Sorgfalt den Mund, indem er ihn jeden Morgen fast dreiviertel Stunden lang spülte und die Zähne mit fünf verschiedenen Bürstchen putzte. Der Doktor kam unverzüglich. Nachdem er gefragt, wann ihm das Unglück passiert sei, faßte er den Major ans Kinn, hob seinen Kopf und gab ihm mit dem Zeigefinger ein Schnippchen auf dieselbe Stelle, wo früher die Nase gesessen, so daß der Major seinen Kopf mit solcher Heftigkeit zurückzog, daß er mit dem Hinterkopf an die Wand schlug. Der Arzt sagte, das habe nichts zu bedeuten, riet ihm, ein wenig von der Wand wegzutreten, und befahl ihm, den Kopf erst nach rechts zu neigen, befühlte dann die Stelle, wo die Nase gesessen hatte, und sagte »hm!« Dann befahl er ihm, den Kopf nach links zu neigen, und sagte »hm!« Und zum Schluß gab er ihm wieder mit dem Finger ein Schnippchen, so daß Major Kowalow den Kopf emporriss wie ein Pferd, dem man die Zähne besieht. Nachdem der Arzt diese Prüfung angestellt hatte, schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, es ist unmöglich; es ist besser, Sie bleiben so wie Sie sind, denn es könnte noch viel schlimmer werden. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen; ja, ich könnte sie, wenn's Ihnen beliebte, jetzt gleich wieder befestigen; aber ich versichere Sie, es würde für Sie nur noch schlimmer werden!«
»Das ist eine schöne Geschichte! Wie sollte ich ohne Nase auf der Welt herumlaufen?« rief Kowalow. »Ärger als es jetzt ist, kann es gar nicht werden. Das ist ja, um des Teufels zu werden! Wo soll ich mich mit einem so niederträchtigen Gesicht sehen lassen? Ich habe sehr distinguierte Bekannte, und noch heut Abend muß ich in zwei Familien Besuche machen. Ich habe sehr viele Bekannte: da ist die Staatsrätin Tschechtarew, die Frau des Stabsoffiziers Podtotschin, wiewohl ich mit ihr nach dieser Tat nur noch durch die Polizei verkehren kann … Seien Sie so liebenswürdig«, fuhr Kowalow mit flehender Stimme fort. »Gibt es denn gar kein Mittel? Machen Sie sie irgendwie fest: wenn's auch nicht schön aussieht – wenn sie nur fest sitzt! Ich kann sie sogar in kritischen Situationen leicht mit der Hand festhalten. Ich will sogar nicht tanzen, damit sie nicht durch irgendeine unvorsichtige Bewegung zu Schaden kommt. Und was die Remuneration für Ihre Besuche anlangt, so seien Sie überzeugt – soweit meine Mittel gehen –«
»Sie können versichert sein«, sprach der Doktor weder mit zu lauter noch zu leiser, aber außerordentlich freundlicher und anziehender Stimme, »daß ich nie aus Gewinnsucht meiner Praxis nachgehe. Das ist ganz gegen meine Grundsätze und meine Kunst. Allerdings nehme ich Geld für meine Besuche, aber nur um meine Patienten nicht zu verletzen. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen; aber ich versichere Sie bei meiner Ehre – wenn Sie schon meinen Worten nicht glauben wollen – es würde noch weit schlimmer werden. Waschen Sie die Stelle öfters mit kaltem Wasser, und ich versichere Sie, Sie werden auch ohne Nase so gesund sein, als hätten Sie eine Nase. Die Nase selbst aber möchte ich Ihnen raten in eine Flasche mit Spiritus zu legen, oder noch besser: gießen Sie zwei Löffel voll scharfen Branntwein und aufgewärmten Essig darauf – dann bekommen Sie ein hübsches Stück Geld dafür. Ich bin sogar bereit, sie selbst zu nehmen, wenn Sie nicht zu viel dafür verlangen.«
»Nein, nein! Verkaufen? Um keinen Preis!« schrie verzweifelt der Major Kowalow.
»Entschuldigen Sie!« sagte der Doktor mit einer Verbeugung; »ich wollte Ihnen nur nützlich sein … was soll ich tun? Wenigstens haben Sie gesehen, daß ich es aufrichtig meinte.«
Und mit diesen Worten verließ der Doktor in würdevoller Haltung das Zimmer. Kowalow bemerkte nicht einmal sein Gesicht und sah in seiner tiefen Betäubung nur noch die aus den Ärmeln des schwarzen Fracks hervorstehenden schneeweißen Manschetten.
Am folgenden Tage beschloß er, bevor er dem Gericht die Klage einreichte, an die Frau des Stabsoffiziers zu schreiben, ob sie ihm nicht ohne Kampf das zurückgäbe, was ihm gehörte. Der Brief hatte folgenden Inhalt:
»Meine Gnädigste!
Ich kann Ihr eigentümliches Benehmen durchaus nicht begreifen. Seien Sie überzeugt, durch ein solches Vorgehen erreichen Sie nichts und werden mich dadurch nie bewegen, Ihre Tochter zu heiraten. Sie können glauben, daß die Geschichte meiner Nase schon in der ganzen Stadt bekannt ist, wie auch der Umstand, daß Sie und niemand anders in erster Reihe beteiligt sind. Ihr plötzliches Verschwinden und ihre Flucht, der Umstand, daß sie bald in der Gestalt eines Beamten, bald in ihrer eigenen Gestalt sich zeigt, sind weiter nichts als das Resultat der Zauberkünste, welche Sie oder diejenigen geübt haben, die sich mit solch edlen Beschäftigungen befassen. Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß, wenn oberwähnte Nase sich nicht heute noch an Ort und Stelle befindet, ich mich genötigt sehen werde, bei den Gerichten Schutz und Genugtuung zu suchen.
Im übrigen mit vollständiger Hochachtung
Ihr ganz ergebener
Platon Kowalow.«
»Sehr geehrter Herr!
Ihr Brief hat mich über die Maßen verwundert. Ich muß Ihnen offen gestehen, das und insbesondere diese ungerechten Vorwürfe Ihrerseits hatte ich durchaus nicht erwartet. Ich teile Ihnen mit, daß ich den Beamten, von dem Sie sprachen, niemals in meinem Hause empfangen habe, weder in seiner eigenen noch in fremder Maske. Allerdings hat Philipp Iwanowitsch Potantschikow mich besucht, und wenn er sich freilich auch um meiner Tochter Hand beworben hat (er ist ein höchst ehrenwerter, nüchterner und hochgelehrter Mann), so habe ich ihm doch niemals die geringste Hoffnung gegeben. Sie erwähnen noch der Nase. Wenn Sie damit meinen, ich hätte Ihnen eine Nase, das heißt eine abschlägige Antwort oder einen sogenannten Korb geben wollen, so wundert es mich im höchsten Grade, daß Sie selbst davon reden, während ich doch, wie Ihnen wohl bekannt, der ganz entgegengesetzten Meinung war, und wenn Sie jetzt in gesetzlicher Weise um meine Tochter werben, so bin ich sofort bereit, Ihrem Wunsche entgegenzukommen, um so mehr, da dies stets der Gegenstand meines lebhaftesten Verlangens war, in welcher Hoffnung ich stets gern zu Ihren Diensten verbleibe
Alexandra Podtotschin.«
»Ja«, sagte Kowalow, als er den Brief gelesen, »sie ist wirklich unschuldig. Es ist nicht möglich. Der Brief ist so geschrieben, wie nur ein vollkommen unschuldiger Mensch schreiben kann.« Der Kollegien-Assessor war in dergleichen Dingen erfahren, weil er wiederholt noch im Kaukasus in amtlichem Auftrage gerichtliche Untersuchungen zu leiten gehabt hatte. »Aber auf welche Weise, mit Hilfe welcher Schicksalstücke ist denn das vor sich gegangen? Nur der Teufel begreift die ganze Geschichte!« rief er endlich und ließ die Hände sinken.
Mittlerweile hatte sich das Gerücht von diesem außergewöhnlichen Ereignis durch die ganze Stadt verbreitet, und zwar, wie das dann immer zu geschehen pflegt, nicht ohne besondere Zusätze. Damals waren alle Geister ganz besonders dem Ungewöhnlichen zugeneigt; das Publikum hatte sich soeben erst mit dem Magnetismus zu beschäftigen angefangen. Zudem war die Geschichte von den tanzenden Stühlen, die in der Marstallstraße gespielt hatte, noch frisch in aller Gedächtnis, und somit brauchte man nicht darüber zu staunen, daß man sich bald darauf erzählte, die Nase des Kollegien-Assessors Kowalow spaziere gegen drei Uhr auf dem Newski Prospekt umher. Täglich strömte eine große Menge von Neugierigen dorthin. Irgend jemand erzählte, die Nase habe sich in Junkers Ladenräumen gezeigt – und neben Junker entstand ein solches Gedränge und Gewühl von Menschen, daß sogar die Polizei einschreiten mußte. Ein gewisser Spekulant von ehrwürdigem Aussehen mit einem Backenbart, der vor dem Theater allerlei Kuchen verkaufte, fabrizierte sehr schöne hölzerne, dauerhafte Bänkchen, auf denen er die Neugierigen gegen Entrichtung von achtzig Kopeken sich aufstellen ließ. Ein verdienstvoller Oberst verließ deshalb extra früher als gewöhnlich das Haus und drängte sich nur mit großer Mühe durch die Menge; aber zu seinem nicht geringen Verdruß sah er in dem Ladenfenster statt der Nase eine gewöhnliche wollene Jacke, sowie das lithographierte Bild eines jungen Mädchens, das seinen Strumpf glatt zog, nebst einem stutzerhaften Burschen mit ausgeschnittener Weste und kleinem Bärtchen, der sie hinter einem, Baum hervor beobachtete – ein Bild, das schon mehr als zehn Jahre an ein und derselben Stelle hing. Beim Fortgehen sagte er grimmig: »Wie kann man nur mit solchen einfältigen, unwahrscheinlichen Gerüchten die Leute in Aufregung versetzen!« Dann ging die Sage, die Nase des Majors Kowalow spaziere nicht auf dem Newski Prospekt, sondern im Taurischen Garten umher; sie halte sich dort schon seit langer Zeit auf, und als Chosrew-Mirza dort noch wohnte, sei er über dieses seltsame Naturspiel im höchsten Grade erstaunt gewesen. Eine Anzahl Studenten der chirurgischen