Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


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ihrem Gegenüber in einem Gespräch vertieft war.

      »Ich glaube, ich werde für solche wilden Unternehmungen einfach zu alt«, japste Emmy, die übrigens zehn Jahre älter war als ich und darum diese profane Äußerung durchaus seine Berechtigung hatte.

      Doch was war meine Ausrede? Denn ich rang ebenfalls wie verrückt nach Luft. »Ich auch«, fiel mir nur dazu ein.

      »Lass dir gesagt sein: ab dreißig geht es steil bergab.« Sie schenkte mir ein heiteres Lächeln. »Vielleicht sollten wir das öfter machen, damit wir nicht früher als nötig einrosten, was?«

      »Liebend gern.« Oder vielleicht fange ich mit irgendeinem Sport an, überlegte ich. Jeder musste doch einen Vorsatz fürs nächste Jahr haben, oder? Und vielleicht könnte ich Emmy dazu motivieren, es mir gleich zu tun. Zu zweit würde es bestimmt viel mehr Spaß machen. »Aber meinst du nicht, dass wir, auf Dauer gesehen, pleite gehen würden?«

      Sie nickte heftig. »Höchstwahrscheinlich. Doch was wäre die Alternative?«

      Eine Bedienung, weiblich, Mitte zwanzig, strenger Zopf, riesengroß und spindeldürr, schnellte zu uns an den Tisch. Mit gestresstem Gesichtsausdruck (welchen man ihr nicht verdenken konnte, so turbulent, wie es hier zuging) nahm sie unsere Bestellungen auf. Eine heiße Schokolade für Emmy und einen großen Kaffee für mich.

      Als sie sich zum nächsten Tisch durchschlängelte, um weitere Bestellungen aufzunehmen, schlug ich vor: »Fitnesscenter?«

      Emmy schaute mich fragend an. Es war ihr anzusehen, dass sie den Faden völlig verloren hatte. »Entschuldige?«

      Ich lachte: »Die Alternative.«

      »Zu was?«

      Was zum Henker war auf einmal los mit Emmy? War das nur ein harmloser Blackout oder litt sie etwa an Alzheimer? »Zum Shoppen.«

      Dann schlug sie sich gegen die Stirn. »Donnerlittchen!«

      »Das passiert mir auch öfter«, log ich.

      »Ich war nur ganz erblasst vor Neid.«

      Hatte ich etwas verpasst? »Vor Neid?«

      »Schau dir diese Figur an, Leonie«, deutete sie mit einem Nicken auf die Bedienung. »Nach zwei Kindern kann ich davon nur träumen.« Emmy war gar nicht sonderlich aus der Form geraten, sie war nur nicht so hager. Es stand außer Zweifel, dass nur ihre Selbstwahrnehmung gestört war.

      »Du siehst doch toll aus.«

      Das tat sie wirklich. Sie hatte meine Größe, vielleicht fünf Kilo mehr auf den Rippen, hatte sehr feminine, weiche Gesichtszüge, trug die dunklen Haare kinnlang und Falten suchte man bei ihr vergebens. Na gut, wenn sie lachte, bildeten sich Krähenfüße um die Augen, doch das wirkte apart, nicht alt oder abgewrackt. Also, warum ließ Emmy sich von der Zahl vierzig so einschüchtern?

      »Sag das mal Hannes«, erklärte sie nüchtern. Sie war derart emotionslos, dass es weitere Erklärungen überflüssig machte.

      »Die Luft ist raus, was?«

      Frustriert hob sie die Schultern. »Absolut!«

      »Und ist da noch etwas zu retten?«

      »Kann sein.« Sie wirkte interessenlos. »Vielleicht der Kinder wegen?«

      Ich versuchte, nicht erkennen zu lassen, dass ich dieses Argument ausgesprochen lahm fand. Doch möglicherweise hatte ich als Kinderlose auch einfach nicht die leiseste Ahnung von solchen Dingen. »Wie alt ...«

      Emmy unterbrach mich. »Du hast recht, das ist absurd. Basti und Robert sind neunzehn und siebzehn. Beinahe alt genug, um eigene Familien zu gründen.«

      »Stimmt.« Ich war nicht wirklich überrascht, dass sie von selbst drauf gekommen war, denn man merkte ihr an, dass sie die Trennung im Grunde genommen mehr wollte als ihr Ehemann und ihr lediglich der Mut fehlte, sich von dem gewohnten Alten, das praktisch ihr ganzes Leben ausmachte, zu trennen.

      »So läuft das immer, nicht wahr?«

      Endlich brachte die Bedienung unsere Getränke herbei. Wir bedankten uns mit einem Lächeln. Und ganz zu unserem großen Erstaunen bekamen wir eines zurück.

      Dieses Mal hatte Emmy sich von den sogenannten Traummaßen der Bedienung nicht aus dem Konzept bringen lassen und fuhr fort: »Du denkst, du hast deine große Liebe gefunden, gründest eine Familie und hast eine Zeit lang deine helle Freude daran. Aber plötzlich schleicht sich die Routine ein. Es gibt keine Überraschungen mehr und alles ist so bieder und vorbildlich. Alles, was man miteinander erleben konnte, hat man erlebt. Irgendwann kommt die Erkenntnis, dass das Leben zu kurz ist, um sich da einfach nur weiter durchzuquälen.« Sie machte eine Pause und seufzte. »Plötzlich ist dieses Leben, das man einmal so sehr wollte, nur noch eine Qual. Ist das nicht grotesk?« Sie schüttelte den Kopf vor sich hin, stieß ein kurzes spöttisches Lachen aus und nahm den ersten Schluck von ihrem heißen Kakao. »Aber weißt du, was noch grotesker ist? Dass man all das, was einem hier und jetzt mit dem aktuellen Partner aus dem Hals hängt, mit jemand Neuem noch einmal genauso durchleben würde, so, als wäre es die Erfüllung und das ganz große Glück.«

      Ich hätte lügen müssen, wenn ich sagte, dass mich diese Erkenntnis nicht ängstigte, gerade weil dieser Prozess sich bei Matz und mir wesentlich schneller abspulte als bei Emmy und Hannes. Hieß das nun, dass ich beziehungsunfähig war? Immerhin hatte ich bis heute noch keine anständige Beziehung auf die Beine gestellt. Trotz meiner verrückten Kindheit hatte ich mein Leben vollkommen im Griff, benutzte meine Vergangenheit zu keiner Zeit dafür, Ausreden zu finden, wenn in meinem Leben irgendetwas schiefgelaufen war. Doch heute musste ich mir zum ersten Mal ernsthaft die Frage stellen, ob meine Beziehungen ebendarum immer so chaotisch blieben, wie sie schon immer gewesen waren. Und das spiegelte sich nicht nur in den Liebesbeziehungen wider, sondern auch in den sozialen. Ich hatte es schon immer schwer gehabt, Menschen zu finden, die zu mir passten und mich mit ihnen anzufreunden. Und ja, ich gestehe, nicht selten lag es auch an meiner unzugänglichen, unterkühlten Art, die ich mir ganz bewusst zu eigen gemacht hatte, da ich mir einbildete, dass es das Leben erforderte.

      »Also, was genau ist das verdammte Problem?«, schmiss Emmy in den Raum. Diese Frage hatte sie nicht mir, sondern mehr noch sich selbst gestellt.

      Trotzdem antwortete ich darauf: »Na ja, wie mir scheint, liebst du ihn einfach nicht mehr.«

      Sie nickte. »Wahrscheinlich hast du recht. Lange Zeit habe ich gehofft, mich würde nur das eintönige Leben schlauchen.«

      »Ach Emmy, mach dir keine Vorwürfe. Es ist normal, dass Menschen sich weiterentwickeln. Und manchmal eben nicht in dieselbe Richtung. Mit vierzig möchte man ganz andere Dinge als mit zwanzig. Aber mit vierzig hat man den Vorteil, dass man viel geerdeter und nicht mehr so sprunghaft ist.«

      »Offenbar weißt du, wovon du redest?«

      »Bin ich ein so offenes Buch?«

      Sie zog eine Augenbraue hoch. »Jeder, der von dir und Matz weiß, war sich von vornherein sicher, dass das mit euch keine Zukunft haben kann.«

      Ich war erschrocken über so viel Offenheit. Aber noch mehr erschrocken war ich darüber, dass die Allgemeinheit scheinbar Wetten auf unsere Beziehung abgeschlossen hatte. Was machte ein Aus so wahrscheinlich? War es auf Matz oder auf mich zurückzuführen?

      Ich rang mich durch und fragte einfach mal nach.

      Emmy machte den Eindruck, als ob sie sich scheute, mir nun Rede und Antwort zu stehen, obwohl sie gerade noch selbst damit angefangen hatte. »Nun ja, weißt du ...« Betreten räusperte sie sich. Ich sah ihr an, wie sie Worte in ihrem Kopf formierte, nur damit es mich nicht so sehr treffen würde. Sie wand sich ein wenig auf ihrem Stuhl, so, als ob sie ihre Offenheit inzwischen bedauern würde, und räusperte sich ein weiteres Mal. »Die Sache ist die: er ist ja kein unbeschriebenes Blatt. Er ist bekannt für die ein oder andere Affäre, dafür, dass er sich gern aushalten lässt. Und für seine Faulheit.«

      Mein Blick sagte: Ach ja?

      Emmys Blick sagte: In der Tat!