Katie Volckx

Durchgeknallte Weihnachten


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endlich senkrecht stand, schüttelte sie sich heftig vor Grauen.

      Auch ich konnte nicht hinsehen, nichtsdestotrotz musste ich mich aus Respekt zu Hannes zusammennehmen, um nicht schallend loszulachen dank Emmys filmreifer Reaktion.

      »Kann vielleicht mal irgendeiner den Arzt rufen?«, blieb Hannes die Ruhe in Person, obwohl er kreideweiß war.

      »Ja ... ja, klar.« Ich suchte das Telefon. Natürlich stand es in solchen Momenten nicht auf der Ladestation und war prinzipiell nirgends auffindbar. Also rief ich mich in meiner Verzweiflung vom Handy aus selbst an, bis Hannes, der sich derweil auf der untersten Treppenstufe niedergelassen und die verkrüppelte Hand in den Schoß gelegt hatte, mich darauf aufmerksam machte, dass ich den Arzt auch von meinem Handy aus anrufen könnte.

      Aufgrund meiner Trotteligkeit lachte ich nervös und nahm seinen Vorschlag dankend an. Als ich den Anruf erledigt hatte, ärgerte ich mich über die freche Äußerung, ob es Hannes nicht irgendwie eigenständig ins Krankenhaus schaffen könnte. Schließlich hätte er ja, nach eigener Aussage (was so viel hieß wie: wir, die keine Medizin studiert hatten, hätten nicht die geringste Ahnung), lediglich einen gebrochenen Finger und ein enorm geschwollenes Handgelenk – es gäbe nun wirklich schlimmere Fälle. Da das nächstgelegene Krankenhaus fünfzehn Kilometer von hier entfernt lag und Hannes der einzig Anwesende in Besitz eines Pkw-Führerscheins war, hatten wir uns eben nicht anders zu helfen gewusst.

      »Ist schon gut, reg dich nicht auf. Ich kriege es schon irgendwie hin, das Auto zu führen.« Er wollte nur noch eben den ersten Schock überwinden, damit er das Auto nicht in der nächsten Kurve gegen einen Baum lenken würde.

      Seufzend setzte ich mich zu ihm auf die Stufe, während Emmy krampfhaft versuchte, ihren Ehemann beziehungsweise die Verletzung zu ignorieren. Stattdessen liebäugelte sie mit dem funkelnden Kronleuchter an der Flurdecke. Mir saß der Schreck allerdings nicht weniger in den Knochen. Meine Knie zitterten und schwindelig war mir auch.

      »Traust du dir das denn wirklich zu?«, war ich dafür umso skeptischer.

      »Aber natürlich!«

      »Das Gäste-WC hab ich nicht bedacht«, wechselte Emmy geflissentlich das Thema, als ob sie es so gar nicht mochte, dass wir, Hannes und ich, so gut miteinander auskamen.

      »Ich schon«, gestand ich, »aber ich habe mich nicht getraut, hineinzusehen.«

      »Dann hättest du wenigstens etwas sagen können«, warf Hannes mir vor.

      »Zwar habe ich eine Vorahnung gehabt, aber woher sollte ich wissen, dass der Typ sich wirklich darin aufgehalten hat?« Es war mir sogar absurd vorgekommen, wenn nicht sogar paranoid.

      »Na ja, nun ist es zu spät«, merkte Emmy an.

      Hannes und ich sahen sie nachdenklich an.

      »Übrigens war das nicht Matz«, raunte ich ihm zu, während ich den Blick zur Haustür richtete, damit mir der Anblick seiner Hand ebenfalls erspart blieb.

      »Nicht?«, war Hannes sichtlich erstaunt.

      »Warum sollte er denn in einem Weihnachtsmannkostüm herumlaufen?«

      »Nun, es hätte ja gut möglich sein können, dass er als Weihnachtsmann jobbt.«

      Auf der Stelle prusteten Emmy und ich los.

      »Ich schätze, das war der Einbrecher von vorgestern«, erklärte ich dann mit routinierter Gelassenheit.

      Hannes sah mich entsprechend baff an, während sich auf seiner Stirn eine Sorgenfalte bildete. »Was für ein Einbrecher?«

      »Hat Emmy ihn dir gegenüber nicht erwähnt?«

      Er schüttelte den Kopf und blickte vorwurfsvoll zu ihr hinüber. Sie starrte noch immer zum Kronleuchter, nur dass sie jetzt leise vor sich hin pfiff.

      Als ich gestern Abend bei Emmy und Hannes zu Hause eingetroffen war, war die Stimmung besser als erwartet. Man hatte kaum glauben können, dass ihre Ehe vor dem Aus stand. Erst hier und heute wurde das Problem, das Emmy geschildert hatte, sichtbar. Dennoch fragte ich mich, was sich von gestern auf heute geändert hatte.

      Ich erzählte ihm von dem Vorfall, doch nicht mit all seinen Details, da mir das Thema allmählich aus dem Hals hing.

      »Und nun lässt du ihn einfach so davonkommen?«

      »Was soll ich sonst tun? Ich will die Polizei mit ihrem schwarzen Pulver nicht schon wieder in meinem Haus haben, wenn eh nichts dabei herumkommt.« Es mochte einfältig klingen, doch seit er dieses Bild hatte mitgehen lassen, war ich mir fast sicher, dass keine Gefahr von ihm ausging, auch wenn er sich nicht gescheut hatte, mich schon ein zweites Mal durch recht energisches Schubsen aus dem Weg zu räumen. Mir war nur schleierhaft, was ihn erneut hierher geführt hatte. Sollte das nun zur Gewohnheit werden?

      »Dann schaff dir wenigstens eine Alarmanlage an«, riet Hannes mir, »damit du nicht immer wieder solch eine unangenehme Überraschung erlebst.«

      »Hm«, grübelte ich.

      »Hm?«

      »Ich habe mir überlegt, dass ich das nächste Mal auf ihn vorbereitet sein werde. Ich möchte mit ihm Kontakt aufnehmen, will wissen, was er mit meinem Foto vorhat.«

      Es war unübersehbar, dass Hannes gerade vom Glauben abfiel. Er war regelrecht betäubt, sodass seine Lippen sich bewegten, aber nichts drüberkam.

      »Und wann hast du dir das überlegt?«, mischte jetzt auch Emmy mit. »In den letzten fünf Minuten?«

      Natürlich war das leichtsinnig, wenn nicht sogar ein bisschen gaga, aber mich wollte der Gedanke nicht loslassen, dass er wegen mir da gewesen war und meine Gäste ihn nur eingeschüchtert hatten.

      »Meint ihr denn, er war heute wieder da, weil er das letzte Mal versäumt hat, mein Haus leer zu räumen?«, klang ich trotzig.

      »Das ist einfach zu gefährlich, Leonie.« Hannes legte die gesunde Hand auf meine Schulter. »Zumindest, wenn du das allein durchziehst.«

      »Tzz«, warf Emmy ein, »wer soll ihr denn beistehen? Du etwa?« Ihr Blick wanderte zu seiner lädierten Hand. Dabei verzog sie die Mundwinkel und würgte einmal. »Boah, ich glaube, ich muss gleich brechen.«

      Verärgert kniff Hannes die Augen zusammen. »Wir wollen mal nicht vergessen, wem ich dieses Unglück zu verdanken habe!«

      »Bitte?«, war Emmy empört.

      »Warst du es nicht, die über ihre eigenen Füße gestolpert ist und mich dann auch noch mit reingezogen hat?«

      »Wenn du nicht so gedrängelt hättest ...«

      »Ich habe gedrängelt?«, klang seine Stimme hell vor Ärger. »Und selbst wenn, was hättest du denn schon ausrichten können, wenn du ihn zu fassen bekommen hättest?« Da lag er nicht so falsch. Emmy hätte ihren körperlich leistungsfähigeren Ehemann nun wirklich den Vortritt lassen können.

      »Ist doch egal! Der Wille zählt, oder?«

      »Na ja, wenn dabei so etwas rumkommt ...« Feierlich hielt er die ramponierte Hand hoch.

      »Wenn du einen Schuldigen suchst, sieh in den Spiegel!« Schmollend verschränkte Emmy die Arme vor der Brust und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu. Und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass es bei dieser Äußerung nicht mehr um seine Hand ging.

      Ich vergrub mein Gesicht in die Hände und rief genervt: »Oh Leute!«

      Hannes war im Begriff, etwas darauf zu erwidern, als er gerade noch rechtzeitig erkannte, dass er besser daran täte, sich nachsichtig zu zeigen und nicht partout auf sein Recht zu bestehen. Vor allem dann nicht, wenn es sich um eine Diskussion handelte, die nur dazu diente, Frust abzulassen und zu nichts, außer Unsinn, führen konnte.

      Einen kleinen Augenblick wurde es still um uns.

      »Sag mal, tut das nicht weh?«, deutete ich blind auf die Hand.

      »Nö!«

      Ungläubig