lehnen und den Ausführungen des Professors zuzuhören.
Woltner-Lentek hatte viel zu erzählen. Fragen musste Steffen kaum stellen. Es war, als würde der Klinikchef sich alle Sorgen von der Seele reden. Die Zettel mit den vorbereiteten Fragen zur Impfung gegen Krebs hatte Steffen ohnehin irgendwo im Hotel liegen gelassen. Woltner-Lenteks Thema war Trufenib. Steffen hatte darüber gelesen und selbst zur Zulassung in Asien einen kurzen Artikel verfasst, der dann allerdings nur in seinem eigenen Internetportal veröffentlicht worden war. Ahnung hatte er wie so oft wenig, und so ließ er den Professor reden.
"Ich frage Sie. Wie kann es sein, dass Kollege Berger bei seinen Patienten eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens nachweisen kann und ich nicht? Wieso haben meine Patienten mit erheblichen Nebenwirkungen zu tun, und Berger spricht von anfänglichen Hautirritationen der Stufe eins, die sich nach Dosisreduktion schnell verringern? Wir sind doch nicht blöd in unserer Klinik. Sicher, ich weiß es ist eine groß angelegte Studie, prospektiv randomisiert. Alle Kriterien, die eine Studie zu einer guten Studie machen stimmen." Woltner-Lentek redete und redete. Eigentlich hätte Steffen unterbrochen und Fragen gestellt. Eines allerdings machte das Gespräch so interessant, dass Steffen auf alle Fragen verzichtete und weiter aufmerksam zuhörte. Nach und nach erwähnte der aufgewühlte Professor alle Namen der Männer, die gestern im Hotel Elbchaussee gewesen waren.
"Hallo, Herr Raupner. Gut, dass ich Sie hier erwische". Steffen drehte sich um. Der Vorstandsvorsitzende der Mainpharm AG war das, was man als eloquenten jungen Manager bezeichnete. Seine Natürlichkeit wirkte nicht aufgesetzt, er war sympathisch. Ein Typ zum Pferde stehlen oder zumindest jemand, mit dem man durchaus ein Bier trinken wollte. Steffen war wochenlang hinter ihm hergelaufen, um ein Interview zu bekommen. Erst vor zwei Monaten hatte Dr. Vosse den Vorsitz des aufstrebenden Pharmaunternehmens übernommen. Aber alle Anfragen waren vergeblich gewesen. Vosse hatte ihm keine Minute gewährt. Jetzt stand Steffen vor ihm und verkniff sich zu erzählen, dass er ihn bereits gestern Nacht gesehen hatte.
"Ganz meinerseits, Herr Dr. Vosse - ehm, kann ich etwas für Sie tun?" In Steffens Kopf ratterte es. Für das Interview war es zu spät. Die Übernahme des Vorsitzes war Schnee von gestern. "Lassen Sie uns in unsere Lounge gehen, Herr Raupner." Vosse sagte es und ging voraus, ohne sich noch einmal umzuschauen. Er ging schnell, und Steffen verstand warum. Sie durchquerten die Ausstellungshalle der Industrie, wo sich zahlreiche Ärzte auf der Jagd nach Kugelschreibern, USB-Sticks, Uhren, Bratwürstchen, Eis, Getränken bis hin zu bedruckten Tischtennisbällen befanden. Jeder Zweite grüßte Vosse. Jeder Dritte öffnete erwartungsvoll den Mund und streckte die Hand in Richtung des mächtigen Industrievertreters aus. Vosse ließ sich nicht beirren, erwiderte alle Grüße, schüttelte allerdings nur wenige Hände und versuchte, die Strecke so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Steffen ertappte sich dabei, sich geehrt zu fühlen, hinter Vosse her rennen zu dürfen, offensichtlich mit demselben Ziel. "Blödsinn", dachte er, versuchte desinteressierter zu wirken und eilte weiter hinter dem fliegenden grauen Anzug her.
"Mögen Sie Lachs? Käse? Sushi?" Vosse wartete Steffens Antwort nicht ab. "Sind Sie so lieb und bringen uns etwas Leckeres", wandte er sich einer hübschen Hostess zu. "Getränke - bringen Sie uns bitte auch Getränke. Wasser, Rotwein und - ach Sie wissen schon". Vosse lächelte. "So, da wären wir". Der Raum war aus Messewänden gebaut worden und offensichtlich lärmisoliert. Nachdem die Hostess die Tür geschlossen hatte, war es erstaunlich ruhig. Es gab einen Schreibtisch, einen Besprechungstisch und ein Regal in dem höherwertige Werbegeschenke wie Laptops, Handys und Uhren gestapelt waren. Steffen lehnte sich in dem bequemen schwarzen Ledersessel zurück und nahm verwundert einen halb gefüllten Aschenbecher auf dem Tisch wahr.
"Sie rauchen?"
"Oh, mein Gott - schreiben Sie das nicht", lachte Vosse. "Wir haben doch alle unsere kleinen Sünden - oder? Möchten Sie eine?" Steffen lehnte lächelnd ab. Er rauchte seit über zwanzig Jahren nicht mehr. Die Tür ging auf, und das Essen wurde auf den Tisch gestellt. Steffen liebte gutes Essen und Vosse offensichtlich auch. Eine Auswahl an Käse, Lachs, einige - wie sich herausstellen sollte - sehr leckere Dips und frisch aufgebackenes Brot, das noch heiß war, wurde auf den Tisch gestellt. Außerdem eine große Platte mit Sushi-Varianten. "Ich habe wirklich Hunger. Langen Sie zu". Vosse öffnete eine Flasche Rotwein und schenkte ein.
"Sagen Sie mal, Herr Raupner, Sie machen doch dieses Internet-Portal. Wir haben uns das angeschaut und finden gut, was Sie machen. Sie sind die einzige Seite im Internet, die derzeit aktuell und für Patienten verständlich berichtet".
Das stimmte nicht. Steffen fragte sich, worum es ging. Bislang war er von der Marketingabteilung der Mainpharma AG immer abgewimmelt worden. Kein Interesse hieß es. Jetzt saß er hier mit dem Big Boss selbst, und alles sah anders aus. "Wir könnten uns vorstellen, auf Ihrer Seite zu werben, Sie mit Informationen zu versorgen und das Projekt so zu fördern", fügte Vosse hinzu. "Erzählen Sie doch mal - welche Themen werden Sie in der nächsten Zeit behandeln".
Steffen stopfte Lachs in sich hinein. Er war so, wie er sein sollte. Weich, so dass er auf der Zunge zerging und nicht zu salzig. Zusammen mit dem Brot und dem Rotwein war so ein einfaches Essen das Beste, was man zu sich nehmen konnte. Er bedauerte den Schmaus unterbrechen zu müssen und begann, umfangreich über Ziele und Fortschritte seines Projektes zu berichten. Er konnte den Text auswendig. Immer und immer wieder hatte er in Gesprächen, per E-Mail und per Briefpost versucht, einen Partner der Industrie für seinen Internet-Auftritt zu begeistern. Allerdings ohne Erfolg. Vosse hörte aufmerksam zu.
"Großartig! So hatte ich mir das vorgestellt. Wir hätten viel früher miteinander reden sollen, Herr Raupner". Vosse steckte sich eine Zigarette an und blies den Qualm quer über den Tisch. "Passen Sie auf. Wir fördern Ihre Seite mit einem Betrag von zwanzigtausend Euro. Können Sie ein Banner von uns schalten und uns eine entsprechende Rechnung schicken? Sie wissen, wir müssen immer eine konkrete Gegenleistung haben." Wieder wartete Vosse keine Antwort ab: "Kommen Sie - trinken wir auf eine gute Zusammenarbeit". Vosse schenkte Wein nach und prostete Steffen zu. Der Klang der aneinander stoßenden Gläser hörte sich für Steffen an wie ein Glockenschlag, der eine neue Zeit einläutete. Und als die Isolierung der Wand ihn verschluckt hatte, erhob sich Vosse.
"Eins noch, Herr Raupner. Sie haben sich gestern nach unserer Mitarbeiterin erkundigt. Sie wissen schon. Frau Valenzuela. Außerordentlich attraktiv. Filipina." Steffen hob die Augenbrauen und nickte fragend. "Herr Raupner, Frau Valenzuela ist eine junge und engagierte Biochemikerin, die an den asiatischen Studien zum Trufenib mitgearbeitet hat. Wir wollen uns enger mit den asiatischen Kollegen austauschen, und deshalb fliegt Berger - Sie kennen Professor Berger? - nächste Woche auch nach Manila. Es muss nicht jeder alles wissen in unserer Branche, und daher würde ich Sie bitten, einfach alles über Frau Valenzuela zu vergessen. Tja, das sind so die Probleme, mit denen ich mich herumschlage." Vosse lächelte, seine Augen waren allerdings sehr ernst. "Ich verlasse mich da auf Sie, Herr Raupner." Steffen hatte den letzten Satz nicht als Frage verstanden. Jetzt allerdings bestand Vosse auf eine Antwort: "Ich bitte Sie, als mir sehr sympathischen Journalisten. Vergessen Sie Frau Valenzuela. Geht das in Ordnung?"
Steffen wusste, dass sein Lächeln nicht so echt wirkte wie das seines Gegenübers und so musste er sich räuspern, bevor er ein "Sicher - kein Problem" hervorbrachte.
Kapitel 7
Google sei Dank! Was wäre ein Journalist ohne Computer. Die auf dem Meldebogen notierte Firma der Asiatin hatte Steffen nicht gefunden. Und es gab Tausende mit Namen Riza Mae, Arlene und auch Valenzuela auf den Philippinen. Letztendlich war es die Telefonnummer in Verbindung mit Facebook, die Steffen weiterbrachte. Das Facebook - Profil gehörte nicht Riza, sondern einem Pogiboy JT. Aber nach Durchsicht seiner Freunde und Hunderten von Bildern hatte er endlich die junge Frau aus Hamburg wiedererkannt. Allerdings schien alles andere nicht zu passen. Die gefundene Riza Mae Arlene Valenzuela arbeitet auf einer Perlenfarm. Irgendwo auf einer großen Insel der Philippinen mit dem Namen Palawan. Steffen fragte sich, ob man auf einer Perlenfarm Biochemiker einsetzt. Könnte sein. Mit Perlenzucht hatte er sich bislang nicht beschäftigt.
Er war einen Schritt weiter, hatte Namen, zwei Firmennamen mit Anschrift, das Alter, eine Telefonnummer, eine E-Mail-Adresse und viele