Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


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großen Schritten kam er zu mir herangebraust, weshalb ich fest davon ausging, dass er mir gleich ein paar scheuern würde, doch in seinen Augen flimmerte nur Verzweiflung statt blanker Zorn.

      »Ich verlange, dass du ausziehst. Das Thema ist durch. Wir sind durch!« Ich wandte mich zum Gehen ab. Ich sah seine Hand kommen, die beabsichtigte, meine Schulter zu packen, um mich aufzuhalten, doch ich konnte diese rechtzeitig herunterreißen, weshalb er sie verfehlte, und rannte die Treppe hinunter in den Eingangsbereich.

      »Du kannst doch nicht einfach die Beziehung beenden!?«, rief er und rannte mir mit wedelnden Genitalien hinterher.

      Hastig schlüpfte ich in meine warm gefütterten braunen Stiefel, an dessen äußeren Seiten kleine Bommeln baumelten. »Du siehst doch, dass ich das kann!« Und gleichzeitig fühlte ich mich in meinem Entschluss bestärkt, denn wenn das das Einzige war, was er nach meiner Vorhaltung hervorzubringen wusste, konnte er längerfristig sowieso nicht an meiner Seite bestehen. Oder sollte ich sogar so weit gehen zu behaupten, dass er meiner nicht würdig war?

      »Was soll das jetzt? Wo willst du hin?«

      Ich griff nach meinem langen Schal und wickelte ihn wirr und unsystematisch um den Hals. »Bitte pack deine Sachen und verschwinde!« Nun warf ich mich in meinen Mantel und stülpte mir meine rote Mütze über. »Sowie ich wieder da bin, will ich dich hier nicht mehr sehen.« Ich öffnete die Tür bewusst weit, um die Kälte hineinströmen zu lassen. Seine Gänsehaut konnte ich bis hierher erkennen. »Falls doch ...« Ich hielt inne. »Lass dich überraschen.«

      »Leonie«, rief er mir hinterher. »Verdammte Scheiße!«, fluchte er dann, weil ich fort war.

      Ich hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen. War das unfair? Hätte das andererseits etwas genützt? Schließlich war ich mir sicher, dass ich diese Beziehung nicht mehr wollte. Und jetzt, wo ich auf dem Weg zu Emmy war, war ich es sogar mehr denn je. Auf einmal fühlte ich mich leicht, sodass mich ein Glücksgefühl ergriff, so, wie ich es das letzte Mal bei unserem ersten Date empfunden hatte. Aberwitzig, nicht wahr? Prompt erinnerte ich mich an Emmys heutigen Worte im Café: »Plötzlich ist dieses Leben, das man einmal so sehr wollte, nur noch eine Qual.«

      Mir fiel auf, dass ich nur selten bei Emmy zu Hause gewesen war, weil sie ihre Zeit lieber auswärts verbracht hatte. Ich nahm an, dass es eine Art Flucht aus ihrem Alltagsleben gewesen sein musste.

      Ich suchte ihre Nummer aus dem Telefonbuch meines Handys, um sie anzurufen, wollte sie nicht einfach überfallen, schließlich war es schon 22 Uhr. Und seit ich wusste, dass ihre Ehe mit Hannes auch nicht mehr die beste war, fürchtete ich, möglicherweise in einen Streit hineinzuplatzen.

      Während ich Emmys Nummer wählte, musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, wie sehr sie mir ans Herz gewachsen war und wie sehr ich jetzt besonders ihre Nähe brauchte.

      Montag, 15. Dezember

      Hannes öffnete die Tür zu meinem Haus, steckte den Kopf durch einen schmalen Spalt und rief: »Hallooo?« Dann drückte er sie weiter auf. »Jemand da?« Er schaute hinter sich, wo Emmy und ich darauf warteten, dass Hannes uns ein Zeichen gab, sobald die Luft rein war. »Ich glaube, er ist weg.«

      Erleichtert atmete ich auf, doch Emmy traute dem Braten nicht. »Wenn der sich so einfach abfertigen lassen hat, will ich nicht mehr Emmy heißen.« Sie drängte sich an Hannes vorbei und lief den Flur entlang. Hannes folgte ihr instinktiv. Vorsichtshalber blieb ich vor der Tür stehen und verfolgte die Sicherstellung meiner Räumlichkeiten mit Spannung.

      Emmy: »Wohnzimmer: Check!«

      Hannes: »Küche: Check!«

      »Abstellkammer?«, rief ich.

      Es dauerte ein paar Sekunden, bis Hannes erwiderte: »Check!«

      Inzwischen war Emmy im Obergeschoss angelangt. »Schlafzimmer: Check!«

      Und Hannes ebenfalls. »Badezimmer: Check!«

      Allmählich wagte ich einen Fuß ins Haus zu setzen. Dabei fiel mir auf, dass die beiden vergessen hatten, im Gäste-WC nachzuschauen, das gleich am Eingang lag. Ich schloss die Haustür hinter mir und blieb vor dem Gäste-WC stehen.

      »Ankleidezimmer: Check!«, rief Emmy. Und ein entzücktes »Ui« folgte sogleich. »Woher hast du denn dieses Kleid?« Sie musste das festliche meinen, das ich letzte Woche erstanden hatte und an Heiligabend anzuziehen gedachte. Nun, da es mit Matz aus war und das Festessen mit seiner großen Familie ins Wasser fiel, wusste ich gar nicht mehr, wo und mit wem ich diesen Tag verbringen würde. Ich hatte das Kleid auf einem Kleiderbügel an die Zimmertür gehängt, damit ich nicht vergaß, es zuvor in die Reinigung zu bringen. Es war aus empfindlicher Seide und ich hatte keine Ahnung, wie man es entsprechend wusch. Schande über mich!

      »Aus Carla Indihs Boutique.«

      »Oh Mann, das muss ein Vermögen gekostet haben«, klang Emmy frustriert. Sie kam zum Flur im Obergeschoss heraus und hielt sich das Kleid vorn an den Körper.

      »Nein, eigentlich nicht. Es war um fünfzig Prozent reduziert.«

      »Na ja, wenn es vorher achthundert gekostet hat, sind fünfzig Prozent eher Peanuts, fürchte ich.«

      Durchaus war Carla Indih für ihre teure, doch dafür qualitativ hochwertige Mode bekannt. Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht auch Mode für den kleinen Geldbeutel anbot.

      »Es hat ursprünglich dreihundertfünfzig gekostet.«

      »Herrgott, Mädels!«, kam nun auch Hannes aus dem Gästezimmer auf den Flur gehetzt und musterte seine Ehefrau skeptisch von oben bis unten. »Ich glaube, wir waren hier noch nicht fertig, oder?« Er räusperte sich und wies aufs Gästezimmer. »Check!«

      »Klasse, Hannes!« Emmy warf ihm einen strafenden Blick zu.

      »Was denn?« Er hob die Arme. »Du bist nicht gerade eine große Hilfe.«

      Emmy schnaubte. »Wir waren doch schon fertig, du Kamel.«

      »Ja, notgedrungen, da das Kleid ja scheinbar vorgeht.«

      Gerade als sie zum Gegenangriff ansetzen wollte, wurde plötzlich die Tür des Gäste-WCs aufgeworfen. Ein großer Mann stürzte hinaus, schleuderte mich mit aller Gewalt zur Seite, wodurch ich zu Boden ging, und flüchtete zur Haustür hinaus. Der Vorgang hatte mir einen Schock versetzt, so sehr, dass ich nicht einmal zum Schreien imstande war.

      »Da ist er!«, bemerkte dafür Hannes lauthals.

      »Hinterher!«, brach auch Emmy nach dem ersten Schrecken in mörderisches Kampfgeschrei aus, ließ das Kleid einfach fallen und zeigte in die Richtung, in die sie laufen mussten.

      Hannes und Emmy setzten sich zeitgleich in Bewegung und gerieten auf der schmalen Treppe ungünstig nebeneinander. Dadurch behinderten sie sich bloß gegenseitig, statt das Untergeschoss schnell zu erreichen. Mit den Ellenbogen stießen sie sich gegenseitig voneinander weg, brachen schlagartig in Zank und Streit aus, bis Emmy auf dem unteren Treppenabsatz ins Straucheln geriet, sich reflexartig an Hannes festhielt, als die fiel, und ihn mit sich riss.

      Und das alles, während ich mich wieder aufgerappelt und diverse Fusseln und andere Dreckkrümel von meiner Hose geschlagen hatte. Angefressen trat ich die Tür ins Schloss. Ich war fertig mit der Welt.

      »Geee-eh runter von mir«, stieß Emmy ihren Ehemann, der bäuchlings auf ihr lag, mit den Händen von sich. Dabei führte sie sich auf, als hätte ein grünes, stinkendes Schleimmonster sie überfallen.

      »Bleib mal cool, Em, ich glaube nämlich, ich habe mir die Hand verknackst.« Er hievte sich irgendwie auf die Knie. Emmy richtete sich mithilfe ihrer Unterarme auf.

      »Oh! Mein! Gott!«, schrie sie nun.

      Hannes hielt seine rechte Hand vor sich und begutachtete sie von allen Seiten. Der kleine Finger war völlig deformiert, sah sogar ein bisschen aus wie eine Treppenstufe, und das Handgelenk war schlagartig angeschwollen.

      Emmy kreischte wie am Spieß, versuchte, wieder auf die Füße zu kommen,