Christian Milkus

Treulose Seelen


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auch noch ein Schwert folgen lassen. Wir müssen zusammenhalten. Wer in diesem Reich soll meinen Eltern Vertrauen entgegenbringen, wenn nicht einmal ihr eigener Sohn das tut?«

      »Du hast sie bereits verraten, indem du einen Soldaten getötet und mich befreit hast.«

      »Nein, das habe ich nicht. Du hast uns überwältigt.«

      Sie kniff ihre Augen zusammen. »Was ...?«

      Ohne ein weiteres Wort nahm er wieder seinen Dolch zur Hand und stieß ihn sich in die rechte Seite seines Bauches.

      Ein Schrei entfuhr Fayne, bevor sie diesen mit einer Hand auf den Mund erstickte. Durch Joaquins Körper jagte ein stechender Schmerz. Er fiel nach vorne auf die Knie, Augen zusammengekniffen, Zähne aufeinandergepresst. Mit der rechten Hand hielt er sich die Stelle, an der er zugestochen hatte, mit der linken stützte er sich ab. Blut trat aus seiner Wunde und füllte die Lache der getöteten Wache.

      »Bist du verrückt?«, fragte sie, ein schreiendes Flüstern.

      Er holte tief Luft, bevor er die Klinge stöhnend und grunzend wieder aus seinem Körper zog.

      »Geh!«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Ich habe nur auf die ... auf die Seite gezielt ... wird mir nichts anhaben.«

      »Oh, du dummer, törichter, idiotischer ... ach, du bist einfach wundervoll!« Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Wir sehen uns wieder, ja?«

      Er nickte schwach. »Na ... natürlich.«

      »Ich werde dich aufsuchen.«

      »Ich weiß, dass du das wirst. Pass auf dich auf.«

      Und so rannte sie endlich den Gang entlang, hinfort in die Freiheit. Ob Joaquin sie wirklich jemals wieder in die Arme schließen würde? Vielleicht.

      Vielleicht aber auch nicht.

      Er war sich dieser Ungewissheit von Anfang an bewusst gewesen, doch erst jetzt, zum Zeitpunkt des Abschieds, plagte sie ihn besonders schwer, und der Schmerz, den er in der Seele verspürte, ließ ihn die Einstichwunde am Bauch für kurze Zeit vergessen.

      Schließlich hörte er Stimmen. Offenbar war bemerkt worden, dass etwas nicht stimmte, und die ersten Wachen schienen nachzuschauen, wo die drei vermissten Personen steckten. Schon bald würden sie ihren Prinzen schwerverletzt vorfinden.

      Endlich.

      Seit Faynes Festnahme hatte er sich nur gequält. Die Tage über hatte er sich auf jegliche Weise versucht abzulenken, die Nächte über hatte er wach gelegen und gegrübelt.

       Freundin oder Familie?

      Den Göttern sei Dank war dies nun vorbei. Und spätestens jetzt, als Fayne hinein in ihr neues, von ihm geschenktes Leben lief, überkam ihn eine sanfte Woge der Gewissheit.

      Er hatte sich richtig entschieden.

      Über Christian Milkus

      Hi, ich bin Chris und komme aus Berlin. Ich bin eine dieser Personen, die sich in Gesprächen zurückhalten, die gerne mal abdriften und in Gedanken durch andere Welten schweben. Manchmal bin ich aber auch wachsam und beobachte die Leute. Am liebsten studiere ich ihre Gestik, ihre Mimik und ihre Art zu sprechen. Und wenn ich zu Hause bin? Richtig, dann forme ich meine Beobachtungen und Gedankenausflüge zu Geschichten. Meistens spielen sie in Fantasy-Welten, doch auch mit Thrill und Horror müssen sich meine Figuren gerne mal herumschlagen.

      Bisherige Bücher:

      Der Schatten in mir (im Juni 2016 erschienen)

      Das Feuer in mir (erscheint im Juni 2018)

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      Schwert & Meister: Das Licht der Welse

       von Florian Clever

      Knut nahm die Hände aus dem Wasser. Sie waren taub vor Kälte. Vor zwei Wochen war das Eis auf dem See genug abgetaut, um endlich wieder mit den Booten rausfahren zu können. Es war Mitte März, und der Pegel des Bakul-Beckens stieg jeden Tag durch die Schneeschmelze in den niederen Lagen der Sturmzinnen.

      Der Winter war hart gewesen. Zu hart für manche. Die Fischer aus den Sümpfen am Ostufer des Sees führten ein karges Leben. Vorräte waren stets knapp – ganz gleich, ob an Essen, an Brennstoff oder an Hoffnung, wenn Pökelfisch und Torfstücke zur Neige gingen, und Tisch und Feuerstelle immer öfter leer blieben, während der Frost draußen alles Leben erstickte. Vier in Tuch gewickelte und mit Steinen beschwerte Leiber waren diesen Winter in Knuts Dorf am Eisloch dem See übergeben worden, doppelt so viele wie letztes Jahr.

      Knut holte das Netz ein, und sein Bruder Reet half ihm dabei. Es war leicht, denn ihr Fang war dürftig. Wie schon beim vorherigen Mal, und auch bei dem Mal davor. Ein viertes Mal würden sie das Netz nicht auswerfen heute Nacht. Es war an der Zeit, was sie hatten den Händlern zu bringen. Zwei Drittel der Fische würden sie verkaufen, und das letzte Drittel unter sich aufteilen. Knut würde das Meiste davon bekommen, er hatte eine Frau und vier Kinder. Reet war Junggeselle und lebte so einfach, dass er damit selbst unter den genügsamen Fischern des Öden Fenns auffiel. Reet war lang und dünn wie das Schilfrohr, dessen Name er trug. Vor allem jetzt, am Ende des Winters, wirkte er nahezu ausgemergelt. Auch Knut war schlank, alle aus dem Fenn waren es. Doch wo andere noch eine Spur Reserven hatten, bestand Reet nur aus Haut, Knochen und dünnen Muskelsträngen. Trotzdem schien er die Kälte nicht zu spüren. Kaum hatten sie das Netz im Boot, als Knut in seine Hände blies und sie aneinander rieb. Sein Bruder aber schwang schon die Fischkeule und machte ihrer zappelnden Beute ein Ende.

      Reet lächelte. »Nicht schlecht fürs Erste! Wenn’s so losgeht, wird’s ein Frühling mit vollen Netzen!« Er packte zu und erschlug einen Fisch, der sich mit wilden Flossenschlägen gegen die Bootswand geworfen hatte. »Hab’s gewusst. Taront hat mir ein Zeichen gegeben. Vorgestern, beim Neumond, hab ich die Welse gesehen.«

      Knut unterdrückte ein Seufzen und schob die Hände unter die Achseln, um die Ahnung von Wärme zu erhalten, die seine Bemühungen ihm beschert hatten. Jetzt fing das wieder an! Reet und seine Welse! Die großen Welse des Bakul-Beckens, die Taront, der Gott des Schicksals, den Fischern sandte, um ihnen damit die Zukunft vorherzusagen. Jeder im Sumpf kannte die Legenden. Mal waren die Welse in den Geschichten fünf Schritt lang, mal acht, mal gar zehn. Mal waren ihre Barteln steif wie Schwerter, mal das Maul breit genug, um einen ausgewachsenen Mann am Stück zu verschlingen. Eins aber hatten all diese Märchen gemeinsam: Die Welse leuchteten.

      Nicht permanent. Doch manchmal, rund um den Neumond, wenn die Nächte besonders dunkel waren, flammte es in den schwarzen Fluten des Sees kurz auf, wie ein fernes Gewitter am schlammigen Grund, ein blaugrünes Flackern in der Tiefe. Damit verhieß Taront dem Volk aus dem Fenn ein fischreiches Jahr, glückliche Geburten, mehr Sonnenstunden, kurz, ein Leben in Wohlgefallen. Wer das Lichtspiel der Welse besonders gut zu lesen verstand, entnahm ihm manchmal auch differenziertere, aufregende Prophezeiungen. Und niemand las so gut und so oft im Leuchten jener mythischen Fische wie Knuts Bruder Reet.

      Rasch senkte Knut den Kopf, um Reet nicht mit seiner missbilligenden Miene zu kränken. Die Welse gesehen! Am Arsch! Das einzig Aufregende, was es hier außer gelegentlichen Unwettern noch gab, waren die Seepiraten, und die scherten sich nicht um die verlausten Fischer aus dem Sumpf. Wozu auch? Diese Prise lohnte die Mühe nicht, und hinterher roch man auch noch tagelang nach Fisch.

      Knut versuchte schon lange nicht