eine ältliche Dame daher, ganz in Spitzen, und mit ihr eine andere schlanke, angetan mit einem weißen Kleide, das ihre schöngewachsene Gestalt lieblich hervortreten ließ; auf dem Kopf hatte sie einen leichten hellgelben Hut. Hinter den Damen schritt ein langer Heiduck mit langem Backenbart und einem ganzen Dutzend Kragen und öffnete seine Schnupftabaksdose.
Kowalow trat näher, zog den batistenen Kragen seines Vorhemdchens in die Höhe, ordnete seine an der goldenen Uhrkette hängenden Petschafte und wandte, nach allen Seiten hin lächelnd, seine Aufmerksamkeit der zierlichen Dame zu, die sich gleich einer Frühlingsblume leicht verneigte und das weiße Händchen mit den halb durchsichtigen Fingern zur Stirn hob. Das Lächeln auf Kowalows Gesicht verbreitete sich noch, als er unter dem Rande ihres Hutes das runde Kinn und einen Teil der Wange gewahrte, die wie eine Frühlingsrose glühte. Aber plötzlich sprang er zurück, als hätte er sich verbrannt. Er erinnerte sich, daß er ja statt der Nase nur eine glatte Stelle im Gesicht hatte, und die Tränen strömten ihm über die Wangen. Er wandte sich ab, um dem Herrn in der Uniform gerade ins Gesicht zu sagen, daß er nur Staatsrat spiele – daß er ein Schelm und Halunke und weiter nichts sei als seine eigene Nase … Aber die Nase war nicht mehr da; sie war bereits davongefahren, wahrscheinlich, um wieder irgendwo einen Besuch zu machen.
Das brachte Kowalow zur Verzweiflung. Er ging hinaus, blieb einen Augenblick unter der Kolonnade stehen und blickte sich nach allen Seiten um, ob nicht irgendwo die Nase zu sehen sei. Er erinnerte sich sehr wohl, daß sie auf dem Kopfe einen Hut mit Federbusch und eine goldgestickte Uniform anhatte; aber den Mantel hatte er nicht beachtet, und auch die Farbe des Wagens und der Pferde war ihm nicht mehr im Gedächtnis; ja er wußte nicht einmal mehr, ob hinten auf dem Wagen ein Lakai gestanden und in welcher Livree. Zudem fuhren noch so viele Wagen hin und her und obendrein mit solcher Schnelligkeit, daß es schwer war, sie voneinander zu unterscheiden. Und hätte er auch den rechten unter denselben bemerkt – er hatte ja gar kein Mittel, ihn anzuhalten. Es war ein schöner sonnenheller Tag, und auf dem Newski Prospekt wimmelte es von Menschen. Ein Blütenstrom von Damen ergoß sich über das ganze Trottoir von der Polizeibrücke bis zur Anitschkinbrücke. Da kommt auch sein guter Bekannter, der Hofrat, auf ihn zu, den er Oberstleutnant zu titulieren pflegte namentlich dann, wenn Fremde zugegen waren. Da ist ferner Jaryschkin, der Vorsteher einer Abteilung des Senats, sein intimer Freund, der des Abends beim Boston stets verliert, wenn er Acht spielt. Und da winkt ihn ein anderer Major, der seinen Assessorenrang im Kaukasus erlangt hat, mit der Hand zu sich …
»Ach, hol's der Teufel!« sagte Kowalow, »heda, Kutscher, fahre mich direkt zum Polizeimeister!«
Kowalow setzte sich in eine Droschke und schrie dem Kutscher zu: »Fahr los, wie der Blitz!«
»Ist der Polizeimeister zu Hause?« schrie er, in den Hausflur tretend.
»Nein, nicht zu Hause«, antwortete der Portier; »soeben ausgegangen.«
»Ach, wie dumm!«
»Ja«, fuhr der Portier fort, »soeben erst fortgegangen; wären Sie nur eine kleine Minute früher gekommen, so hätten Sie ihn vielleicht noch zu Hause getroffen.«
Ohne das Tuch vom Gesicht zu nehmen, setzte sich Kowalow wieder in die Droschke und schrie mit verzweiflungsvoller Stimme: »Fort, weiter!«
»Wohin?« fragte der Kutscher.
»Gradeaus!«
»Wie das – geradeaus? Da kreuzen sich ja zwei Straßen – soll ich rechts oder links fahren?«
Diese Frage nötigte Kowalow wieder nachzudenken. In seiner Lage galt es vor allem, sich an die Polizeiverwaltung zu wenden, nicht als ob er zu der Polizei in direkter Beziehung gestanden hätte, sondern weil ihre Anordnungen viel schneller ausgeführt wer den als die der anderen Behörden. Bei den Vorgesetzten desjenigen Ressorts, bei welchem die Nase angestellt war, Genugtuung zu suchen, wäre ein ganz unvernünftiges Bemühen gewesen, da er aus den eigenen Antworten der Nase bereits den Schluß hatte ziehen können, daß diesem Menschen nichts heilig war und daß er in diesem Falle wieder ebenso lügen könnte, wie er bereits früher gelogen hatte, als er behauptete, daß er ihn, Kowalow, nie gesehen habe. Und so wollte Kowalow dem Kutscher schon den Befehl erteilen, sofort nach dem Polizeiamt zu fahren, als ihm wieder der Gedanke kam, dieser Schelm und Halunke, der sich schon bei der ersten Begegnung in so gewissenloser Weise benommen, könnte ein zweites Mal die Gelegenheit wahrnehmen und aus der Stadt entwischen – und dann waren alle Nachforschungen fruchtlos oder konnten sich doch, wovor Gott behüten möge, einen ganzen Monat lang hinziehen. Da endlich schien der Himmel ihn selbst zu erleuchten. Er beschloß, sich sofort zur Zeitungsexpedition zu begeben, um so schnell wie möglich unter ausführlicher Beschreibung all seiner Eigenschaften die Sache bekannt zu machen, damit jeder, dem er begegnete, ihn sofort anhalten und ihm zuführen oder ihm wenigstens seinen Aufenthaltsort angeben könnte. Nachdem er diesen Plan reiflich erwogen, befahl er dem Kutscher nach der Zeitungsexpedition zu fahren, und hörte auf dem ganzen Wege nicht auf, ihn mit der Faust in den Rücken zu stoßen und ihm zuzurufen: »Schneller, du Tagedieb! Schneller, du Hundsfott!«
»Ach, gnädiger Herr«, sprach der Kutscher mit dem Kopfe schüttelnd und sein Pferd, dessen Haar so lang war wie bei einem Bologneserhündchen, mit den Zügeln schlagend.
Endlich hielt die Droschke an, und nachdem Kowalow ein wenig zu Atem gekommen, eilte er in das kleine Vorzimmer, wo ein grauköpfiger Beamter in einem alten Frack und mit einer Brille auf der Nase an einem Tische saß und mit der Feder zwischen den Zähnen eingenommene Kupfermünzen zählte.
»Wer nimmt hier Bekanntmachungen an?« schrie Kowalow. »Ah! Guten Tag!«
»Ihr Diener!« sprach der grauköpfige Beamte aufblickend und dann die Augen sofort wieder auf den Geldhaufen vor sich senkend.
»Ich möchte eine Bekanntmachung …«
»Bitte, warten Sie noch ein wenig«, sagte der Beamte, mit der Rechten eine Zahl auf das Papier schreibend und mit der Linken zwei Kugeln auf der Rechenmaschine weiterschiebend. Ein Lakai, dessen Goldborten und sonstiges saubere Äußere bewiesen, daß er in einem aristokratischen Hause diente, stand neben dem Tisch mit einem Zettel in der Hand und hielt es für angemessen zu beweisen, daß er ein geselliger Mensch sei. »Wollen Sie's wohl glauben«, sagte er, »daß das Hündchen keine achtzig Kopeken wert ist – das heißt, ich würde nicht einmal acht dafür geben; aber die Gräfin ist ganz verliebt darein, bei Gott, so verliebt – und da bekommt hundert Rubel, wer es findet. Soll ich Ihnen aufrichtig etwas sagen, nämlich unter uns, die Geschmäcker der Leute sind ganz unvereinbar: wenn man schon Hundeliebhaber ist, so soll man sich einen Hühnerhund halten oder einen Pudel; dann soll's einem auch nicht leid tun, wenn er fünfhundert oder gar tausend Rubel kostet, dafür muß es aber dann schon ein schöner Hund sein.«
Der würdige Beamte hörte diese Mitteilungen mit bedeutsamer Miene an und berechnete gleichzeitig, wieviel Buchstaben die Anzeige enthalte. Neben dem Lakai stand noch eine ganze Menge von Frauen, Ladendienern und Dienstpersonal mit Zetteln. Der eine hatte einen Kutscher abzugeben, der sich durch Nüchternheit auszeichnet; der andere wünschte eine wenig gebrauchte Kalesche zu verkaufen, die im Jahre 1814 aus Paris gekommen sei; ein neunzehnjähriges Mädchen wurde angeboten, das sich auf Wäsche und andere Arbeiten verstand; eine feste Droschke ohne Federn, ein junger feuriger Apfelschimmel, siebzehn Jahre alt, frischer, aus London eingetroffener Rüben- und Rettichsamen, ein Landhaus mit allem Zubehör, Pferdeställen und einem freien Raum, der sich zur Anlegung eines Birken- oder Tannenhains eigne; noch ein anderer forderte alle diejenigen, welche alte Schuhsohlen zu kaufen wünschten, auf, sich täglich zwischen acht und drei Uhr morgens da und dort einzufinden, um den Preis zu erfragen. Der Raum, in dem diese ganze Gesellschaft sich aufhielt, war sehr klein und die Luft darin außerordentlich dumpf; aber dem Kollegien-Assessor Kowalow vermochte der Geruch nichts anzuhaben, da er sein Taschentuch vors Gesicht gedrückt hatte und seine Nase sich ja Gott weiß wo befand.
»Mein geehrter Herr, erlauben Sie mir, Sie zu bitten – ich habe große Eile«, sagte er endlich mit einiger Ungeduld.
»Sogleich, sogleich! – Zwei Rubel dreiundvierzig Kopeken. – Einen Augenblick! – Ein Rubel vierundsechzig Kopeken!« sprach der grauköpfige Herr, den Dienern und alten Weibern die Zettel ins Gesicht werfend. »Nun, was wünschen Sie denn?« fragte er endlich, sich an Kowalow