sind – ein Lebewesen von der Art, wie es in Russland viele gibt, nach seinen Eigenschaften fast so schwer zu definieren wie ein verschlissener Überrock nach seiner Farbe. In seiner Jugend war er Hauptmann irgendwo in einem Linienregiment gewesen und hatte dort das Maul gewaltig aufgerissen, auch im Zivildienst war er dann verwendet worden, er hatte es ganz meisterhaft verstanden, die Untergebenen durchzuprügeln, war recht ein Hansdampf in allen Gassen, ein prahlerischer Geck und nebenbei ein dummer Kerl gewesen; nun, da er alt war, mischten sich alle diese Eigenheiten in ihm zu einem trüben Brei. Er war jetzt Witwer und schon lange pensioniert, vom Stutzer war nichts mehr an ihm zu merken, er riß das Maul nicht mehr so furchtbar auf und suchte nicht mehr Händel, er trank nur leidenschaftlich Tee und schwätzte dazu das allerdümmste Zeug; er ging im Zimmer auf und ab und schnäuzte sorgfältig das Talglicht. An jedem Ersten trieb er bei den Hausbewohnern pünktlich den Mietzins ein, ging häufig mit dem Schlüsselbunde in der Hand vors Haus hinaus und schaute nach dem Dach hinauf; er jagte täglich mehrmals den Hausmeister aus seiner engen Klause, wenn der gerade ein klein bißchen duseln wollte – kurzum, er war der richtige Pensionist, dem von dem einstigen liederlichen Leben, das ihn auf allen Poststraßen herumgeschüttelt hatte, nur ein paar üble Angewohnheiten zurückgeblieben waren.
»Wollen Sie sich gefälligst selber überzeugen, Herr Wachtmeister«, begann der Hauswirt, seine flachen Hände vor sich ausgestreckt, »er zahlt die Miete nicht, er zahlt und zahlt sie nicht!«
»Ja, wenn ich jetzt kein Geld hab . . .! Ach, gedulden Sie sich doch, ich werd schon zahlen.«
»Ich kann mich jetzt nicht mehr gedulden, werter Herr«, sagte der Hauswirt ärgerlich und klapperte mit seinem Schlüsselbund. »In meinem Hause wohnt der Oberstleutnant Potogonkin seit sieben Jahren schon und dann noch die Frau Buchmeister, Wohnung, Stall für zwei Pferde und Remise, drei Dienstboten hat diese Dame – ja, sehn Sie, solche Leute wohnen hier im Haus! Ehrlich gesprochen, bester Herr, das ist bei mir nicht eingeführt, daß man die Miete schuldig bleibt. Bezahlen Sie mich freundlichst auf der Stelle und scheren Sie sich dann sofort aus meinem Haus!«
»Ja, wenn es einmal abgemacht ist, müssen Sie natürlich zahlen«, sagte der Wachtmeister mit einem leisen Kopfschütteln und schob den Daumen zwischen zwei Knöpfe seines Waffenrocks.
»Fragt sich nur, wie! Ich hab zur Zeit nicht einen Groschen.«
»Dann könnten Sie den Hausherrn ja statt dessen durch Produkte Ihrer Tätigkeit entschädigen«, erwiderte der Wachtmeister. »Vielleicht nimmt er auch Bilder an.«
»Nein, lieber Freund, für Bilder danke ich. Ja, wenn es sich um Bilder handeln würde, die etwas vorstellen, daß man sie bei sich an die Wände hängen kann, zum Beispiel einen General mit einem Ordensstern oder ein Porträt von Seiner Durchlaucht Fürst Kutusow. Was malt er aber? Diesen Bauernlümmel da im Hemd, den sogenannten Diener, der ihm die Farben reibt! Das Schwein noch porträtieren, ja, das ist mir schon das Wahre! Dem Burschen hau ich den Buckel voll, er hat mir alle Nägel aus den Riegeln herausgezupft, das Diebsgesicht! – Nein, sehn Sie nur, was er für Sachen macht: malt da sein Zimmer ab. Ich wollte noch nichts sagen, wenn der Mensch ein ordentliches, aufgeräumtes Zimmer malen wollte. Aber er malt es ja so ab mit allem Schmutz und Unrat, der sich da umhertreibt. Sehn Sie nur, wie er mein Zimmer eingeschmutzt hat; sehn Sie das nur selber an! In meinem Haus, wo Obersten seit sieben Jahren wohnen und wo eine Dame, wie Frau Buchmeister . . . Nein, nein, ich kann nur sagen: so ein Maler ist als Mieter schon das Schlimmste – lebt ganz einfach wie ein Schwein, lebt wie . . . Gott soll mich schützen!«
Das alles mußte unser Maler fein geduldig über sich ergehen lassen. Der Wachtmeister war unterdes damit beschäftigt, die Skizzen und Gemälde näher zu betrachten. Man sah sofort, er war lebendigeren Geistes als der Hausherr und selbst den Wirkungen der Kunst nicht ganz verschlossen.
»Hm«, sagte er und stupste mit dem Zeigefinger gegen eine Leinwand auf der ein nacktes Frauenzimmer dargestellt war, »immerhin, der Vorwurf von dem Bild hier ist recht . . . interessant. – Und warum ist der Mann dort unter seiner Nase denn so schwarz? Hat er sich da mit Schnupftabak bekleckert?«
»Nein, das ist ein Scharten«, sagte Tschartkow kurz und grimmig, ohne aufzuschauen.
»Na, den hätten Sie doch lieber anderswohin malen sollen, unter der Nase fällt er zu sehr auf«, sagte der Wachtmeister. »Und das? Wer ist denn das?« so fuhr er fort und trat vor das Porträt des alten Mannes. »Der sieht ja zum Erschrecken aus. Hat er in Wirklichkeit so schrecklich ausgesehen? Herrgott, er starrt einen ja richtig an! Puh, so ein unheimlicher Kerl! Nach wem ist denn das Bild gemalt?«
»Ach nein, das ist . . .«, begann der Maler; weiter aber kam er nicht, denn es erscholl ein Krachen. Der Wachtmeister mit den grobschlächtigen Polizistenfäusten hatte den Rahmen wohl zu heftig angefaßt, die Seitenbrettchen brachen ein, das eine fiel zu Boden, und zugleich, dumpf klirrend, eine Rolle in blauem Packpapier. Die Inschrift auf der Hülle »1000 Dukaten« stach unserm Maler in die Augen. Fast wie von Sinnen, stürzte er herzu, raffte die Rolle von der Erde auf und krampfte seine Faust darum, die durch das Schwergewicht des Goldes unwillkürlich abwärts sank.
»Hat da nicht Geld geklimpert?« fragte der Wachtmeister, der etwas hatte fallen hören, doch nicht unterscheiden konnte, was es war, weil Tschartkow es so schnell an sich gerissen hatte.
»Das geht Sie gar nichts an, was ich da habe!« sagte Tschartkow.
»Das geht mich nämlich insofern schon etwas an, als Sie sofort die Miete für die Wohnung zahlen werden. Sie haben Geld und wollen bloß nicht zahlen. Ja, so ist die Sache, werter Herr.«
»Gut, ich bezahl ihn heute noch.«
»Na, und weswegen wollten Sie nicht gleich bezahlen, he? Was müssen Sie den Hauswirt da in Unruhe versetzen und der Polizei erst Schererei und Arbeit machen?«
»Ich wollte dieses Geld nicht anbrechen. Noch heute Abend geb ich ihm die ganze Summe, und morgen zieh ich aus, weil ich bei einem solchen Wirt nicht länger wohnen will.«
»Na, Herr, er wird also bezahlen«, sagte der Wachtmeister zum Hausbesitzer. »Wenn nun aber die Geschichte nicht bis heute Abend, wie sich's gehört, bereinigt ist, dann tut es mir sehr leid, Herr Kunstmaler . . .« Sprach es und drückte würdevoll den Dreimaster aufs Haupt und stelzte aus dem Atelier, gefolgt vom Wirt, der sich gesenkten Kopfes, scheinbar in zweifelnden Erwägungen, zur Tür hinausschob.
»Gott sei Dank, daß sie der Teufel nun geholt hat!« rief der Maler, als die Gangtür zufiel.
Er schaute in das Vorzimmer hinaus und schickte seinen Diener mit irgendeinem Auftrag fort, um ganz allein zu sein. Die Türe wurde hinter ihm verschlossen, der Maler eilte wieder in sein Atelier und wickelte mit starkem Herzklopfen die Rolle auf. Es waren lauter goldene Dukaten darin, ein jeder nagelneu und leuchtend wie das helle Feuer. Fast wie von Sinnen saß er vor dem Haufen Gold und fragte sich nur immer wieder: Ist es denn kein Traum? Es waren wohlgezählte tausend Stück; die Rolle glich genau den vielen Rollen, die er heute nacht im Traum gesehen hatte. Er klimperte ein Weilchen mit den Münzen und musterte sie Stück für Stück und konnte immer noch nicht richtig zur Besinnung kommen. In seiner Phantasie erwachten allerlei Geschichten von verborgenen Schätzen, die ihm berichtet worden waren, von Schränken mit Geheimfächern, in die vorsichtige Ahnen große Summen für ihre Nachkommen versteckt hatten, fest überzeugt davon, daß auch für ihre Enkel einmal Zeiten schwerer Not anbrechen müßten. Und er dachte sich: ›Am Ende hat auch hier ein Großvater solch einen Schatz für seinen Enkel hinterlassen wollen und ihn zu dem Zweck im Rahmen eines Familienbildnisses versteckt.‹ Er kam sogar auf den phantastischen Gedanken, es könne hierin ein geheimnisvoller Zusammenhang mit seinem eigenen Schicksal walten, die Existenz dieses Porträts sei irgendwie mit seiner eigenen Existenz verknüpft, und eine ganz besondere Fügung hätte ihn veranlaßt, es zu kaufen. Neugierig untersuchte er den Rahmen des Porträts. Auf einer Seite war da eine Rinne eingekehlt, die durch ein kleines Brett so kunstvoll und unsichtbar überdeckt war, daß die Dukaten sicher bis zum Ende aller Zeit in dem Versteck geblieben wären, hätte nicht des Wachtmeisters massiver Fingerdruck das Brett zertrümmert. Tschartkow sah das Bild noch einmal an und mußte staunen ob der meisterhaften Arbeit; namentlich die Augen waren wunderbar gemalt. Sie deuchten ihn jetzt nicht mehr unheimlich, und dennoch überschlich vor ihnen seine Seele