Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


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Ihrem Scheißkuli endlich mal bleibenlassen?«, brachte ich dank meiner Rage endlich den Mut auf, die rothaarige Frau am Nachbartisch auf ihre Macke anzusprechen. Gut, es glich eher einem Fauchen, aber das war wirklich nicht mehr zum Aushalten gewesen. Friede, Freude, Weihnachtszeit hin oder her.

      Mit tellergroßen Augen und steifgefrorenem Gesicht wandte die Frau sich mir zu. Sie umklammerte den Kugelschreiber und hielt den Daumen in die Höhe, als hätte irgendwer auf Pause gedrückt.

      »Entschuldigen Sie bitte«, pendelte sich mein Tonfall reflexartig ein, als ich sah, dass ihre Augen sich langsam mit Tränen füllten und ihr Kinn zu zittern begann, »aber dieses Geräusch«, zeigte ich auf den Kugelschreiber, »treibt mich in den Wahnsinn.« Sogar ein freundliches Lächeln warf ich hinterher. Allerdings wagte ich zu bezweifeln, dass ich damit jetzt noch Eindruck schinden konnte.

      »Ich ... ähm ... gewöhne mir gerade das Rauchen ab«, war ihre Stimme nur ein Hauch.

      »In Ordnung, Gratulation, aber«, sprach ich nun so elfenhaft wie nur möglich, »könnten Sie dann nicht auf etwas weniger nervtötende Maßnahmen zurückgreifen wie Kaugummikauen oder Stricken? Es besitzt nämlich nicht jeder so ein starkes Nervenkostüm wie Ihre Begleitung.« (Nebenbei bemerkt war die Begleitung männlich. Er musste schon sehr verliebt in sie sein, um darüber hinwegsehen zu können.)

      »Ja ... ja klar.« Gleich darauf steckte sie den Kugelschreiber in ihre kleine schwarze Handtasche und kramte darin herum. Offensichtlich suchte sie tatsächlich nach Kaugummis.

      Es tat mir in der Seele weh, dass ich sie so angefahren hatte. Im Grunde konnte sie doch überhaupt nichts dafür, dass ich mein Liebesleben nicht auf die Reihe bekam. So war ich ihr wenigstens diesen verdammten Kaugummi schuldig, oder? Also wühlte auch ich in meiner Tasche herum, während Emmy mich schmunzelnd dabei beobachtete, statt Hilfe zu leisten und für alle Fälle auch ihre Handtasche abzusuchen.

      Doch dann hatte ich die Packung Kaugummis gefunden, nachdem ich den halben Inhalt meiner Tasche auf dem Tisch verstreut hatte, und reichte der Frau gleich das ganze Päckchen. Sie nahm es nur zögernd an sich (vermutlich dachte sie, ich wolle sie zu allem Überfluss auch noch vergiften) und wisperte irgendetwas. Ich deutete es als ein Danke.

      Und während ich meine Sachen wieder in die Handtasche einsortierte, überdachte ich mein Benehmen. Ich meine, ich hatte doch nicht im Sinn, Menschen grundsätzlich Angst einzujagen, vor allem dann nicht, wenn es um Bagatellen wie Kugelschreiberklicken ging. Aber die Tatsache, dass die rothaarige Frau sich nicht zur Wehr gesetzt hatte, zeugte dafür, dass meine Wirkung genau das tat. Es stimmte mich gar traurig.

      Außerdem überkam mich das Gefühl, mich bei Emmy entschuldigen zu müssen. Schuldbewusst sah ich zu ihr auf. »Es ist nicht anständig von mir, dich und mich zu vergleichen. Bei dir hängt so viel mehr dran.« Nein, es waren nicht nur die Kinder, die alt genug waren, um zu verstehen, dass Liebe viel zu komplex war, als dass sie nicht auch dessen Eltern das Genick brechen könnte (ganz bestimmt hatten sie selbst bereits ihre ersten, ganz eigenen Tragödien hinter sich). Vielmehr waren es die vielen Jahre, die Emmy und Hannes zusammengeschweißt hatten – so sehr, dass man sich die beiden gar nicht als ein Einzelwesen vorstellen konnte. Und was hatten die popeligen zwei Jahre aus Matz und mir gemacht? Auf was konnten wir schon zurückblicken? Es gab nichts, was nur annähernd so sehr von Bedeutung war, dass es sich mit Emmys Ehe entgegensetzen lassen konnte.

      »Der Stress mit den Männern zermürbt unsere Köpfe. Lass uns den Frust nicht aneinander auslassen.« Im Gegensatz zu mir waren Emmys Gesichtszüge entspannt.

      »Und an anderen«, deutete ich unauffällig auf die rothaarige Frau, die mich keines Blickes mehr würdigte, aber immerhin meine Kaugummis in Anspruch genommen hatte.

      »Zeig mir lieber noch einmal deine neuen Pumps.«

      Bei diesen Worten strahlte ich wieder, griff die Tüte, in der diese sich befanden und reichte sie ihr. »Der Hammer, was?«

      »Auf jeden Fall.«

      »Ist das nicht Paulina da hinten?«, zeigte Emmy zwanzig Minuten später mit dem Finger auf eine gackernde Gestalt vor dem offenen Eingang des Cafés, die sich dabei an der Schulter ihres Begleiters festhielt. Vermutlich brach sie vor Lachen jeden Moment zusammen.

      Ich verschluckte mich beinahe an dem letzten Schluck meines Kaffees, der schon ekelhaft erkaltet war. (Mit Emmy vergaß ich einfach die Zeit.) »Sieht ganz danach aus«, raunte ich bitter, mehr ihres Begleiters wegen: Thor (Ja, so heißt er wirklich!) - Ein Grund unseres Streits.

      »Ich habe sie nicht gleich erkannt. Sie sieht ... ganz anders aus«, sprach Emmy hinter vorgehaltener Hand, als hätte Paulina sie aus dieser Entfernung hören können.

      »Ganz anders« bedeutete in diesem Fall, dass Paulina sich die Haare blond färben (vor drei Wochen waren sie noch haselnussbraun) und bis zur Taille verlängern lassen und ihre sonst so sportliche Kleidung gegen hohe Stiefel und einen knieumspielten Mantel aus braunem Fellimitat eingetauscht hatte. Und ihre Schminkgewohnheiten hatten sich natürlich auch massiv verändert. Plötzlich waren Smokey Eyes sexy (früher völlig widernatürlich) und rot bemalte Lippen und Fingernägel sinnlich (früher total billig).

      »Ganz anders« bedeutete in diesem Fall also: nuttig.

      »Ganz anders« bedeutete in diesem Fall allerdings auch: Der zweite Grund unseres Streits.

      Ich machte mich klein auf meinem Stuhl und betete, dass sie mich nicht entdeckte. Ihre Aufmachung war einfach zu beschämend und ich wollte mit dem, was diese aussagte, nicht in Verbindung gebracht werden.

      Doch da war es schon zu spät.

      »Ach, sieh mal einer an«, keifte Paulina vom Eingang aus durch das Café. Ich tat so, als wäre nicht ich gemeint. Dennoch lief ich hochrot an. Plötzlich fühlte ich mich von jedem im Raum angeglotzt, dabei glotzte ein jeder (inklusive der Pudel einer älteren Dame) vollkommen entrüstet zu Paulina. »Neue beste Freundin gefunden?«

      Ich hatte noch eine reelle Chance, einigermaßen heil aus dieser Nummer herauszukommen, denn sie hatte noch nicht meinen Namen gerufen, sodass automatisch alle Augenpaare nach der betroffenen Person suchen würden. Denn wenn sie das erst einmal täte, wüssten alle ganz genau, wer Leonie Sophia Pfeiffer war (sie hatte die dusselige Angewohnheit, meinen vollen Namen auszusprechen, wenn sie verärgert war oder ich sie aus verschiedenen Gründen nicht beachtete, was äußerst unvorteilhaft war, wenn ich mich an einem öffentlichen Ort wie dem jetzigen aufhielt und mir alle Anwesenden gänzlich fremd waren), schließlich gäbe es nur eine einzige Person in diesem Café, die ihr glühend rotes Gesicht verzweifelt hinter den Händen zu verstecken versuchte. Und die rothaarige Frau würde sich ganz sicher in den Hintern beißen, weil sie sich von einer solchen Thusnelda wie mir hatte einschüchtern lassen. Wie könnte man mich auch ernst nehmen mit einer Erscheinung wie Paulina (im gegenwärtigen Zustand) an meiner Seite?

      »Bedienung?«, näselte Emmy mit einem Mal gespielt schnippisch. »Könnten Sie bitte diese wüste Gestalt entfernen? Ich fühle mich in meinem Frieden gestört.« Auf der Stelle wollte ich in Gelächter ausbrechen, doch ich biss mir auf die Lippen, um es nicht noch schlimmer zu machen – für Paulina. Immerhin war sie nach wie vor meine beste Freundin, nahm ich jedenfalls an.

      Ein junger Mann kam hinter der Theke hervor. Er erweckte den Anschein, dass ihm der Laden gehörte, aber auch, dass er bereits vor Emmys Aufforderung auf dem Weg zum Eingang gewesen war. »Ich bitte Sie ...«, wies er wie ein Verkehrspolizist mit einer Hand vom Café weg, mit der anderen berührte er Paulinas Arm sanft.

      Thor baute sich mit seinen ein Meter achtundneunzig und dem muskelbepackten Oberkörper vor dem Cafébetreiber auf, der weder in der Höhe noch in der Breite mit ihm mithalten konnte. »Nimm deine Schmalzfinger von ihr.«

      Entwaffnend hob der Cafébetreiber die Hände. »Die Gäste wünschen nur, in Ruhe gelassen zu werden.«

      »Sind wir etwa keine Gäste?«, schrillte Paulina.

      »Im Augenblick machen Sie mir nicht den Eindruck, nein.«

      Paulina wollte sich an dem Cafébetreiber vorbeidrängen. »Okay,