Stefan Ammon

Targeted Therapies - Zielgerichtet in den Tod


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gefüllt und die junge Frau warf nur einen kurzen Blick hinein und legte ihn dann vor sich auf den Tisch. Steffen war sich fast sicher, dass eine nicht unbeträchtliche Menge Geld in dem Umschlag war, und jetzt war seine Müdigkeit mit einem Schlag verflogen. Sicher - vor einigen Jahren war es nichts Ungewöhnliches, daß Vertreter der pharmazeutischen Industrie jede Gelegenheit ergriffen, die verschreibenden Ärzte zu beschenken oder ihnen die eine oder andere Gefälligkeit zu erweisen. Auch Steffen war immer wieder eingeladen worden. Oft im Rahmen von Fachtagungen und Kongressen, manchmal aber auch zu Veranstaltungen, die sich als reine Unterhaltungs - Events entpuppt hatten. Exklusives Essen, gute Musik und nette Gespräche hatten allen gute Laune bereitet und für die, denen das nicht genug war, hatten die Produktmanager genug Geld in ihren Hosentaschen, um zusätzliche Wünsche aller Art zu erfüllen. So hatte man die mentale Ausgeglichenheit und innere Zufriedenheit geschaffen, die Journalisten benötigen um gute Artikel zu schreiben und Ärzte verschreibungswilliger für ein Medikament machte.

      Aber die Zeiten hatten sich geändert. Und bei dem Bündel, das hier überreicht wurde, handelte es sich um mehr als das Geld für ein Taxi oder eine erotische Nacht mit der asiatischen Schönheit.

      Als die Runde das Restaurant verließ, drehte Steffen der Tür den Rücken zu. "Dankeschön und Auf Wiedersehen", verabschiedete Berger sich von der Asiatin und fügte hinzu: "See you in Manila". Dann verschwanden er und die anderen. Nur Riza blieb zurück und ging zur Rezeption. "Wann ist bei Ihnen Frühstückszeit?", fragte sie. Steffen wunderte sich, dass Riza Deutsch sprach.

      Aber was nun? Steffen war kein Privatdetektiv. Er war Medizinjournalist mit dem Spezialgebiet der hämatologischen und onkologischen Erkrankungen. Noch nicht einmal Sensationsreporter bei der BILD-Zeitung. Und er war auch nicht James Bond, der jetzt mit Sicherheit in das Zimmer von Riza gegangen wäre und sie mit Charme und Einsatz seines Körpers überzeugt hätte, ihm zu erzählen, worum es ging. Sie war inzwischen mit dem Fahrstuhl in die oberen Etagen verschwunden, und Steffen fragte sich, wie er sie ansprechen könne.

      Er hatte bereits in der Herbertstraße geschwitzt, aber jetzt schwitzte er noch mehr, als er zur Rezeption ging, dem auf dem Computer Solitär spielenden Portier fünfzig Euro auf den Tresen legte und sagte: "Ich hätte gern den Namen der jungen Dame, die gerade auf ihr Zimmer gegangen ist. Können Sie mir dabei behilflich sein?". Der Portier sah ihn lange an, nahm das Geld und verschwand in ein Hinterzimmer. "Scheiße", dachte Steffen und spürte wie der Schweiß über sein Gesicht rann. Doch dann kam der Portier zurück, legte eine Kopie des Anmeldeformulars auf den Tresen und widmete sich wortlos wieder seinem angefangenen Spiel.

      Riza Mae Arlene Valenzuela, Jay Tom Agency Inc., Jupiterstreet 67, Makati, Manila. Sie hatte sogar artig ihre Telefonnummer, die Email-Adresse und ihren Geburtstag aufgeschrieben. Achtundzwanzig Jahre alt war sie, man hätte sie auch auf zwanzig schätzen können. Steffen war zufrieden mit sich. Ein toller Abend mit Freunden, ein heldenhafter Einsatz im Rotlichtviertel und eine erfolgreiche Beschaffung von Informationsmaterial, die er sich selbst nicht zugetraut hätte. Er lag noch lange wach und plante, am nächsten Morgen das Gespräch mit Riza zu suchen. Er würde sie zufällig beim Frühstück treffen.

      Kapitel 6

       Das Telefon schreckte ihn aus dem Schlaf. "Ja - Raupner", murmelte er in den Hörer. Die Stimme am anderen Ende war freundlich: "Herr Raupner, möchten Sie Ihren Aufenthalt in unserem Hotel verlängern?" fragte sie. Steffen war plötzlich hellwach. "Wie spät ist es?" fragte er und erfuhr, dass es bereits halb eins war. "Check-out war um zwölf", sagte die Stimme jetzt etwas zickiger. "Ich bin gleich unten", sagte Steffen, legte den Hörer auf und sprang aus dem Bett. Zehn Minuten brauchte er für eine unvollständige Körperpflege und das hastige Zuammenräumen seiner Sachen, dann stand er vor der Rezeption und checkte aus.

      "Meine Kollegin, Frau Valenzuela, ist die noch da?"

      Die Dame an der Rezeption sah ihn aus fragenden Augen an. "Nein. Taxi zum Flughafen. Aber schon lange her", sagte sie mit osteuropäischem Akzent und lächelte ihn an. Ihre Zähne waren gelb, und eine große Zahnlücke klaffte in ihrer oberen Zahnleiste. "Verdammte Scheiße" entfuhr es Steffen und er eilte zum Ausgang.

      Nach zwei Paracetamol und ein paar Tassen Kaffee war der Kongresstag ganz gut auszuhalten. Im Pressebüro gab es Brötchen, Suppe und Getränke. "Du siehst klasse aus" schmunzelte Claus. Sein Freund war Mitarbeiter eines pharmazeutischen Großhandels und hatte den gestrigen Abend mit ihm verbracht.

      "Danke - Du mich auch. Was willst Du hier? Das ist das Pressebüro - hast Du einen Presseausweis?"

      "Ich hatte dich heute Morgen auf dem Symposium zur Zulassungserweiterung von Bromtazumab erwartet. Kann es sein, dass ich dich nicht gesehen habe? Das Frühstück da war bei weitem besser als die Käsebrötchen, die Du gerade in dich reinstopfst." Claus lächelte wissend und machte sich über die Auswahl von Keksen her, die neben den Resten des Mittagsbuffets stand.

      "Ich kann den Artikel auch schreiben, ohne dass ich da war", sagte Steffen. "Wusstest Du, dass viele meiner Kollegen die Artikel aus dem Vorjahr nehmen, leicht verändern und nochmal veröffentlichen? Das merkt keine Sau. Bestenfalls ändern sie ein paar Zahlen, das Wetter oder binden aktuelle Nebenthemen ein. Ich selbst habe einen Artikel zum Falastomab dreimal veröffentlicht. Innerhalb von vier Jahren."

      "Klar, ich weiß, dass Du nur über Dinge schreibst, von denen Du keine Ahnung hast. Aber was solls. Hey, gehen wir heute Abend wieder los? Am Stand von Salanta Pharma ist eine Standparty. Danach könnten wir einen Happen essen und dann gucken, wo was los ist. Deal?" Claus war unermüdlich. Er würde auch nach einer sechzig Stunden Woche noch auf die Piste wollen. Schließlich war er zehn Jahre jünger als Steffen und immer noch auf der Suche nach einer geeigneten Partnerin. Er war durchaus als attraktiv zu bezeichnen, hatte immer ein smartes Lächeln auf den Lippen und in dem Job, zu dem Steffen ihm verholfen hatte, verdiente er mehr als gut. Steffen hatte sich oft gefragt, warum Claus nie eine Freundin hatte. Schwul war er nicht, da war sich Steffen sicher. Wahrscheinlich stellte er einfach zu hohe Anforderungen an seine Traumfrau.

      "Nein Claus, heute nicht. Ich habe einiges auf meiner To-do-Liste und ehrlich gesagt, könnte ein bisschen Schlaf in meinem Alter auch nicht schaden." Claus suchte in dem aufgehäuften Berg von Keksen akribisch alle Waffelkekse heraus und verschlang einen nach dem anderen. "Hm - naja, vielleicht überlegst Du es dir ja nochmal. Ich rufe dich an - ok?" Steffen nickte ihm nur zu und sah ihm hinterher als Claus mit raschen Schritten das Büro verließ. Ein Blick auf die Uhr machte ihm klar, dass er seinen gerade frisch eingeschenkten Kaffee nicht mehr trinken würde. Steffen hatte den am Vormittag verpassten Interview - Termin auf 16.30 Uhr verschieben können. Genau jetzt. Er sprang auf, kippte den Kaffee um, fluchte, schnappte sich seine Ausrüstung und verließ fluchtartig das Pressebüro.

      Professor Woltner-Lentek wartete bereits, als Steffen in dem kleinen Interview - Raum ankam. Er wirkte müde und war in Gedanken versunken. Ohne Steffen wirklich anzusehen, murmelte er: "Ah - Herr Raupner. Geht es Ihnen gut? Sicher wollen Sie etwas über die aktuellen Ergebnisse der Impfstudien wissen. Setzten Sie sich doch."

      "Mal ganz ehrlich, Herr Professor, das ist doch alles nur ein Fake. Ich habe mir die Studien angesehen, und es gibt für mich keinen nachvollziehbaren Nachweis für einen positiven Effekt einer Impfung. Es kann nur die Gruppe von Personen geimpft werden, die bei regelmäßiger Vorsorge ohnehin keine schwerwiegenden Folgen einer unwahrscheinlichen Infektion zu erwarten hätte. Die Nebenwirkungen sind völlig unbekannt und nicht ausreichend erforscht. Allerdings hatte ich kein Problem, nachzuweisen, dass die gesamte Impfkampagne den Steuerzahler etliche Millionen Euro jährlich kosten wird."

      Steffen hatte Lust zu provozieren und seine respektlose Aggression, die in der Frage hing wie eine Spinne im Netz, half ihm seine Müdigkeit zu vergessen.

      "Nein, ehrlich gesagt, habe ich keine Frage zur Impfung gegen Krebs. Ich möchte Sie bitten aus Ihrer Sicht zu erzählen, was derzeit wirklich berichtenswert und interessant ist.".

      Der Professor richtete sich auf, blickte Steffen nun in die Augen und sagte: "Gut".

      Steffen war froh, dass er sein Aufnahmegerät dabei hatte. Er hasste es, während