Nikolai Gogol

Petersburger Erzählungen


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und stark beschädigt – kaum hatte Tschartkow das Gesicht vom Staub gereinigt, da erkannte er die Handschrift eines großen Malers. Das Bild schien unvollendet; doch die Kraft des Künstlerpinsels wirkte schlagend. Besonders zeigte sich das an den Augen; der Maler hatte alles, was sein Pinsel konnte, und all sein Streben eingesetzt, um sie zu treffen. Sie sahen einen wirklich an aus dem Porträt heraus und wollten dessen Harmonie beinah zerstören durch ihre seltsame Lebendigkeit. Als Tschartkow nun das Bild zur Ladentüre trug, da wurde der Blick der Augen noch viel lebhafter. Und auch die Leute draußen spürten das. Denn eine Frau, die hinter Tschartkow stand, schrie ganz erschrocken: »Hu, wie er einen ansieht! Hu!« und fuhr zurück. Ein unbehagliches Gefühl, das er sich selber nicht erklären konnte, beschlich den Künstler. Eilig lehnte er das Bild von neuem an die Wand.

      »Na, nehmen Sie nun das Porträt?« fragte der Händler.

      »Ja, was soll es kosten?« fragte Tschartkow.

      »Was wird man denn dafür schon groß verlangen? Drei Viertelrubel, sagen wir!«

      »O nein.«

      »Was bieten Sie mir denn?«

      »Zwanzig Kopeken allerhöchstens«, sagte Tschartkow da und wendete sich rasch zum Gehen.

      »Was Sie für einen Schundpreis bieten! Einen Zwanziger! Da kostet ja der Rahmen mehr! Sie wollen es dann wohl erst morgen kaufen? – Halt, Herr, bleiben Sie! Bloß einen Zehner legen Sie noch drauf! – Na also, meinetwegen denn, in Gottes Namen! Geben Sie her den Zwanziger! So wahr ich lebe, bloß weil es mein Handgeld ist – Sie sind der erste, der mir heut was abkauft.«

      Danach wischte der Händler mit der Rechten durch die Luft, wie wenn er sagen wollte: Hol's der Kuckuck, fort mit Schaden!

      So hatte Tschartkow unversehens das Porträt gekauft und dachte sich dabei in seinem Sinn: ›Wozu kauf ich das eigentlich? Was hab ich denn davon?‹ Er holte einen Zwanziger aus der Tasche, gab ihn dem Händler, klemmte das Porträt unter den linken Arm und ging hinaus. Wie er so durch die Straße schritt, fiel es ihm auf die Seele, daß das sein letzter Zwanziger gewesen war. Ihm wurde plötzlich trüb und weh zumute; geheimer Zorn und eine dumpfe Gleichgültigkeit bekämpften sich in ihm. »Zum Teufel noch einmal! Ist das ein dreckiges Leben!« sprach er im ärgerlichen Ton des Russen, dem es schlecht geht, vor sich hin. Mechanisch ging er schnellen Schrittes weiter und achtete auf nichts von dem, was um ihn war. Das rote Licht des Sonnenuntergangs erhellte noch das halbe Himmelsrund; die Häuser, die gen Abend schauten, beglänzte abschiednehmend noch ein letzter warmer Schein; langsam gewann zugleich das kalte Dämmerblau des Mondes an Gewalt. Die Häuser und die Menschen warfen endlos lange, leichte, durchsichtige Schattenstreifen auf die Erde. Des Malers Auge ward allmählich wider Willen gefesselt von dem Himmel droben, der still in Ungewissem, duftig klarem Lichte stand. Fast gleichzeitig entrannen seinen Lippen die zwei Sätze: »Blödsinnig fein im Ton!« und »Hol der Teufel diese Tränenwelt!« Er drückte das Porträt, das immer wieder seinem Arm entgleiten wollte, fester an sich und schritt schneller aus.

      Todmüde und in Schweiß gebadet, erreichte er die Straße, wo er wohnte: die fünfzehnte Querstraße auf der Wassilij-Insel. Schwer atmend und nicht ohne unterwegs ein paarmal auszurasten, erstieg er dann die Treppen, wo Spülwasser ausgegossen war und wo die Hunde und die Katzen manche Spuren ihres Daseins hinterlassen hatten. Als Tschartkow droben an die Tür klopfte, blieb drinnen alles still. Niemand zu Hause. Er stützte sich aufs Fensterbrett und wartete geduldig, bis hinter ihm ein Schritt erscholl und sich ein junger Bursch in blauem Hemd zeigte. Der Bursch war unsres Malers dienstbarer Geist, der ihm Modell stand, seine Farben rieb und ihm den Boden fegte, den er jedoch zu gleicher Zeit mit seinen Stiefeln wieder frisch verdreckte. Er hieß Nikita, und er trieb sich, wenn sein Herr abwesend war, beständig unten vor dem Tor umher. Nikita suchte lange tastend nach dem Schlüsselloch, das in der Dunkelheit nicht leicht zu finden war. Doch endlich ging die Türe auf. Tschartkow betrat sein Vorzimmer, in dem die fürchterlichste Kälte herrschte, wie es bei Künstlern meist der Fall ist, ohne daß sie es jedoch bemerken. Der Maler legte seinen Mantel dort nicht ab und ging gleich in sein Atelier, ein großes, aber niedriges quadratisches Gemach mit dick befrorenen Fensterscheiben, wo eine Menge Ateliergerümpel sich herumtrieb: zerbrochene Gipsgliedmaßen, leinwandbespannte Keilrahmen, flüchtige Skizzen, kaum begonnen, schon verworfen, nachlässig über Stuhllehnen gehängte Draperien. Tschartkow war ganz erschöpft; er warf den Mantel ab und lehnte das Porträt, das er mit heimgetragen hatte, tief in Gedanken zwischen ein paar andere Bilder von kleinerem Formate an die Wand. Dann sank er auf den Diwan, dem man es eigentlich nicht gut nachsagen konnte, daß er mit Leder »überzogen« sei; denn all die vielen blanken Messingknöpfe, die einst das Leder festgehalten hatten, führten schon längst ein Leben ganz für sich, wie sich der Überzug denn gleichfalls selbständig gemacht hatte und so Nikita in die Lage setzte, darunter schmutzige Strümpfe, Hemden sowie andere Wäschestücke zu verstauen. Als er ein Weilchen stumpf auf diesem Möbel gesessen und gelegen hatte, soweit von Liegen bei dem schmalen Diwan überhaupt die Rede war, rief Tschartkow endlich laut nach Licht.

      »Ist doch kein Licht mehr da«, erwiderte Nikita.

      »Was heißt: ›kein Licht‹?«

      »War doch schon gestern keins mehr da«, brummte Nikita.

      Richtig, schon gestern hatte es kein Licht gegeben. Der Maler nickte matt und fand sich damit ab und sagte weiter nichts. Er ließ sich aus den Kleidern helfen und zog den äußerst fadenscheinigen Schlafrock an.

      »Ach ja, und dann ist auch der Hauswirt dagewesen«, meldete Nikita.

      »Wegen des Geldes wohl? Schon recht«, erwiderte der Maler und schlug wegwerfend mit der Linken durch die Luft.

      »Er hatte heute aber jemand bei sich«, fuhr Nikita fort.

      »Bei sich? Wen denn?«

      »Weiß nicht . . . Den Polizeiwachtmeister . . .«

      »Was wollte denn der Wachtmeister?«

      »Weiß nicht. Er sagte: weil die Miete nicht bezahlt ist.«

      »Na, was soll dann sein?«

      »Weiß nicht, was sein soll. Bloß hat er gesagt: ›Wenn er nicht zahlen will‹, hat er gesagt, ›dann muß er aus dem Haus.‹ Sie wollten morgen beide wiederkommen.«

      »Sollen nur kommen«, sagte Tschartkow. Eine dumpfe Traurigkeit warf ihre Schleier über ihn.

      Der junge Tschartkow war ein Künstler von Begabung, der für die Zukunft viel versprach. Was ihm in den Momenten gehobener Inspiration gelang, das zeugte von geschärftem Blick und Sinn für strenge Komposition, von einem eifervollen Drang, sich der Natur zu nähern. »Mein lieber Tschartkow«, sagte sein Professor oft zu ihm, »Sie haben zweifellos Talent. Es wär 'ne Sünde und 'ne Schande, wenn Sie's verkommen und verludern ließen. Woran es fehlt, das ist die Ausdauer. Wenn Sie mal etwas reizt, wenn Ihnen was gefällt, dann stürzen Sie sich drauf, und alles andere scheint Ihnen Dreck und Tand. Sie wollen überhaupt nichts andres sehen. Nehmen Sie sich wohl in acht, daß Sie kein Modemaler werden! Schon heute kreischen Ihre Farben manchmal gar zu laut. Sie zeichnen auch bei weitem nicht solid genug. Oft ist die Zeichnung einfach schwach, alle Konturen ganz verblasen. Sie werfen sich auf den modernen Beleuchtungsschwindel und auf dergleichen billigen Kitsch, der jedem Esel in die Augen sticht. Sehn Sie sich vor: auf einmal stecken Sie, hast du nicht gesehen, tief in der englischen Manier. Sehn Sie sich vor: schon streckt die eitle Oberflächlichkeit nach Ihnen ihre Krallen aus. Sie laufen auch zuzeiten mit einer stutzerhaften Halsbinde und einem blankgebügelten Kastor umher. Es ist ja sehr verlockend, Geld zu machen mit modernen Bildchen und Porträtchen. Bloß geht bei der Beschäftigung das Talent zum Kuckuck, statt daß was Rechtes daraus wird. Geduld, Geduld! Und jede Arbeit innerlich ausreifen lassen! Sollen andere den Stutzer spielen und leicht verdientem Geld nachjagen – das Geld, das Ihnen mit der Kunst noch einmal zu erwerben vorbestimmt ist, das läuft Ihnen nicht davon!«

      Teilweise hatte der Professor recht. Zuweilen packte Tschartkow wohl die Lust, flott in den Tag hineinzuleben und sich fein zu kleiden, kurzum, sich seiner Jugend leichtsinnig zu freuen; doch er behielt sich stets im Zügel. Zuzeiten konnte er beim Malen alles um sich her vergessen; riß er sich dann zum Schluß von seiner Arbeit los, so glich es dem Erwachen aus einem wunderschönen Traum. Auch sein Geschmack