Nikolai Gogol

Petersburger Erzählungen


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traf. Der Gleichmut seines Dieners empörte ihn. Er versetzte ihm mit seinem Hut einen Hieb auf den Kopf und schrie: »Immer machst du Dummheiten, du Schweinigel.«

      Iwan sprang jäh in die Höhe, lief was er konnte, um seinem Herrn den Mantel abzunehmen.

      In seinem Zimmer angelangt, warf sich der Major müde und kummervoll auf einen Stuhl, seufzte einige Male tief auf und sagte schließlich: »Mein Gott, mein Gott! Ist das ein Unglück! Hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren, das alles wäre noch nicht so schlimm; aber ein Mensch ohne Nase – der Teufel weiß, was das ist: Nicht Fisch und nicht Fleisch – man kann ihn einfach nehmen und zum Fenster hinauswerfen. Und hätte ich sie noch im Kriege oder im Duell oder auf eine andere selbstverschuldete Art verloren, aber um nichts und wieder nichts, ohne Not, nicht einen Groschen habe ich dafür bekommen … Aber nein, es ist ja unmöglich!« fuhr er nach einigem Sinnen fort; »ganz undenkbar, daß ich die Nase verloren haben könnte; ganz und gar unwahrscheinlich. Das hat mir geträumt oder ich phantasiere nur; vielleicht habe ich aus Versehen statt des Wassers den Branntwein ausgetrunken, mit dem ich mir nach dem Rasieren das Kinn abwasche. Iwan, der Dummkopf, hat ihn nicht weggestellt, und ich habe ihn sicher getrunken.« Und um sich zu überzeugen, ob er wirklich nicht betrunken sei, kniff sich der Major so empfindlich, daß er selbst aufschrie. Dieser Schmerz überzeugte ihn vollständig, daß er in der Tat ganz wach und nüchtern sei. Langsam näherte er sich dem Spiegel und schloß zuerst die Augen, in der Hoffnung, daß vielleicht seine Nase sich wieder an der alten Stelle befände; aber in demselben Augenblick sprang er zurück und rief aus: »Was für ein niederträchtiger Anblick!«

      Es war wirklich unbegreiflich; wenn er irgend etwas anderes, einen Knopf, die Uhr, einen silbernen Löffel verloren hätte! Aber ein solcher Verlust! Und noch in der eigenen Wohnung! … Der Major Kowalow kam, alle Umstände erwägend, auf den Gedanken, ob es der Wahrheit nicht am nächsten liegen möchte, daß niemand anders schuld daran sei als die Frau des Stabsoffiziers Podtotschin, die ihn mit ihrer Tochter zu verheiraten suchte. Und er selbst kokettierte gern mit ihr, ging aber einer endgültigen Erklärung aus dem Wege. Als Frau Podtotschin ihm geradeheraus erklärte, daß sie ihr Töchterchen ihm geben möchte, da zog er sich ganz leise mit seinen Komplimenten zurück, indem er bemerkte, er sei noch zu jung, er müsse erst noch fünf Jahre dienen, um gerade zweiundvierzig Jahre voll zu haben. Und darum hat die Frau des Stabsoffiziers sicher aus Rache den Plan gefaßt, ihn zu schänden, und sich zu diesem Zwecke irgendein paar alte Hexenweiber angeworben, da auf keinerlei Weise angenommen werden konnte, daß ihm die Nase abgeschnitten worden sei: niemand kam zu ihm ins Zimmer; der Barbier Iwan Jakowlewitsch hatte ihn bereits am Mittwoch rasiert, und während des ganzen Mittwochs, ja sogar noch während des Donnerstags war die Nase noch heil gewesen. Dessen erinnerte er sich noch genau und wußte es ganz gut. Zudem würde er ja auch den Schmerz empfunden haben, und ohne Zweifel hätte die Wunde nicht so schnell heilen können. Es gingen ihm allerlei Pläne durch den Kopf; sollte er die Frau des Stabsoffiziers auf dem Rechtswege vor Gericht laden oder sich selbst zu ihr begeben und sie überführen? Er wurde in seinen Gedanken durch das Licht gestört, das durch alle Spalten der Tür hindurchdrang und erkennen ließ, daß Iwan bereits im Vorzimmer die Kerze angezündet hatte. Bald darauf trat Iwan selbst herein, das Licht vor sich tragend und die ganze Stube erleuchtend. Das erste, was Kowalow tat, war, nach dem Taschentuch zu greifen und die Stelle zu verhüllen, wo sich gestern noch die Nase befunden, damit dieser Dummkopf von Diener den Mund nicht so aufsperre, wenn er seinen Herrn in einer so seltsamen Verfassung erblickte.

      Iwan war noch nicht wieder in seine Kammer gegangen, als aus dem Vorzimmer eine unbekannte Stimme sich vernehmen ließ, welche rief: »Wohnt hier der Kollegien-Assessor Kowalow?«

      »Bitte treten Sie ein, ja, hier wohnt er«, rief Kowalow schnell aufspringend und die Tür öffnend.

      Es war ein Polizeibeamter von hübschem Äußeren mit einem nicht zu hellen und nicht zu dunklen Backenbart und ziemlich vollen Wangen, derselbe, welcher zu Beginn unserer Erzählung auf der Isaaksbrücke stand.

      »Haben Sie vielleicht beliebt Ihre Nase zu verlieren?«

      »Ganz recht.«

      »Sie ist jetzt aufgefunden worden.«

      »Was sagen Sie?« rief der Major Kowalow. Die Freude lähmte ihm die Zunge. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den vor ihm stehenden Polizeimann an, auf dessen vollem Gesicht und Lippen hell das flackernde Kerzenlicht zitterte.

      »Auf welche Weise?«

      »Auf höchst seltsame Weise: sozusagen auf der Landstraße. Sie saß bereits im Postwagen und wollte nach Riga fahren. Der Paß war schon vor längerer Zeit auf den Namen eines Beamten ausgestellt worden. Und ist es nicht merkwürdig, daß ich selbst anfangs sie für einen Herrn hielt? Aber glücklicherweise hatte ich meine Brille bei mir, und da sah ich denn sofort, daß es eine Nase war. Ich bin nämlich kurzsichtig, und wenn Sie selbst vor mir stehen, so sehe ich nur, daß Sie ein Gesicht haben, aber von einer Nase, einem Bart bemerke ich nichts. Meine Schwiegermutter, das heißt, die Mutter meiner Frau, sieht ebenfalls nichts.«

      Kowalow war außer sich. »Wo ist sie, wo? Ich eile sofort hin –«

      »Sorgen Sie sich nicht. Ich wußte, daß Sie sie brauchen und habe sie gleich mitgebracht. Und merkwürdigerweise ist der Hauptverbrecher bei dieser Sache ein Halunke von Barbier da auf der Himmelfahrtsstraße – jetzt sitzt er bereits auf der Wache. Ich hatte ihn schon lange im Verdacht, daß er ein Trunkenbold und Dieb sei, und noch vorgestern nahm er in einem Laden eine Partie Knöpfe an sich. Ihre Nase ist noch ganz so, wie sie war.« Und damit griff der Polizeibeamte in die Tasche und zog die in Papier gewickelte Nase heraus.

      »Ja, ja, das ist sie!« rief Kowalow; »richtig, das ist sie! Werden Sie heute eine Tasse Tee mit mir trinken?«

      »Würde mir sehr angenehm sein, aber ich kann wirklich nicht; ich muß von hier sofort nach dem Zuchthaus fahren … alle Lebensmittel sind jetzt furchtbar teuer … bei mir wohnt die Schwiegermutter, das heißt die Mutter meiner Frau, und Kinder; namentlich das älteste erweckt große Hoffnungen – ein kluger Junge; aber es fehlt mir vollständig an Mitteln, um ihm eine gute Erziehung zu geben …«

      Als der Polizeibeamte fort war, verharrte der Kollegien-Assessor einige Minuten in einem unbestimmten Geisteszustand; erst nach einigen Minuten war es ihm möglich, wieder zu sehen und zu fühlen – so hatte ihn die unerwartete Freude überwältigt. Vorsichtig nahm er die wiedergefundene Nase in beide Hände, die er ballte, und betrachtete sie noch einmal ganz aufmerksam.

      »In der Tat, sie ist's!« sagte der Major Kowalow zu sich. »Da ist auch das Hitzbläschen an der linken Seite, das sich vorgestern gebildet hat.« Ein Wunder, daß der Major nicht vor Freude auflachte. Aber nichts ist von Dauer hier auf Erden, und so ist auch die Freude im zweiten Augenblick schon nicht mehr so lebendig wie im ersten; im dritten wird sie noch schwächer, und schließlich verfließt sie unbemerkt mit dem gewöhnlichen Zustand der Seele – wie die Ringe auf dem Wasser, die durch das Hineinfallen eines Steines entstanden sind, endlich auf der glatten Oberfläche wieder verschwinden. Kowalow begann nachzudenken und besann sich, daß die Sache ja noch nicht vollständig erledigt war: die Nase war zwar gefunden, aber nun mußte sie wieder an ihren Platz befestigt werden.

      »Wenn sie nun nicht festwüchse?«

      Bei dieser Frage, die er sich selbst stellte, erbleichte der Major.

      Mit einem Gefühl unerklärlichen Schreckens sprang er zum Tisch und rückte den Spiegel näher, damit er die Nase nicht schief aufsetze. Die Hände bebten ihm. Vorsichtig und behutsam hielt er sie an der alten Stelle … o Schrecken! Die Nase hielt nicht! … Er hielt sie vor den Mund, wärmte sie durch seinen Atem ein wenig an und hielt sie wieder an die glatte Stelle zwischen den beiden Wangen, aber die Nase wollte durchaus nicht festhalten.

      »Na, na, na! So klettere doch hinauf, du dummes Ding!« sagte er zu ihr. Aber die Nase war wie von Holz und fiel mit einem eigentümlichen Ton so wie ein Pfropfen auf den Tisch. Das Gesicht des Majors begann krampfhaft zu zucken. »Wäre es wirklich möglich, daß sie nicht wieder anwachsen wollte?« sagte er entsetzt zu sich. Aber so oft er sie auch andrückte – alle Bemühungen waren fruchtlos.

      Er rief Iwan und schickte ihn zu dem Arzt, der in demselben Hause die schönste Wohnung im ersten