Christian Milkus

Treulose Seelen


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Männer hatten Reet Hände und Füße gebunden. Nun hoben sie ihn auf und trugen ihn fort.

      »Aber das reicht mir nicht!« stammelte Knut. »Mein Weib ...! Der Bader ...! Bitte, ich hab vier Kinder!«

      »Ich hab vier Kinder«, äffte der Pirat ihn nach. »Beim Strick! Was hab ich dieses Gejammer satt! Verdirbt einem den ganzen Spaß!«

      Er fummelte ein Silberstück aus der Hosentasche, öffnete Knuts Mund und legte es ihm auf die Zunge. Knut ließ es geschehen, verängstigt, erschüttert, gebrochen. Zwei weitere Männer wateten zum Boot und kamen mit je einem Eimer voller Fische zurück.

      »Den Fisch legste noch drauf«, nuschelte der Anführer. »Und jetzt ...«, er hob einen Zeigefinger vor seine Lippen, »... jetzt sagste besser nichts mehr, Bürschchen. Sonst nehmen wir den dritten Eimer auch noch mit. Und dich auch.« Damit schloss er Knut den Mund mit der Münze darin, drückte sich hoch und stapfte hinter seinen Leuten her, die Hand am Schwertknauf.

      Knut hörte sie lachen, während sie sich entfernten. Er blieb im Wasser sitzen, sah ihnen nach und schmeckte Blut und Silber.

      Erst, als das Licht der Fackeln verschwunden war, öffnete er den Mund, nahm den Silbernok heraus und kam zitternd auf die Beine, eine Hand auf den Bootsrand gestützt. Sein Blick fiel in den dritten Eimer. Tote Fischaugen glotzten ihn an. Mit hölzernen Bewegungen schob er das Boot aus dem Schlamm, drehte den Bug in Richtung See und zog sich an Bord. Er brauchte eine Weile, ehe das Schilf hinter ihm lag. Der Wind hatte gedreht. Er blies jetzt auflandig und schwächer als bei ihrer Ankunft. Schließlich aber erreichte er das offene Wasser. Er wollte sich orientieren, die Gewohnheit eines Fenn-Fischers, der sein halbes Leben im Boot verbracht hat. Doch ob links oder rechts, die nächtliche Uferlinie sah in beiden Richtungen gleich aus, und diesen Teil des Sees kannte er kaum. Zweimal erst war er hier gewesen, um die Vereinbarung mit den Seepiraten zu treffen und die heutige Zusammenkunft abzusprechen. Er schaute zum Nachthimmel auf, doch sei es, weil er ganz und gar außer sich war, weil die Sterne weitergewandert waren oder weil Tränen seinen Blick verschleierten, auch am Firmament kam ihm kein bekannter Fixpunkt entgegen. Ohne Kurs und Ziel segelte er hinaus in die dunkle Weite.

      Seine nassen Sachen klebten ihm am Leib. Er zitterte jetzt stärker, musste sich zusammenreißen, um die Ruderpinne ruhig zu halten.

      Die Welse sagen, ich werde das Fenn bald verlassen, hörte er Reets Stimme in seinem Geist. Bei diesen Worten seines Bruders war ihm der Schreck gründlich in die Glieder gefahren, hatte er doch nur allzu gut gewusst, wie bald diese Vorhersage in Erfüllung gehen würde. Das Licht der Welse hatte Reet die Zukunft erhellt. Es hatte ihm nur nicht verraten, auf welche Weise diese Zukunft eintreffen würde – und wie bald. Sollte doch etwas dran sein an der Legende? Hatte Reet all die Jahre über die Wahrheit gesagt? Gab es die Welse wirklich?

      Knut schob diese Mutmaßungen auf die Seite. Er hatte ganz andere Sorgen. Seine Faust ballte sich um den Silbernok, bis die Knöchel weiß waren. Die Münze würde dem Bader nicht reichen, bei Weitem nicht. Sonya würde die Medizin nicht bekommen, und ohne die Medizin würde sie sterben, das wusste er, ganz ohne weissagende Riesenfische. Er hatte Reet angelogen. Das Fieber war nicht zurückgegangen, im Gegenteil. Der Winter war zu lang, die Hütte zu kalt gewesen. Und auch, wenn Reets Märchenwelse ihm einmal das Richtige eingegeben hatten: Knut ahnte, dass frischer Fisch und Tauwetter allein Sonya nicht würden genesen lassen. Er hatte den eigenen Bruder an eine Bande Seepiraten verhökert, um an das Geld für das letzte rettende Schilfrohr zu kommen, an das er sich geklammert hatte: die Medizin des Baders. Der Frühling war da. In ein paar Tagen würde der Wagen des fahrenden Heilers ins Dorf rumpeln, und er würde es sich trotz allem nicht leisten können, Sonyas Leben zu retten. Das letzte Schilfrohr war geknickt und abgerissen. Er würde ein Witwer mit vier hungrigen Mäulern sein und ohne Reets Hilfe und Spürsinn das Netz auswerfen. Der nächste Winter würde erneut Leben unter seinem Dach fordern. Sie waren ja so schon kaum über die Runden gekommen ...

      Er spuckte blutigen Speichel ins Wasser. Von dem Schlag des Piraten saß ein Schneidezahn locker. Es war ihm gleich. Alles war ihm gleich.

      Wie elend, wie erbärmlich bin ich doch, dachte er. Ihr Götter, was bleibt mir jetzt?

      Der Bakul-See war groß, fast schon ein Binnenmeer. Wie lange Knut so segelte, wusste er nicht. Irgendwann war kein Ufer mehr da, nur noch spiegelglatte Oberfläche, so weit das Auge reichte. Der Wind war eingeschlafen. Da ließ er die Pinne los und tat, was Reet immer so gerne getan hatte: Er beugte sich über die Bootswand und schaute hinab in die Schwärze. Sie war kalt. Sie war tief. Sie war einladend. Sie konnte ihm Vergessen schenken. Es würde schnell gehen. Er würde nichts mehr fühlen, keine Verzweiflung, keine Schuld. Alles würde ein Ende haben. Das war der erste tröstliche Gedanke, seit er nach dem Handel mit den Piraten wieder Segel gesetzt hatte.

      Bedächtig krempelte er den rechten Ärmel hoch und tauchte die Faust mit dem Silberling ins Wasser. Er wartete, bis die Hand vor Kälte taub war. Dann öffnete er sie. Schaute zu, wie die blanke Münze versank. Und während er dem Preis für seinen Bruder nachblickte, sah er, wie es weit unter ihm aufflackerte.

      Einmal.

      Zweimal.

      Immer wieder.

      Das Licht der Welse.

      Über Florian Clever

      Florian Clever ist Jahrgang '73 und mit Fantasy aufgewachsen. Als das Genre in den 80ern populär wurde, war er mittendrin: Romane, Spielbücher, Pen-und-Paper-Rollenspiel, später auch Computerspiele. Er schreibt seit über 20 Jahren. Erst Lesetexte im Rahmen der RPG-Runden, später auch Eigenständiges.

      Mit dem 6-Teiler SCHWERT & MEISTER legt er klassische Mittelalter-Fantasy rund um den jungen Helden Glen Neradra und ein magisches Metall vor, das Niyn. Bisher erschienen: SCHWERT & MEISTER 1: MERVARON (Februar 2017), SCHWERT & MEISTER 2: FRAHINDA (September 2017) und SCHWERT & MEISTER 3: TARONT (März 2018). Neben der vorliegenden Kurzgeschichte wurden bislang zwei kürzere Texte von ihm in Verlags-Anthologien veröffentlicht (Nebel über der Niers/Mercator; Hier bin ich Mensch, hier will ich sein/Edition Octopus).

      Stilistisch versucht er, mit wenigen Worten viel zu sagen. Sein Background als Werbetexter hat ihn dahingehend gedrillt (13 Jahre Agenturerfahrung in Frankfurt, Köln & Düsseldorf). Da hieß es: "Fass dich kurz. Das dauert beim Schreiben zwar oft länger, aber die Zeit deiner Leser geht vor."

       www.facebook.com/floriancleverautor

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