Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


Скачать книгу

auf zu gehen.«

      Thors Gesichtszüge verfinsterten sich. Ich sah den Cafébetreiber schon bewusstlos und völlig verknotet in einer Ecke liegen, doch Thor machte nur einen raschen Schritt nach vorn, um ihn in Schrecken zu versetzen.

      Da verhielt sich Paulina weitaus giftiger. »Passen wir etwa nicht in dein High-Snobiety-Lokal, oder was?«

      »Wenn Sie so auftreten, nicht!« Ich hatte immer gedacht, ich wäre mutig, aber der Cafébetreiber belehrte mich heute eines Besseren.

      »Ha!«, rief sie. »Was willst du damit sagen? Dass ich aussehe wie eine Nutte?« Dass sie das Thema zuweilen von sich aus anschnitt, lag lediglich daran, dass sie, seit ihrem Imagewechsel, alle naselang darauf aufmerksam gemacht wurde, und nicht daran, dass es ihr tatsächlich bewusst war.

      »Wer redet denn von Ihrem Erscheinungsbild?«, wunderte er sich anscheinend ernsthaft und machte ein Gesicht, als hätte sich Paulina gerade vor seinen Füßen übergeben. »Ich rede von Ihrem Geschrei von eben.«

      Und irgendwie hatte diese Antwort gesessen, denn sie sah plötzlich zerstreut aus, so, als hätte er ihr gerade eröffnet, dass ihre Mutter zu Tode gekommen war. Das bemerkte auch der Cafébetreiber und wandte sich wieder entspannt seiner Arbeit zu. Wir alle konnten wohl damit rechnen, dass der Tumult nun vorüber war.

      Ehe sie mit ihrem Thor sprachlos von dannen zog, trafen sich unsere Blicke, und wenn mich nicht alles täuschte, standen ihr Tränen in den Augen.

      Ich war noch immer erschrocken von Paulinas respektlosem und aufständischem Verhalten, als Emmy mir zuflüsterte: »Also, Benehmen ist in letzter Zeit wirklich Glücksache bei ihr, was?«

      Ich grinste halbherzig. »Ich weiß auch nicht, was dieser Thor an sich hat, dass sie sich so umbiegen lässt.«

      »Er sieht aus wie ein Zuhälter. Vielleicht ...«

      »Das ist er nicht«, fuhr ich ihr ins Wort, »das habe ich schon überprüft. Es ist etwas anderes.«

      »Es ist sehr schade um sie. Sonst ist sie so nett. Etwas zickig, aber nett.« Gelegentlich hatten Emmy, Paulina und ich zusammen etwas unternommen oder uns einfach nur für einen gemütlichen DVD-Abend bei mir zu Hause versammelt, wenn Matz mit seinen Jungs am Wochenende losgezogen war. Daher wusste Emmy, wovon sie redete.

      »Danke übrigens.«

      »Wofür?« Offensichtlich durchforstete Emmy ihr Unterbewusstsein nach einem wertvollen Hinweis, der ihr die Antwort vor mir gab.

      »Na ja, du hast vermieden, dass sie meinen Namen wieder raus krakelt.«

      Emmy lachte. »Eigentlich kannst du froh sein, dass sie nicht auch noch deine Adresse und Telefonnummer hinten anfügt.«

      »Und du hast die Leute hier glauben gemacht, dass du diejenige bist, die Paulina angesprochen hat.«

      Darüber schien sich Emmy nicht ganz klar gewesen zu sein. »Oh!«, brachte sie daher nur hervor.

      Nun musste ich lachen.

      »Meinst du wirklich?«

      Demonstrativ schaute ich mich um. »Es hat sich niemand sonst beschwert. Das ist so eine psychologische Sache, schätze ich.«

      »Oh Mann«, jammerte sie, »dann lass uns besser aufbrechen, bevor mich hier irgendeiner nach meinen Dienstzeiten fragt.«

      Ja, vielleicht war es gemein, dass wir Paulinas nuttiges Outfit unentwegt verspotteten, andererseits taten wir das nur, weil es nun mal nicht Paulinas Lebensart war. In Wirklichkeit thematisierten wir es nur, weil es uns belastete.

      ***

      Während ich darauf wartete, dass der Barkeeper meinen Cocktail mixte, spielte ich mit dem Zeigefinger nachdenklich an einem der Dekoelemente, das direkt vor meiner Nase auf dem Tresen stand. Ich wusste nicht einmal, was genau es darstellen sollte, ich wusste nur, es sollte weihnachtlich anmuten mit den Kiefernzweigen und den goldenen Schleifchen.

      Noch immer konnte ich es nicht fassen, dass ich den dritten Adventsabend in einer Bar ausklingen ließ, nur weil mich zu Hause plötzlich die Einsamkeit übermannt hatte. Auf einmal fühlte sich mein Leben so leer an. Da konnten die neuen Pumps auch nichts dran ändern. Aber heute war hier nicht sehr viel los. Warum auch? Es gab Menschen, die fühlten sich im Kreise ihrer Familien gut aufgehoben, speziell an diesen Tagen.

      Nun gut, ich hatte ja gar keine Familie! Meine leiblichen Eltern kannte ich nicht, denn ich war schon als Baby zur Adoption freigegeben worden, meine Adoptiveltern waren einesteils tot und anderenteils im Knast, und für eine eigene Familie hatte mir bislang entweder der richtige Partner oder der Eisprung zur passenden Zeit gefehlt.

      Bei Matz kam beides zusammen. Es gab das erste Jahr, in dem er sehr darum bemüht war, mich glücklich zu machen und in dem wir uns schon recht früh über Zuwachs einig gewesen waren. Doch ich war nie schwanger geworden (gottlob). Im zweiten Jahr konnte er sein zweites (wahres) Ich kaum noch länger verbergen und hatte sich fast unmerklich zu einer faulen, selbstsüchtigen Hohlfigur entwickelt. Dazu lag die Vermutung nahe, dass er mich mit einer anderen Frau betrogen hatte.

      Allerdings war ich mir erst vor einigen Wochen darüber bewusst geworden, dass nicht nur er, sondern auch unsere Beziehung aus den Fugen geraten war. Dennoch konnte ich ihn ja nicht erbarmungslos auf die Straße setzen. Nicht, dass ihn seine Eltern seinem Schicksal überlassen würden, aber sie wussten nur zu gut um seine wahre Natur und waren es ebenso leid wie ich. Im Grunde genommen wollte ich ihnen mein Elend nicht aufbürden, auch wenn unser Verhältnis nicht das beste war (na ja, vor allem das zwischen Margret und mir) und es mir daher vollkommen gleich hätte sein können.

      Ein Typ setzte sich direkt neben mich.

      Warum direkt neben mich? Der Tresen war etwa acht Meter lang, an dem zwölf Barhocker standen, von denen neun nicht besetzt waren. Aber er setzte sich ausgerechnet neben mich und raubte mir unnötigerweise meine Armfreiheit. Frechheit!

      Unauffällig schielte ich zu ihm, ohne meinen Kopf zu bewegen, doch allein aus dem Augenwinkel erkannte ich nicht mehr als eine unscharfe Gestalt, die die Arme auf den Tresen gelegt hatte. Also war ich gezwungen, meinen Kopf auf meiner Erkundungsreise nun doch ein wenig zu drehen. Sofort fing ich seinen Blick ein, der unangenehm an mir klebte. Ich erschrak und wandte meinen Kopf blitzartig wieder ab. Er nahm mir also nicht nur meine Armfreiheit, sondern starrte mich auch noch an. Hatte er denn keine gute Kinderstube genossen?

      Wütend kaute ich und verengte meine Augen.

      Doch dann wurde mir meine abweisende Art irgendwie peinlich. Ich konnte doch nicht so tun, als wäre er nicht da, wenn sich unsere Blicke ohnehin schon getroffen hatten. So entschied ich mich, ihn noch einmal spontan bei drei anzusehen. Sein Blick haftete immer noch an mir, was meine Wut steigerte.

      »Entschuldige«, ergriff ich die Initiative, »habe ich Dreck an der Backe oder warum glotzt du mich so blöd an?«

      Jetzt grinste der Typ auch noch breit. »Du kommst mir unheimlich bekannt vor, aber mir will partout nicht einfallen, wo ich dein Gesicht schon einmal gesehen habe.« Seine Sprechweise war sympathischer als sein Benehmen, aber seine Anmachsprüche genauso wenig originell wie meine Geldverstecke.

      »Deshalb musst du dich ja nicht gleich so aufdrängen, oder?«

      »Wie lernst du dann für gewöhnlich Leute kennen? Ich meine, wir sind hier in einer Bar.«

      Ich grübelte kurz. »Na, jedenfalls nicht, indem ich ihnen auf die Schultern springe.«

      Plötzlich schnellte er vom Hocker und ließ sich auf dem nächsten wieder nieder. »Besser so?«, rief er so übertrieben laut, als hätte er sich ganz ans andere Ende des Tresens gesetzt.

      Der Barkeeper brachte mir endlich meinen Cocktail, dann nahm er die Bestellung von dem Scherzkeks auf. Der wollte nur ein belgisches Bier. Wenn er nur Bier wollte, warum war er in eine Bar gekommen? Hätte es nicht auch eine Kneipe getan? Denn da hätten seine frechen Umgangsformen wesentlich besser hineingepasst und sicher viel mehr Anklang gefunden.

      Nun trennte uns