womöglich belehrende und bildende Erklärungen für die Jugend hinzuzufügen.
Über all diese Vorgänge waren natürlich alle diejenigen unvermeidlichen Besucher aller Bälle der Gesellschaft hocherfreut, die gern die Damen lachen machten und deren Stoff zu jener Zeit völlig erschöpft war. Nur wenige ehrwürdige, wohlgesinnte Leute waren unzufrieden. Ein Herr äußerte sich mit Unwillen dahin, daß er nicht begreife, wie man in dem gegenwärtigen erleuchteten Jahrhundert so unsinnige Erfindungen verbreiten könne, und er sei höchst er staunt, daß die Regierung nicht ihre Aufmerksamkeit darauf lenke. Dieser Herr gehörte, wie hieraus zu ersehen, zu denjenigen, welche die Regierung in alles verwickeln möchten – sogar in ihre eigenen täglichen Streitigkeiten mit ihrer Frau. Gleich darauf – aber hier verhüllen sich alle Ereignisse wieder mit nebelhafter Dunkelheit, und was ferner geschah, ist ganz und gar nicht bekannt geworden.
Das Porträt (1842)
Erster Teil
Nirgends blieben so viele Leute stehen wie vor dem kleinen Bilderladen in der Schtschukinpassage. Der Laden zeigte aber auch ein Sammelsurium der sonderbarsten Herrlichkeiten. Den meisten Raum beanspruchten die Ölgemälde, die blank von grünlich angehauchtem Firnis waren und durch stumpf gelbe Goldrahmen in ihrer Buntheit noch gehoben wurden. Ein weißer Winter mit beschneiten Bäumen, ein knallig roter Sonnenuntergang, der mehr an eine Feuersbrunst gemahnte, ein holländischer Bauer mit bös verrenktem Arm und langer weißer Pfeife, der eher einem Truthahn in Manschetten als einem Christenmenschen ähnlich sah – das etwa waren die Motive dieser Bilder. Doch auch Porträts in Stahlstich fehlten nicht: Chosrew-Mirsa, die Lammfellmütze auf dem Kopf, und ein paar Generale in Dreimastern und mit windschiefen Nasen. Ferner hingen an der Ladentür gleich ganze Stöße grober Holzschnittbilderbogen, Erzeugnisse der durch kein Studium beirrten Kunstbegabung unseres Volkes. Da sah man die Prinzessin Miliktrissa Kirbitjewna sowie auf einem andern Blatt die Stadt Jerusalem, bei der die Häuser und die Kirchen ohne Federlesen dick mit roter Farbe überpinselt waren. In diesem Rot ertrank auch noch ein Teil des Erdbodens nebst zwei kleinrussischen Bäuerlein in Fausthandschuhen, die anbetend vor den heiligen Stätten knieten. Käufer für solche Kunstwerke sind sicher äußerst rar, Bewunderer hingegen trifft man immer haufenweise. Ganz ohne Zweifel findest du vor ihnen jederzeit den einen oder andern bummligen Bedienten, in seiner Linken die Menage mit dem Mittagessen, das er für seinen Herrn aus einem Restaurant geholt hat; eins ist nicht zu bezweifeln: seinen Mund wird sich der arme Herr an der Kohlsuppe heute nicht verbrennen. Daneben steht dann wohl in fadenscheinigem Mantel einer der Kavaliere unserer Trödelmärkte, ein abgemusterter Soldat, der ein paar Federmesser feilhält, und etwa eine Vorstadthausiererin, am Arm den großen Korb voll Filzpantoffeln. Ein jeder äußert hier die Kunstbegeisterung auf seine Art: die Bauern fassen die Drucke mit den Fingern an, die »Kavaliere« mustern sie mit wichtiger Miene, die Laufburschen und Handwerkslehrlinge erheben ein Gelächter und finden in den ausgehängten Fratzen verblüffend viele Ähnlichkeiten mit den Kameraden, die gerade neben ihnen stehen. Die alten Diener in den groben Mänteln verweilen hier, weil es ja schließlich einerlei ist, wo sie Maulaffen feilhalten, die jungen Trödlerinnen zieht es unwillkürlich überallhin, wo das Volk sich sammelt, sie kommen angelaufen, um zu hören, was die Leute schwätzen, und festzustellen, was es da zu sehen gibt.
Ohne sich dabei etwas zu denken, hemmte der junge Maler Tschartkow, der ganz von ungefähr des Weges kam, vor diesem Laden seinen Schritt. Er hatte einen alten Mantel an und war im übrigen recht nachlässig gekleidet. Das deutete auf einen Mann, der sich mit Selbstverleugnung seiner Arbeit widmet und deshalb keine Zeit hat, auf sein Äußeres zu achten, was doch für junge Leute sonst von tief geheimnisvollem Reiz ist. Er machte also vor dem Laden halt und lachte anfangs über die entsetzlich schlechten Bilder. Doch langsam wurde er nachdenklich und fragte sich, wem wohl in aller Welt mit dem Geschmier auf irgendeine Art gedient sein könnte. Nicht das erschien ihm wunderlich, daß sich der Russe aus dem Volk von diesen Recken einer grauen Vorzeit, von ihren Gastereien und Gelagen, von Foma und Jerjoma fesseln läßt – die Vorwürfe der Holzschnittbilderbogen waren gewiß volkstümlich und dem kleinen Mann zu Herzen sprechend. Aber wo in der Welt gab es wohl einen Käufer für die bunten, ruppig hingeklecksten Ölgemälde? Wem konnten diese holländischen Bauern, diese blitzblauen und knallroten Landschaften auch nur das geringste sagen, dieses Gesudel, das den Anspruch machte, auf einer irgendwie gehobenen Stufe der Malerei zu stehen, und das dabei die Kunst doch nur zutiefst erniedrigt und geschändet zeigte? Und dabei waren das durchaus nicht die Produkte eines blutigen Dilettanten. Sonst hätte daraus doch bei aller Unfähigkeit und Stümperei wenigstens der Drang, das Beste herzugeben, sprechen müssen. Hier aber war nur eines zu verspüren: absoluter Stumpfsinn und eine kraftlos kümmerliche Talentverlassenheit, die sich ganz unverfroren auf die Kunst geworfen hatte, da doch ihr eigentliches Feld im besten Fall ein Handwerk von der gröbsten Art gewesen wäre. Und diese traurige Talentverlassenheit blieb dabei ihrem angeborenen Beruf vollkommen treu – sie trieb die Kunst kaltblütig als ein ordinäres Handwerk. Dafür waren Zeugen diese Farben und der flotte Strich, das lockere Gelenk und die geübte Hand, die eher einem primitiven Automaten als einem richtigen Menschen zu gehören schienen . . . Tschartkow stand eine Weile vor den scheußlichen Gemälden und war mit den Gedanken bald woanders. Der Bilderhändler aber, ein ergrauter Mann in einem Mantel aus gemeinem Fries, mit einem Kinn, an dessen Stoppeln seit dem Sonntag kein Rasiermesser gekommen war, sprach mittlerweile lebhaft auf ihn ein und marktete und machte Preise, ohne sich vorher zu vergewissern, was Tschartkow eigentlich gefallen habe und ob er etwas von den Sachen kaufen wolle.
»Die Bauern da und hier die feine kleine Landschaft bekommen Sie zusammen für bloß fünfundzwanzig Rubel. Wie das gemalt ist! Das muß jedem in die Augen springen! Frisch von der Messe angekommen: der Lack noch nicht mal richtig trocken! Oder der Winter da – wenn Sie den Winter wollen . . . Fünfzehn Rubel! Das ist allein der Rahmen wert! Ja, so ein Winter stellt was vor!« Der Kaufmann schnippte mit dem Zeigefinger kräftig an die Leinwand, als könnte er auf diese Art die hohe Qualität des Winters augenfällig machen. »Soll ich die Bilder gleich zusammenbinden und Ihnen in die Wohnung schaffen lassen? Wie ist die werteste Adresse? Petruschka, he, reich mal den Bindfaden herüber!«
»Halt, lieber Freund, nur immer langsam!« rief der Künstler, als er, aus der Versunkenheit erwachend, sah, daß der gerissene Händler im Begriff war, die Bilder ganz im Ernst mit Bindfaden zu einem Packen zu verschnüren. Es schien Tschartkow ein wenig peinlich, nichts zu kaufen, da er schon gar so lange in dem Laden stand, und er fuhr fort: »Halt, halt, ich möchte lieber untersuchen, ob sich da unten nicht was für mich findet.« Er bückte sich zu einer Anzahl abgewetzter und verstaubter Bilder, die liederlich am Boden aufgestapelt lagen und sich in dem Geschäfte augenscheinlich nur geringer Wertschätzung erfreuten. Da gab's uralte Ahnenbilder, für die man hier auf Erden kaum noch einen Nachkommen gefunden hätte; da gab es löcherige Leinwanden, darauf sich überhaupt nichts mehr enträtseln ließ, und Rahmen, die den Goldglanz längst verloren hatten – mit einem Worte: nichts als schäbiges Gerümpel. Der Künstler aber sah den Haufen durch und dachte insgeheim: ›Vielleicht kann ich da doch etwas entdecken.‹ Er hatte oft davon erzählen hören, wie der und jener schon in solchem alten Plunder Werke großer Meister aufgestöbert hätte.
Sowie der Händler sah, wofür sich Tschartkow interessierte, erlahmte sein geschäftiger Eifer alsobald; er trat mit der gehörigen Würde wieder auf seinen alten Posten vor der Tür und rief die Leute an und wies auffordernd in den Laden: »Treten Sie näher, Herr! Hier gibt es Bilder . . .! Nur hereinspaziert, hereinspaziert! Frisch von der Messe angekommen!« Als er sich, ohne etwas damit zu erreichen, halb kaputt geschrien hatte, begann er ein ausführliches Gespräch mit einem Trödler, der ihm gerade gegenüber gleichfalls in der Türe lehnte; doch endlich fiel ihm ein, daß ja in seinem Laden noch ein Kunde war. Da wandte er den Leuten draußen kurz den Rücken und trat zu Tschartkow hin. »Na, Herr? Was ausgesucht?« Der Künstler aber stand schon eine Weile regungslos und starrte auf ein Porträt in einem schweren breiten Rahmen, der sicher in vergangenen Tagen einmal vornehm und höchst prunkvoll ausgesehen hatte, heute aber kaum noch schwache Spuren von Vergoldung aufwies.
Dies Bildnis stellte einen alten Mann dar. Ein fleischloses, bronzefarbenes Gesicht mit breiten Backenknochen. Der Maler hatte seine Züge offenbar in einem Augenblick krampfhafter Erregung festgehalten. Und nicht die