in sein Gesicht, durch sein Gesicht hindurch auf seiner Seele Grund . . . Es wird ihm kalt ums Herz. Er sieht: der fremde Alte dort im Bild bewegt sich, stützt die Hände auf den Rahmen, stemmt sich hoch und springt mit beiden Füßen aus dem Bild . . . Tschartkow sieht durch die Ritze in dem Schirm nur noch den leeren Rahmen. Ein schwerer Schritt tappt durch das Zimmer und schreitet langsam, langsam auf den Bettschirm zu. Dem armen Künstler klopft das Herz im Halse. Mit angehaltenem Atem lauscht er zitternd – gleich schaut er um den Schirm herum auf ihn, der unheimliche alte Mann. Sieh, dort – da starrt er ihn schon an mit seinem bronzebraunen Gesicht und rollt die aufgerissenen Augen. Tschartkow will schreien – er hat keine Stimme mehr; er will sich rühren, ach, nur einen Finger rühren – die Glieder weigern ihm den Dienst. Mit offenem Mund und angehaltenem Atem sah er auf diese seltsame Erscheinung, um deren hohen Leib eine Art faltenreiche Kutte asiatischen Charakters wallte; bang harrte er, was werden würde. Der Alte hockte sich zu seinen Füßen nieder und holte etwas aus den Falten seines wallenden Gewandes. Es war ein Sack. Der Fremde löste dessen Schnur, ergriff ihn an den beiden Zipfeln und schüttelte ihn aus: mit dumpfem Dröhnen fielen schwere Rollen auf den Boden, welche langen, dünnen Säulen glichen. Sie waren eine wie die andere in blaues Packpapier gehüllt, auf einer wie der andern stand geschrieben: »1000 Dukaten«. Der Fremde reckte seine langen, knochigen Hände aus den weiten Ärmeln und machte sich daran, die Rollen aufzuwickeln. Es funkelte von Gold. So schwer das Herz des Malers war und ob die Angst ihm auch fast das Bewusstsein raubte – er konnte seinen Blick nicht von dem Golde reißen; er sah, wie es von knochigen Fingern ausgewickelt wurde, wie es im Mondlicht glitzerte und klingelte und klapperte, und – wieder eingewickelt wurde. Auf einmal sah er eine Rolle, die von den andern fortgekollert war und unter ihm zu Häupten seines Bettes an der Erde lag. Gleichsam von einem Krampf gepackt, hob er die Rolle auf und schielte dabei voll Entsetzen nach dem Fremden, ob der es auch nicht sähe. Doch der alte Mann schien ganz vertieft in seine Tätigkeit; er raffte seine Rollen wieder in den Sack, und dann verschwand er, ohne Tschartkow einen Blick zu schenken, hinter dem Schirm, wie er gekommen war. Das Herz des Malers pochte fürchterlich, da er dem Klang der Schritte lauschte, die sich langsam, langsam zu entfernen schienen. Er krampfte seine Finger fester um die Rolle und zitterte am ganzen Leib für seine Beute. Da plötzlich hört er, wie die Schritte wieder näher kommen – dem Fremden ist wohl eingefallen, daß die eine Rolle fehlt. Da, da – er funkelt ihn um den Schirm herum mit bösen Augen an! Verzweifelt preßt der Maler seine Hand aus allen Kräften um die Rolle und müht sich wütend ab, ein Glied zu rühren; ein Schrei entringt sich seiner Brust, er – ist erwacht.
Der kalte Schweiß rinnt ihm herab, sein Herz schlägt so gewaltig, wie ein erregtes Menschenherz nur schlagen kann, es liegt ein Druck auf seiner Brust, als müsse er sogleich den letzten Atemzug verhauchen. »Soll das ein Traum gewesen sein?« fragt er und faßt sich mit den Händen an den Kopf. Aber die furchtbare Lebendigkeit des Fremden hatte nichts Traumhaftes gehabt. War er denn nicht schon wach gewesen, als die Erscheinung wieder in den Rahmen stieg; ja, wehte dort nicht immer noch ein Zipfel des wallenden Gewandes durch die Luft? Und spürte er es denn nicht deutlich in der Hand, daß er darin vor einem Augenblick erst einen schweren Gegenstand gehalten hatte? Das Mondlicht füllte das Atelier und ließ in dessen finsteren Winkeln hier und dort bald dies, bald jenes aus dem Dunkel treten. Hier ein Stück Linnen und dort gipsern weiß den Abguss einer Hand, hier eine über einen Stuhl geworfene Draperie, dort eine alte Hose, ein Paar ungeputzte Stiefel . . . – Plötzlich bemerkte Tschartkow, daß er gar nicht im Bette lag – er stand auf seinen Füßen dicht vor dem seltsamen Porträt. Wie er dahin gekommen war, schien ihm vollkommen unverständlich. Noch staunenswerter aber war es, daß das Bildnis unverhüllt und offen hing und daß das Laken ohne Spur verschwunden war. Starr vor Schrecken sah er auf das Porträt und fühlte sich durchbohrt von diesen fürchterlich lebendigen Menschenaugen. Kalt rann der Schweiß von seiner Stirn; er wollte fliehen, aber seine Füße hafteten am Boden. Er sieht – es ist kein Traum –, wie sich das Antlitz des alten Mannes dort im Bilde regt, wie sich die schmalen Lippen ihm entgegenspitzen, um ihm das Blut aus seinem Leib zu saugen . . . Mit einem wilden Angstgeheul springt er zurück und – ist erwacht.
›Soll denn auch das ein Traum gewesen sein?‹ Sein Herz schlug zum Zerspringen; er tastete mit beiden Händen um sich her. Jawohl, er lag im Bett, genau noch in der Haltung, wie er eingeschlafen war. Da vor ihm stand der Schirm; der Mondschein füllte das Gemach. Und durch die Ritze in dem Schirm sah er auch das Porträt, vom Laken eingehüllt, wie sich's gehörte, wie er es mit eigener Hand verborgen hatte. Also war dies wieder nur ein Traum gewesen! Doch in der festgekrampften Hand blieb ihm noch immer die Empfindung, als hätte er vor einem Augenblick etwas darin gehabt. Sein Herz pocht heftig, beinah unerträglich, eine fürchterliche Bürde lastet auf seiner Brust. Er lauert durch die Ritze in dem Schirm und kann den Blick nicht von dem Laken wenden. Da sieht er deutlich, wie sich das weiße Tuch verschiebt als regten sich darunter Hände und mühten sich, es abzuwerfen. »Herr, du mein Gott, was ist das!« schreit er auf und – ist erwacht.
›So war auch das ein Traum gewesen?‹ Er sprang aus seinem Bett, verstört und halb von Sinnen. Er wußte nicht, wie ihm geschah. War das ein Alpdruck, war's ein Geisterspuk, war es nur Fieberphantasie, war es ein wirkliches Gespenst? Um seine seelische Erregung ein wenig zu beruhigen, sein aufgepeitschtes Blut, das ihm in wilden Schlägen durch die Adern pulste, abzukühlen, sprang er vom Bette auf und öffnete das Fenster. Der kalte, frische Wind belebte ihn. Der Mondschein lag noch immer auf den Dächern und den weißen Mauern, wenngleich die hellen Wolken mählich dichter an dem Himmelszelt hinsegelten. Es war ganz still; nur hier und da drang fern aus einer engen Gasse das Rasseln einer Droschke an sein Ohr, auf der, sanft eingelullt vom faulen Trotte seiner Mähre, der Kutscher schlief und eines späten Fahrgasts harrte. Lange sah Tschartkow aus dem Fenster. Schon wuchs am Himmelsrand das erste Morgenrot. Endlich gewann die Müdigkeit Gewalt, er schlug das Fenster zu, kroch wieder in sein Bett und schlief, kaum daß er lag, schon wie ein Toter, schwer und fest.
Als er erwachte, war es hoch am Tag. Er fühlte sich wie einer, der Kohlendunst geatmet hat, und hatte fürchterliches Kopfweh. Die Luft im Atelier war dumpf und von der widerlichen Feuchtigkeit geschwängert, die schwer durch alle Fensterritzen drang. Bilder und untermalte Leinwanden auf Staffeleien verstellten dem Morgenlicht den Weg. Finster und trübselig wie ein begossener Pudel saß Tschartkow lange auf dem abgewetzten Diwan. Er hatte zu nichts Lust und wußte nicht, was er beginnen solle. Auf einmal kam der Traum von heute nacht ihm wieder in den Sinn. Und wie er ihn sich Stück für Stück zurückrief, wurde dieser Traum in seiner Phantasie so peinigend lebendig, daß ihn ein Zweifel ankam, ob es in der Tat bloß Traum und Fieberwahn gewesen sei, ob sich dahinter nicht noch etwas andres berge, ob er nicht wirklich einen Geist gesehen hätte. Er riß das Laken von dem Bild und musterte das seltsame Porträt noch einmal ganz genau bei Tageslicht. Wohl zeigten diese Augen eine erstaunliche Lebendigkeit, doch fand er jetzt nicht mehr, daß sie gar so entsetzlich wären. Nur ein gewisses Unbehagen, das er sich nicht erklären konnte, lag nach wie vor auf seiner Seele. Und dabei war er immer noch nicht völlig überzeugt, daß alles nur ein Traum gewesen sei. Ihn wollte es bedünken, als hätte in dem Traum irgendwie ein Stückchen Wirklichkeit gesteckt. Ihn wollte es bedünken, als läge schon im Blick und in der Miene des alten Mannes auf dem Bild so etwas wie ein Mahnen daran, daß er in dieser Nacht bei ihm gewesen sei. Und in der Hand blieb ihm noch immer die Empfindung, als hätte eben erst ein schwerer Gegenstand darin geruht, der ihm entrissen worden wäre. Ihn wollte es bedünken, daß er die Rolle nur ein wenig fester hätte halten müssen, dann wäre sie nach dem Erwachen noch in seiner Hand gewesen.
»Ach Gott! Wenn ich nur einen Teil von diesem Gelde hätte!« rief er und seufzte schwer. Er sah im Geiste wiederum, wie aus dem Sacke all die vielen Rollen mit der verführerischen Inschrift »1000 Dukaten« auf den Boden fielen. Die Rollen wurden aufgewickelt, und es funkelte von Gold, sie wurden wieder eingewickelt – er saß und bohrte seine Augen starr und sinnlos in die leere Luft, gleich einem Kind, das vor der süßen Speise sitzt und, während ihm das Wasser im Mund zusammenläuft, verzweifelt zusehen muß, wie andere die guten Dinge schnabulieren und ihm nicht einen Brocken übriglassen. Schließlich ließ ein Pochen an der Türe den Maler erschrocken aus der Träumerei auffahren. Es war der Hauswirt. Mit ihm kam der Polizeiwachtmeister, welcher kleinen Leuten, wie bekannt, ein noch viel unwillkommenerer Gast ist als einem reichen Herrn ein Bettelmann. Der Herr des kleinen Hauses, in dem Tschartkow