Michaela Santowski

Du gehörst zu mir


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      Rob fuhr die lange Einfahrt zu Pierres Haus entlang und stellte dabei fest, dass er ziemlich lange nicht mehr hier gewesen. Das letzte Mal war fast fünf Jahre her. Sie hatten einen Abend gemeinsam verbracht, von dem Rob nicht mehr sehr viel wusste. Unwillkürlich musste er grinsen. Genauso sollten Herrenabende auch sein. Er hatte damals unauffällig nach einem Foto von Suzanna Ausschau gehalten, doch keines gefunden. Während er direkt vor der Tür parkte, schweiften seine Gedanken zu der Frau, der er gleich gegenüber stehen würde. Sie hatte nie erfahren, dass er damals das gleiche für sie empfunden hatte. Obwohl sie erst fünfzehn gewesen war und eigentlich viel zu jung für ihn, hatte er sich heftig in sie verliebt. In diesem Urlaub hatte er nächtelang mit ihr über alles Mögliche diskutiert, Politik, ältere Brüder, die Zukunft, Schule und die Privilegien reicher Kinder. Damals hatten ihre Eltern noch gelebt. Sie waren später im gleichen Jahr bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen. Rob war damals fast zu Grunde gegangen bei dem Gedanken, Suzie nicht zur Seite stehen zu können. Aber Pierre hatte ihn gebraucht. Hätte er gleichzeitig auch für Suzanna da sein wollen, wäre mit Sicherheit mehr daraus geworden. Das hätte Pierre ihm nicht verziehen. So hatte er sich schweren Herzens zurückgezogen. Aber seine Gedanken waren sehr, sehr lange bei Suzie gewesen. Wenn er ehrlich war, hatte sich das erst geändert, als er Mira vor vier Jahren getroffen hatte. Sie hatte ihn eindeutig auf andere Gedanken gebracht.

      „Gott sei Dank, dass du da bist.“ Sein Freund stand in der offenen Tür und zog ihn zur Begrüßung kurz in die Arme. „Suzie ist noch auf ihrem Zimmer. Sie hat es nicht so gut aufgenommen, dass sie unter Bewachung stehen soll.“

      „Mach dir keine Sorgen. Wir bekommen das schon hin. Hast du mir eine Liste mit ihren Freunden und Feinden gemacht?“, fragte Rob, während sie ins Haus gingen. Pierre nickte. „Jedenfalls soweit ich das konnte. Ich kenne bestimmt nicht alle ihrer Freunde.“

      „Ich werde auch von Suzie eine Liste erstellen lassen. Ist Sinclair schon da?“

      „Er ist kurz vor dir gekommen.“

      Sinclair war einer von Robs besten Personenschützern. Rob wollte ihn bei der Besprechung dabei haben. Pierre führte ihn ins Wohnzimmer, wo Sinclair schon wartete.

      „Boss“, begrüßte er ihn.

      „Sinclair. Schön, dass du an deinem freien Tag ein paar Minuten Zeit finden konntest. Ich fühle mich besser, auch deine Einschätzung der Situation zu hören.“

      „Das ist doch selbstverständlich.“

      Die drei Männer setzten sich zusammen, und Pierre begann, zu berichten. Danach beratschlagten sie gemeinsam, was zu tun wäre. Rob war erleichtert, dass Sinclair ebenfalls der Meinung war, Suzanna bräuchte einen Rund-um-die-Uhr-Schutz. Er hatte gedacht, dass er es eventuell übertrieb. Schließlich ging es hierbei um eine Freundin von ihm. Da konnte man schon mal den Blick fürs Wesentliche verlieren.

      „Gut. Dann machen wir es so“, fasste Rob zusammen. „Ich werde bei Suzie wohnen und versuchen, Kontakt zu ihren Freunden zu bekommen, während ich gleichzeitig auf sie aufpasse. Ihr“, wandte er sich an Sinclair, „werdet ihr Umfeld überprüfen und die Briefe genauer analysieren. Ich bin sicher, dass wir ihn bald haben werden.“

      „Das hoffe ich“, warf Pierre ein, dem die Sorge um seine Schwester ins Gesicht geschrieben stand. Rob legte die Hand auf seinen Arm. „Ganz sicher.“ Er stand auf und streckte sich. „Ich werde mir jetzt ein Wasser holen, und dann sollten wir die schlafende Schönheit wecken.“

      Pierre grinste in sich hinein. „Ich bin sicher, dass sie nicht mehr schläft. Wahrscheinlich schmollt sie noch.“

      Suzie war völlig übernächtigt aufgewacht. Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, dass die Dusche länger ausfallen würde als gewöhnlich. Nachdem sie ausgiebig geduscht und sich die Zähne geputzt hatte, legte sie ein wenig Make-up auf, zog sich Jeans und T-Shirt über und verließ ihr Zimmer. Doch ihre Schritte wurden immer langsamer je näher sie dem Wohnzimmer kam. Ihr Herz klopfte so sehr, dass sie dachte, es würde jeden Moment ganz aufhören zu schlagen. Zehn Jahre. Zehn lange Jahre hatte sie ihn nicht gesehen. Zehn Jahre, in denen sie oft von ihm geträumt hatte, sich oft gewünscht hatte, Pierre würde wenigstens einmal über ihn sprechen. Suzie wusste genau, dass sie Rob in ihrer Vorstellung perfektioniert hatte. Sie kannte ihn schließlich überhaupt nicht mehr. Er war zwanzig gewesen, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. In zehn Jahren konnte man sich verändern. Sie selbst war das beste Beispiel.

      Unschlüssig starrte sie auf die geschlossene Wohnzimmertür, hinter der sie ihren Bruder mit jemandem reden hörte. Vielleicht war Rob dick, faul und unansehnlich geworden. Schließlich war er der Chef seiner eigenen Firma. Er hatte seine Leute, die die Arbeit erledigten. Kein Grund also, sich fit zu halten. Sie atmete noch einmal tief durch, öffnete dann mit einem Lächeln die Tür und betrat das Wohnzimmer.

      Im ersten Moment blieb ihr der Mund offen stehen. Pierre unterhielt sich mit einem Mann, der tatsächlich sehr kräftig war und einen leichten Bauchansatz hatte. Er war groß und trug einen Anzug. Das einzige, was noch an den Rob von vor zehn Jahren erinnerte, waren die dunklen, allerdings jetzt militärisch kurz geschnittenen Haare.

      Das sollte ihr Idol der letzten zehn Jahre gewesen sein? Suzie war platt. Dieser Mann, der vor ihr stand, hatte absolut nichts mit dem Mann ihrer Fantasien zu tun. Ihre Seifenblase zerplatzte mit einem lauten Knall, den nur sie hören konnte. Schnell verbarg sie ihre Enttäuschung hinter einem Lächeln.

      „Suzie!“ Pierre kam auf sie zu und nahm sie kurz in die Arme. „Schön, dass du auch endlich kommst.“

      „Hallo, Bruderherz.“

      „Suzie. Du hast absolut nichts mehr mit dem schlaksigen Teenager von damals gemein.“

      Seine Stimme war noch dieselbe wie damals. Sie hätte sie überall erkannt. Dunkel, sanft, nie laut. Und sie löste noch immer einen Schauer in ihr aus. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass die Stimme von hinter ihr gekommen war. Nicht von dem Mann, der vor ihr stand. Zögerlich drehte sie sich um und blickte in Augen, die an hellblaue Kristalle erinnerten, klar und ehrlich. Sein dunkles Haar trug er etwas länger als damals, sodass es sich im Nacken leicht kräuselte. Eine vorwitzige Strähne fiel ihm in die Stirn, und sie musste sich zusammenreißen, um sie nicht zurückzustreichen. Sein männlich, markantes Gesicht wurde von einem Dreitagebart umrahmt. Seine sinnlichen vollen Lippen, die Suzie schon ungefähr tausend Mal in ihren Träumen geküsst hatte, waren leicht geöffnet, als er sie anlächelte. Ihr Blick fiel auf seine breiten Schultern und glitt an seinem athletischen Körper hinab. Sie schluckte schwer.

      „Es freut mich, dich endlich wiederzusehen.“ Suzie war unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Zehn Jahre hatte sie von ihm geträumt, und nun stand er vor ihr und zog sie in eine Umarmung. „Du bist eine sehr hübsche Frau geworden“, flüsterte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor er sie wieder losließ.

      Sag etwas, dachte sie verzweifelt.

      „Wie lange ist es jetzt her?“, fragte er.

      „Zehn Jahre“, entgegnete sie und stellte bestürzt fest, dass ihre Stimme belegt klang. Schnell hustete sie. Hoffentlich glaube er, sie hätte sich eine fiebrige Erkältung eingefangen, da sie spürte, wie sie unter seinem Blick rot wurde.

      „Du bist wirklich eine Frau geworden. Nicht nur hübsch, sondern auch, wie ich von Pierre gehört habe, verdammt klug. Das ist eine gefährliche Mischung für uns Männer.“

      Verlegen strich sie sich ihre langen Locken aus dem Gesicht. „Du hingegen hast dich kaum verändert.“ Gott sei Dank klang ihre Stimme wieder normal.

      „Männer verändern sich nicht. Wenn überhaupt, werden wir verantwortungsvoller.“

      Pierre lachte auf. „Da ist bei dir Hopfen und Malz verloren. Ich beneide Mira nicht um den Job, mit dir zusammenleben zu müssen.“

      Rums! Suzie spürte, wie der Boden schwankte. Er hatte eine Freundin. Gleichzeitig schalt sie sich selber in Gedanken. Sie hatte ihn zehn Jahre nicht gesehen. Nur, weil er noch so verdammt gut aussah wie damals, hieß das nicht, dass er nicht ein arroganter