Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


Скачать книгу

richtete er seinen Blick argwöhnisch auf Matz.

      Als ich das wahrnahm, versetzte es mich in Alarmstimmung. »Oh nein – nein, nicht doch.«

      »Hören Sie, das alles hier kommt mir ein bisschen suspekt vor. Wurden Sie nun überfallen oder nicht?« Klein klang plötzlich streng. Vielleicht war er aber auch nur müde und wollte um diese Zeit einfach nur zu Hause bei seiner Familie sein.

      Darum beschloss ich, es nicht komplizierter zu machen, als es ohnehin schon war. »Also gut, ich war gerade in der Küche, um mir den Salat zuzubereiten ...«

      Klein stöhnte: »So weit waren wir schon, Frau Pfeiffer.«

      »Ich bitte Sie, ich versuche doch nur, die Sachlage so genau wie möglich zu rekonstruieren, wenn es schon so wenig Anhaltspunkte zum Täter gibt.«

      »Aber es nützt alles nichts, wenn dabei keine Täterbeschreibung rumkommt, verstehen Sie das denn nicht?«

      Allmählich bereute ich es schon, die Polizei gerufen zu haben, zumal nicht einmal etwas gestohlen worden war. Und dass ich fünfzig Minuten in der Kammer eingesperrt war, würde ich auch ganz ohne psychotherapeutische Hilfe verkraften.

      Ich sprang vom Stuhl. »Ich bitte die Herrschaften, sofort mein Haus zu verlassen«, rief ich in die Runde und klatschte in die Hände, um die Meute auf Trab zu bringen.

      »Leonie!«, rief Matz entsetzt.

      Und Klein warf hinterher: »Frau Pfeiffer, nun beruhigen Sie sich doch.«

      Ich wandte mich zu ihm um und rümpfte die Nase. »Ähm, Herr Klein, ich bin vollkommen ruhig. Ich möchte nur, dass Sie alle auf der Stelle mein Haus verlassen. Sie haben getan, was Sie tun mussten. Den Rest regele ich.« Ich wedelte mit dem Zeigefinger auf das schwarze Pulver, das, wie mir schien, inzwischen im ganzen Haus verteilt worden war. »Zum Beispiel hinter Ihnen aufräumen.«

      »Frau Pfeiffer, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um ...«

      »Ja, ja, tun Sie das«, fuhr ich ihm zweifelnd ins Wort. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun ... Wie konnte man nur so lügen? Fakt war doch, dass keiner bei dem Einbruch umgekommen war. Es war ja nicht einmal etwas geklaut worden, was mich sogar gewaltig ärgerte. Ich meine, was fiel dem Einbrecher ein, mir mit seiner Pistole erst eine Heidenangst einzujagen und mich so viehisch in die Kammer zu stoßen, wenn er dann einfach ohne Beute abhaute? Wofür war das gut gewesen?

      »Was war das bitte?«, raunzte Matz mich an, als wäre er plötzlich der Vernünftige von uns beiden, sobald er die Haustür hinter den Polizeibeamten geschlossen hatte.

      Ich lief in die Küche, um mir einen Pfefferminztee aufzubrühen. »Lass das meine Sorge sein, in Ordnung?« Ich hatte keine Nerven dafür, mit ihm darüber zu debattieren.

      »Fandest du das nicht etwas unhöflich? Ich meine, die Truppe ist extra nur wegen dir aufgeschlagen ...«

      »Was kümmert dich das?« Ich ließ das Wasser in den Wasserkocher rauschen und rollte mit den Augen. »War doch schließlich mein Überfall!« Was redete ich denn da für einen Stuss?

      Er lachte höhnisch auf. Mehr auch nicht.

      Während sich das Wasser erwärmte und ich den Teebeutel in eine Tasse gab, erklärte ich: »Hör mal, ich bin einfach müde, okay? Ich gehe gleich zu Bett.« Ja, ich war überfordert. Aber das konnte Matz nicht wissen. Nicht, weil ich es ihm nicht sagte, sondern weil es ihn nicht interessierte. Also war mir nach Rückzug, um das Geschehene zu verarbeiten und drüber zu schlafen. Heute würde ich nicht mehr als Blödsinn von mir geben.

      »Okay!« Schlecht gelaunt stapfte er in den Korridor, riss seinen Mantel von der Garderobe und verdrückte sich ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Es war auch nicht nötig, mir Auskunft darüber zu geben, wohin ihn die Reise führte. In Fällen wie diesen konnte ich mich darauf verlassen, dass er sich mit seinen Freunden traf, um den Frust in Alkohol zu ertränken. Doch ausnahmsweise war es mir herzlich egal. Ich ging zur Haustür und schob sogar die Kette und den Riegel vor, damit er in der Nacht nicht hineinkommen würde. Sollte er doch ruhig draußen in der Kälte versauern.

      Als ich auf dem Weg zurück in die Küche war, um das heiße Wasser aufzugießen, blieb ich abrupt stehen, denn just fielen mir wieder die verschobenen Bilderrahmen ein, die den Einbrecher brennend interessiert haben mussten. Also ging ich nicht nach rechts in die Küche, sondern nach links ins Wohnzimmer, stellte mich dem Regal gegenüber und starrte auf die Rahmen, um zu verstehen, wieso dieser Kerl das getan hatte. Und warum hatte er eines der Bilder entwendet? Mir war sofort klar gewesen, welches Bild fehlte: es zeigte mich als dreizehnjährigen Teenager mit meiner Lieblingsbetreuerin Agnes vor dem Kinderheim, in dem ich bis zu meinem achtzehnten Geburtstag untergekommen war, während meine Adoptiveltern neben anderem ihre Haftstrafe abgesessen hatten. Da drängte sich mir die Frage auf, was der Einbrecher ausgerechnet mit diesem Bild wollte. Mir erschloss sich der Sinn nicht.

      Allerdings würde sich mir heute sowieso nichts Sinnvolles mehr erschließen. Mein Kopf war prall gefüllt mit einer Unmasse an Informationen, die sich in einem einzigen Chaos verloren hatten und dringend sortiert werden mussten.

      Dann fixierte ich den Adventskranz, der in der Mitte des Esstisches stand. Er war schlicht, mit vier weißen Kugelkerzen, mit Tannenzapfen und mit roten Schleifchen ausgestattet. Ich konnte kaum fassen, dass morgen schon der dritte Advent sein würde. Nicht, weil die Zeit wie im Fluge zu vergehen schien, sondern weil es sich überhaupt nicht wie Weihnachten anfühlte. Dabei hatte ich diese Zeit immer so genossen: die Ausflüge auf verschiedene Weihnachtsmärkte, die ausgiebigen Einkaufsbummel mit meiner Busenfreundin Paulina, das Herbeischaffen und Schmücken der Rotfichte, das Einpacken von Geschenken, die Planung des Weihnachtsessens und vieles mehr. Doch dieses Weihnachten wollte mich emotional einfach nicht packen, und ich hatte nicht die mindeste Ahnung, warum das so war.

      Und ob ich das wusste! Doch ich hatte mir geschworen, mich nicht von negativen Energien beherrschen zu lassen. Am Ende war ich allerdings nicht dagegen angekommen. Spätestens mit dem heutigen Überfall war das Maß offensichtlich voll.

      Und doch wollte ich mich immer noch nicht entmutigen lassen. Ich bildete mir ein, dass mich ein warmer Pfefferminztee im Bett vor dem Flimmerkasten kurieren könnte. Wenigstens ein bisschen.

      Und das schwarze Pulver? Das könnte ich auch genauso gut morgen in aller Ruhe entfernen.

      Sonntag, 14. Dezember

      Nachdem mich meine Arbeitskollegin Emmy, die mir inzwischen eine gute Freundin geworden war, dazu ermutigen konnte, wenigstens ein bisschen mit ihr bummeln und einen Kaffee trinken zu gehen, fühlte ich mich besser als erwartet. Anfangs war ich noch recht verhalten gewesen, konnte nicht ganz ablassen von der Tatsache, dass ich zurzeit nicht allzu viele Gründe zum Lachen hatte, doch dann hatte ich dieses reduzierte Paar Pumps einer beliebten Marke erspäht und ab da an wusste ich: Gott liebte mich doch!

      Ein wenig Mitleid hatte ich dennoch mit den Verkäufern und den Servicekräften des Einkaufscenters, die an diesem verkaufsoffenen Sonntag arbeiten mussten, nur um anderen Menschen ihre Freizeit zu ermöglichen. Andererseits war das Center auch nur vier Stunden geöffnet.

      Wir erhaschten einen freien Platz in einem überfüllten Café, ließen die Tüten mit unserer wertvollen (wenn auch nur im ideellen Sinne) Ausbeute einfach zu Boden plumpsen und fielen vor Erschöpfung auf die weich gepolsterten Stühle. Uns qualmten die Füße.

      Es duftete herrlich nach frisch gemahlenem Kaffee, nach Gebäck und nach Zimt. Um uns herum herrschte das reinste Stimmengewitter, hinter der Theke krächzten alle möglichen Maschinen zur Zubereitung der warmen Getränke, ein Kinderchor, der seit einer Stunde Weihnachtslieder in der ersten Etage live zum Besten gab, schmetterte gerade »Es ist ein Ros entsprungen« und alle fünfzehn Sekunden ging von irgendwoher ein Handy. Doch über die gesamte Geräuschkulisse hinaus nervte mich nur eine einzige Sache: die rothaarige Frau am Nachbartisch (der allerdings so nahe bei stand, dass sie mir quasi auf dem Schoß saß), die einen Kugelschreiber in der Hand hielt und diesen nonstop klickte. KLICK-KLACK-KLICK-KLACK. Dabei gedachte sie nicht einmal, ihn zu benutzen.