen und Förderer für ihren Sohn zählen