Stefan Ammon

Targeted Therapies - Zielgerichtet in den Tod


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auf Rizas Pinnwand hatten ihn nicht weiter gebracht. Das meiste war in Tagalog, der Landessprache der Philippinen. Die englischen Beiträge waren übliche Facebook-Postings wie "Du siehst so süß aus auf diesem Bild", "Oh, ich habe ein neues Lieblingslied - hört euch das mal an" gefolgt von zahlreichen "lol", "hehehe" oder "waaaaaaaaaa". Ganz normal. Offenbar auch auf den Philippinen.

      Steffen war noch nie auf den Philippinen gewesen. Er hatte keine Ahnung, wie es dort aussah, welches Wetter dort im Moment herrschte und was die Menschen aßen. Seine Vorstellungen waren geprägt von Sextourismus, Armut und heißem Wetter. Das heiße Wetter war verlockend. Steffen liebte die wenigen Sonnentage in Deutschland, und er hasste die Winter, die scheinbar immer länger wurden. Palawan schien eine sehr große Insel zu sein. Ein Tauchparadies mit weißen Sandstränden und zerklüfteten Felsen, die sich kantig aus türkisblauem Wasser streckten. Durchgängig heißes Wetter, im Juli und August viele Taifune, und die beste Reisezeit war nach allem was zu lesen war, von November bis Mai. Steffen liebte es zu reisen. Je weiter weg, desto besser. An die Philippinen hatte er dabei noch nicht nie gedacht. Jetzt sah das anders aus. Die zwanzigtausend Euro der Mainpharma waren schnell auf seinem Konto gewesen und die Neugier in ihm gestiegen, gestiegen und gestiegen. Steffen wusste, dass es alles andere als gut für seine Karriere sein würde, dieser Neugier nachzugeben. Er redete sich eine Zeitlang ein, nur Urlaub auf den Philippinen machen zu wollen. Aber irgendwann hatte er aufgehört sich zu belügen, zum Telefonhörer gegriffen und die Nummer des Sekretariats von Professor Berger gewählt.

      "Guten Morgen, hier ist der Kundenservice des Flughafens. Wir haben hier eine Flugbuchung von Professor Berger nach Manila. Da der Flug überbucht wurde, müssen wir die Daten noch einmal abgleichen. Sind Sie berechtigt, das mit uns zu machen?" Es war ein Versuch. Aber Steffen wusste, dass Sekretärinnen von Universitätsprofessoren alles wissen und alles organisieren. Ohne sie würde der alltägliche Terminwahnsinn der deutschen Professorenelite in einem Chaos enden. Und tatsächlich. Bereitwillig bestätigte die Sekretärin den Flug, gab Hin- und Rückflugdaten durch und wies deutlich darauf hin, dass Professor Berger wichtige Termine in Manila hätte. Eine Verschiebung des Fluges käme für ihn nicht in Betracht.

      "Oh, geht es wirklich nicht? Wir würden durchaus entstandene Kosten eines bereits gebuchten Hotels tragen. Wissen Sie schon, in welchem Hotel Professor Berger gebucht ist?" Steffen klang überzeugend, und die Sekretärin wurde langsam sauer.

      "Wir bestehen auf die Einhaltung der Flugdaten", sagte sie. "Professor Berger ist im H2O-Hotel Manila. Warum fragen Sie?"

      "Wissen Sie, viele Hotels sind Vertragspartner von uns, deshalb die Frage. Aber warten Sie mal. Wenn es so wichtig ist, gebe ich dem Professor eine höhere Priorität. Moment. Ok - alles klar. Ihr Professor fliegt wie geplant. Ich habe es hingekriegt. Aber bitte erzählen Sie meinem Vorgesetzten nichts von dieser kleinen Bevorzugung."

      Steffen spürte, wie ihm die Manipulation der Sekretärin Freude bereitete. Er hatte sie in der Hand. Jetzt konnte er fast jede Information von ihr bekommen. Aber er wusste, was er wissen wollte, verabschiedete sich von der jetzt sehr freundlichen Dame und machte sich umgehend auf die Suche nach einem günstigen Flugticket auf die Philippinen.

      Kapitel 8

       "Sie haben mir zugesichert, es wäre eine einmalige Sache, Vosse. Ich bin keinesfalls bereit, noch einmal meinen Namen für eine Studie herzugeben. Wir sollten dieses Gespräch jetzt umgehend beenden". Professor Berger war aufgebracht. Seine Augen waren gerötet, und die Stimme bebte, während er mit dem Vorstandsvorsitzenden der Mainpharm AG sprach. "Wir können die Daten von Rodriguez in unserer eigenen Klinik nicht nachvollziehen. Da stimmt doch was nicht. Ich fordere Sie auf, mir endlich alles zu erzählen."

      Vosse spitzte permanent einen Bleistift an, bis die Spitze brach und begann dann von vorne. Er wippte auf seinem Ledersessel und sah Berger mit einer Mischung aus Interesse und Verachtung an.

      "Lieber Herr Berger, es ist nicht mein Name, der unter der Trufu - Studie steht. Dort steht ganz eindeutig Berger. Also lassen Sie uns bitte vernünftig darüber sprechen, wie Ihr Name auch weiterhin die Achtung erfahren kann, die er verdient. Sie wissen, dass wir erhebliche Summen in die Entwicklung von Trufenib investiert haben, und Sie wissen auch, dass Ihre Abteilung erheblich davon profitiert hat. Sie sind jetzt zertifiziertes Krebszentrum und Sie, Herr Berger, einer der anerkanntesten Ärzte dieses Landes. Ich glaube nach wie vor an die Wirksamkeit von Trufenib. Wir brauchen allerdings die Zulassungserweiterung für andere Krankheitsbilder, um weiter wirtschaftlich arbeiten zu können. Auch wir können nicht nur investieren. Meine Controller stehen mir auf den Füßen. Sie wissen so gut wie ich, dass das Patent in sechs Jahren ausläuft. Bis dahin müssen wir mehr als einen Return of Investment erzielen. Unsere Forschungsabteilung ist sicher, dass wir in anderen Entitäten erheblich bessere Ergebnisse erzielen können. Sie haben doch die Auswertungen gelesen."

      Berger hatte sich nach langem Hin- und Herlaufen in dem großen Büro in einen Sessel fallen lassen und hörte nur halb zu. Er wusste, was Vosse sagen wollte. Auch er hatte sich viel von dem neuen Medikament versprochen und die asiatischen Studienergebnisse waren überragend gewesen. Aber jetzt fühlte er sich wie eine Ratte unter einem heißen Blecheimer. Er wollte raus. "Nein, nein und nochmals nein. Kollege Woltner-Lentek und einige andere haben mich mehrfach angesprochen. Ich kann nicht weiterhin so tun, als ob wir bei uns im Hause auf irgendeine Weise andere Ergebnisse erzielen als in anderen Kliniken. Wie stellen Sie sich das vor?"

      "Ganz einfach, Herr Berger. Führen Sie die Trufu2-Studie für uns durch. Lieber Herr Professor - haben wir, haben Sie denn eine andere Wahl?"

      Berger wusste, dass er keine Wahl hatte. Er hatte nur eine Chance. Er musste die Wirksamkeit von Trufenib beweisen. Berger glaubte an das Medikament. Er war maßgeblich an der Entwicklung beteiligt gewesen und von dem Konzept überzeugt. Die Therapie war erfolgversprechend für die Patienten. Allerdings konnten die in den asiatischen Studien gezeigten signifikanten Überlebensverlängerungen bei seinen Patienten nicht erreicht werden. Sie starben genauso oft und schnell wie ohne Trufenib, allerdings mit mehr Nebenwirkungen.

      Kapitel 9

       Bin ich jetzt im Himmel oder bin ich in der Hölle? Steffens Kopf dröhnte, und er fühlte sich wie in einem irrationalen Traum. Es war heiß, und von irgendwo schrammelte laute Musik, zu der eine helle Frauenstimme, die kaum einen Ton traf, voller Hingabe sang. Außerdem hörte Steffen Stimmen, die in einer ihm nicht bekannten Sprache diskutierten.

      "Hey, are you awake na? Hey Sir. Did you hear me po?"

      Steffen begann zu vermuten, dass er nicht tot war und versuchte, die Augen zu öffnen. Es war nicht sehr hell - eher schummrig - aber trotzdem fühlte sich Steffen geblendet und benötigte einige Zeit, um ein einigermaßen klares Bild zu bekommen. Eine junge Frau hatte zu ihm gesprochen, eine weitere schaute interessiert zu, während sie geräuschvoll einen Kaffee schlürfte. "Was ist das für eine Musik? Könnt ihr das abstellen?"

      Die Kaffee schlürfende Frau stellte ihren Kaffee bei Seite, kam näher und fragte "Ano daw?" Steffen fragte sich, was das bedeutete, dann wurde es wieder dunkel vor seinen Augen. Musik und Frauen verschwanden.

      Er fuhr mit seiner Frau in einem silbernen Porsche 911 Carrera Cabrio in einer ihm unbekannten Stadt. Es war sommerlich warm, und beide hatten gute Laune, lachten und fuhren ohne ein Ziel durch Häuserschluchten und vorbei an Gruppen von Menschen, die wie die perfekte Dekoration einer Modelleisenbahn für die Ausflugstour des Paares aufgestellt waren. Steffen schaute in den Rückspiegel und bemerkte Knud, einen Freund aus Dänemark, auf dem Rücksitz, der sich jetzt zu Wort meldete und sein dringendes Bedürfnis nach einer Toilette äußerte.

      "Neben der Post gibt es eine öffentliche Toilette", sagte Pauline. "Einen Container - aber sauber, wie ich gehört habe."

      Steffen betrachtete das angestrengt verzerrte Gesicht von Knud im Spiegel und bangte um seine Sitzbezüge aus violettem Straußenleder. Er trat das Gaspedal durch, der Porsche schlingerte stark, kam von der Straße ab, streifte einen Laternenpfahl und führte die Fahrt dann in atemberaubendem Tempo, diesmal mit klarem Ziel, fort. Menschen, jetzt weniger geordnet, sprangen von der