Nikolai Gogol

Petersburger Erzählungen


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ließ sich fesseln von den Porträts des großen Tizian und schwärmte für die Niederländer. Noch hatte sich der dunkle Schleier, der diese alten Bilder deckt, vor seinen Augen nicht gelichtet, doch konnte er durch ihn hindurch schon mancherlei erkennen, wenn er sich auch in seinem Innersten nicht unbedingt der Meinung des Professors unterwerfen wollte, die alten Meister seien Vorbilder für uns, die ewig unerreichbar blieben. Er fand sogar, daß unser neunzehntes Jahrhundert die Alten doch in manchen Stücken überflügelt hätte. Man stünde heute der Natur intimer gegenüber und wisse sie mit mehr Lebendigkeit und Treue nachzubilden. Kurzum, er dachte, wie nun einmal junge Leute denken, die schon etwas erreicht haben und innerlich sehr stolz auf das Erreichte sind. Es konnte ihn empören, wenn irgend so ein zugereister Maler aus Frankreich oder Deutschland, der oft nicht einmal Maler von Beruf war, wenn so ein Mensch bloß durch die flotte Technik, durch breiten Strich und knalliges Kolorit ein mächtiges Geschrei erregte und sich im Handumdrehen ein Vermögen machte. Solche Gedanken lagen ihm sehr fern, wenn er von seiner Arbeit hingenommen war und Speis und Trank, kurzum, die ganze Welt darob vergaß; sie plagten ihn nur in den Zeiten, wo die Not bei ihm am Ende gar zu groß geworden war, wenn er kein Geld für Farben, Leinwand noch auch Pinsel mehr besaß und wenn der ungeduldige Hausherr des Tages zehnmal erschien und die längst fällige Miete einkassieren wollte. Dann schien der durch den Hunger aufgepeitschten Phantasie des armen Kerls das Los des reichen Malers höchst beneidenswert; dann stand in ihm wohl der Gedanke auf, der, ach so oft, verführerisch durch die Russenköpfe geistert: den ganzen Krempel hinzuschmeißen und seinen Kummer zu versaufen, Gott und der Welt zum Trotz! – Na ja, und gerade heute lag ihm die Art von Stimmung nur zu nah.

      »Geduld, Geduld!« so sprach er grimmig vor sich hin. »Auch die Geduld hat schließlich ihre Grenzen. Geduld! Und wovon soll ich morgen mittag essen? Gepumpt krieg ich von keinem was. Wenn ich auch alle meine Bilder und alle Zeichnungen dazu verkaufen wollte, der ganze Kram trägt mir noch keinen Zwanziger ein. Sie hatten freilich ihren Zweck, das fühl ich ganz genau. Umsonst hab ich kein Stück davon gemacht; an jedem habe ich mein Teil gelernt. Aber was nützt mir das? Bloß Studien und Skizzen, die ewiglich nur Studien und Skizzen bleiben, und weiter wird nichts draus. Wer soll sie denn auch kaufen, da doch niemand meinen Namen kennt? Wer kann denn etwas anfangen mit diesen Zeichnungen nach der Antike und Studien nach der Natur, oder mit meiner »Psyche«, die niemals fertig wird, oder mit dieser Innenansicht meines Zimmers oder mit dem Porträt Nikitas, und wenn es zehnmal besser ist als irgend so ein Kitschporträt von einem Modemaler? Zum Teufel noch einmal! Was plag ich mich und schinde mich gleich einem Schuljungen in einem fort nur mit dem Abc, wo ich doch einen Namen haben und mir Geld verdienen könnte, so gut wie irgendeiner von den andern?«

      Kaum waren diese Worte seinem Mund entronnen, da packte unsern Maler jäh ein Zittern; er wurde totenbleich: zwischen den Leinwanden hervor, die drüben lehnten, sah ihn ein krampfverzerrtes Antlitz an; zwei fürchterliche Augen bohrten ihren Blick in seine Stirn, als wenn sie ihn verschlingen wollten; zwei stumme Lippen riefen ihm dräuend zu, er solle schweigen. Schon war der Maler im Begriff, laut aufzuschreien, um Nikita, der draußen schon ein fürchterliches Schnarchen angehoben hatte, zu sich in das Atelier zu rufen. Doch er besann sich auf einmal und mußte lachen: das war bloß das Porträt, das er gekauft und mittlerweile wieder ganz vergessen hatte. Der Mondschein, der durchs Zimmer wallte, fiel auf das Bild und lieh ihm diese gespenstische Lebendigkeit. Er machte sich daran, es näher zu betrachten und zu säubern. Er tauchte einen Schwamm ins Wasser und fuhr damit ein paarmal über das Porträt. So wusch er fast den ganzen Staub und Schmutz herunter, der sich durch viele Jahre angesammelt hatte. Dann hängte er das Bildnis an die Wand und mußte mehr noch als im Anfang staunen, wie meisterhaft gemalt es war. Dies Gesicht schien ihm zu leben, diese Augen sahen so fest auf ihn, daß er zum Schluß entsetzt zurückfuhr und zitternd rief: »Er starrt mich an! Das sind lebendige Menschenaugen!« Und ihm fiel ein, was ihm vor längerer Zeit schon sein Professor über ein Bildnis Lionardo da Vincis Seltsames berichtet hatte. Der große Meister mühte sich an dem Porträt durch viele Jahre und hielt es immer noch nicht für vollendet, indessen es doch nach Vasaris Zeugnis von aller Welt als unerhört vollendetes, schlechthin vollkommenes Werk der Kunst gepriesen wurde. Vollendeter als alles andre waren auf dem Bild die Augen; sie weckten Staunen und Bewunderung bei den Zeitgenossen. Sogar das kleinste Äderchen darin, das kaum noch zu erkennen war, hatte des Künstlers Pinsel treulich festgehalten. Das Bildnis nun, das heute hier vor Tschartkow hing, besaß etwas ganz Sonderbares. Das konnte schon nicht mehr als Kunst bezeichnet werden, denn es zerriß die ganze Harmonie des Bildes; die Augen wirkten wie lebendige Menschenaugen, als wären sie aus eines Menschen Angesicht geschnitten und lebendig in die Leinwand eingefügt. Vor diesem Bild empfand man nichts von dem erhabenen Genuss, der unsre Seele bei dem Anblick eines Meisterwerkes packt, mag dessen Vorwurf noch so grausig sein – hier lähmte den Beschauer ein schmerzlich quälendes Gefühl. ›Wie kommt das?‹ fragte sich der Maler unwillkürlich. ›Das ist doch bloß Natur, lebendige Natur . . . Woher denn also das seltsam peinliche Gefühl? Ist schon die sklavische, buchstabentreue Abschrift der Natur Versündigung am Geist der Kunst und wirkt gleich einem grell dissonierenden Gekreisch? Oder kommt es daher, daß hier der Maler sein Modell nicht mit dem rechten Anteil und Gefühl betrachtet, daß nicht die Seele ihm die Hand geführt hat? Steht darum bloß die schauerliche Wirklichkeit des Dargestellten auf der Leinwand, von keinem Glanz der unergründlichen Idee durchhellt, die heimlich hinter allen Dingen waltet? Gleicht das hier nicht der Wirklichkeit, die sich dem Blicke öffnet, wenn man zu dem Messer des Chirurgen greift, um eines Menschen Schönheit zu ergründen? Man schneidet ihm das Innere auf und sieht nur Gräuel und Entsetzen! Warum scheint dir die einfachste und niedrigste Natur, wenn sie der rechte Künstler abmalt, von einem ganz eigenen Licht verklärt, und du empfindest nichts von Niedrigkeit? O nein, du hast den edelsten Genuss daran und meinst zu spüren, wie sich der Strom der Welt um dich zu stillerem Fließen glättet? Warum scheint dir das gleiche Stück Natur, wenn es ein andrer Künstler auf die Leinwand bannt, von Hässlichkeit und Schmutz erfüllt, und mag der Künstler die Natur genauso treu darstellen wie der erste? Nein, nein, es fehlt an seinem Bilde doch etwas: das Leuchten, das von innen kommt. Das ist genauso wie ein Blick ins Land: mag auch die Aussicht noch so wunderherrlich sein – steht nicht der Sonnenball am Firmament, so fehlt ihr irgend etwas.‹

      Tschartkow trat wieder vor das Bildnis hin, um diese wunderlichen Augen näher zu betrachten, und sah entsetzt, daß sie in Wahrheit auf ihn niederstarrten. Das war nicht bloß getreue Nachahmung der Natur, das war die furchtbare Lebendigkeit, wie sie das Antlitz einer Leiche zeigen müßte, die aus dem Grabe aufersteht. Ob es vom Mondlicht kam, das einen gerne in das Reich erregter Phantasien lockt und jedem Ding ein anderes Gesicht verleiht, als es am nüchtern hellen Tage zeigt, ob sonst etwas schuld war – ihm grauste es mit eins davor, so mutterseelenallein in seinem Atelier zu sitzen. Ohne Geräusch ging er zur andern Wand, drehte dem Bild den Rücken zu und war bestrebt, ihm keinen Blick zu schenken. Doch wider Willen schweiften seine Augen verstohlen schielend in die alte Richtung. Schon graute es ihm auch vor jedem Schritt durchs Zimmer, denn immer war es ihm, als schliche jemand leise hinter ihm, und zaghaft drehte er den Kopf zurück. Er war gewiß kein Feigling, aber seine Phantasie und seine Nerven waren leicht erregbar, und heute Abend konnte er die dumpfe Furcht nicht bannen. Er setzte sich in eine Ecke, hatte aber da noch immer das Gefühl, als starre ihm ein Fremder über die Schulter ins Gesicht. Sogar das Schnarchen seines Dieners, das aus dem Vorgemach hereindrang, konnte nicht sein Angstgefühl verscheuchen. Zaghaft und ohne aufzublicken, erhob er sich zuletzt, begab sich hinter seinen Bettschirm und legte sich zur Ruhe nieder. Jedoch durch eine Ritze in dem Schirm sah er das monderhellte Zimmer liegen, sah er gerade gegenüber seinem Bett das Bildnis an der Wand. Die fürchterlichen Augen bohrten sich noch drohender, als sie es zuvor getan, in sein Gesicht und schienen nichts zu sehn als ihn allein. Von kaltem Grauen angepackt, nahm er all seinen Mut zusammen, sprang aus dem Bett, ergriff ein Laken und deckte das Bild sorgfältig zu.

      Als das geschehen war, begab er sich, viel ruhiger geworden, von neuem in sein Bett. Er sann darüber nach, wie arm er war, wie schwer das Los des Künstlers ist und welchen Dornenweg er hier auf Erden wandeln muß. Und dabei spähten seine Augen unwillkürlich durch die Ritze in dem Schirm nach dem verhüllten Bild. Der Mondschein ließ das Weiß des Lakens noch viel greller leuchten; ihm war, als sähe er den Glanz der fürchterlichen Augen durch das Linnen dringen. Erschrocken heftete er seinen Blick darauf, als wolle er sich überzeugen, daß dies törichter Wahn und Täuschung