Christian Milkus

Treulose Seelen


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könnt nichts beweisen!«, brüllte Fayne – so erschütternd, dass Joaquin sich ausmalte, wie die Fenster zersplitterten.

      Seine Mutter, Königin Hylenia, schüttelte verächtlich den Kopf, hatte für diese Respektlosigkeit kein Verständnis. Gleichzeitig umspielte ein Schmunzeln ihr Gesicht. Sie amüsierte sich darüber, wie Fayne hilflos zappelte wie ein Tier auf der Schlachtbank.

      Die erste Zeugin wurde vernommen, ein junges Dienstmädchen. Während sie sprach, hielt sie ihren Blick gesenkt und spielte an ihren Fingernägeln herum. Sie redete so leise, dass Joaquin genau hinhören musste, um sie zu verstehen. Doch so sanft und lieblich ihre Stimme auch war, so beißend und gnadenlos waren ihre Worte. Und so dauerte es nicht lange, bis Faynes rebellischer, vor Kraft strotzender Blick sich in einen Ausdruck von Entsetzen und Verstörtheit verwandelte. Ihr Brüllen, das eben noch wie der Ausbruch eines wütenden Bären den Saal erfüllt hatte, wurde durch wenige Worte eines unscheinbaren Dienstmädchens zu dem Fiepsen einer Maus degradiert.

      Auch die Mordwaffe – ein Küchenmesser – wurde nun präsentiert, angeblich von der Zeugin unter dem Schrank in Faynes Zimmer gefunden.

      Von wegen keine Beweise.

      Der nächste Zeuge wurde vernommen und berichtete von einem Streit zwischen Fayne und Kelion. Wie ein Hagelschauer prasselten die Anschuldigungen auf sie ein, die Klinge einer drohenden Verurteilung drückte immer fester in ihre bleicher werdende Haut. Joaquin spürte ihre Schmerzen, als säße er selbst auf dem Stuhl vor dem Podium. Seine und Faynes Seelen hatten sich über all die Zeit in treuer Freundschaft hinweg verbunden. Immer hatten die beiden zueinandergestanden, für alles gemeinsam gekämpft, sich immer aus schwierigen Situationen herausgeholfen.

      Doch dann hatte sie der Königsfamilie einen Dolch in den Rücken gerammt.

      Nach so vielen Jahren, in denen sie den Liandras treu gedient hatte, hatte sie sich eines Tages gegen sie gewandt. Immer öfter war sie mit den Entscheidungen von Joaquins Eltern nicht einverstanden gewesen, hatte mit ihnen wortgewaltig diskutiert, sich sogar öffentlich gegen sie ausgesprochen. Bis sie irgendwann zu weit gegangen war. Sie hatte versucht, andere Mitarbeiter am königlichen Hof auf ihre Seite zu ziehen, eine Neubesetzung verschiedener Ämter geplant, notfalls eine Rebellion.

      Und seine Eltern hatten es herausgefunden.

      Hochverrat.

      Als Erstes war sie natürlich an ihren engsten Freund und treuesten Verbündeten herangetreten: an ihn, Joaquin, Prinz und Thronfolger. Doch was sie von ihm verlangt hatte, war unmöglich gewesen. Die eigene Familie hintergehen. Wie hatte sie auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden können, wie hatte die finstere Saat des Verrats nur derart in ihr keimen können?

      Wie sagte seine Mutter doch immer? »Deine Familie ist die Heimat deiner Stimme, der Ort deiner Zuflucht. Sie ist deine Vergangenheit und deine Zukunft. Deine Familie geht über alles.«

       Über alles. Über alles.

      Die Worte echoten in seinem Kopf. Er hatte sie schon so oft gehört, sie hatten sich eingebrannt und begleiteten ihn überall hin, ob in die fernen Ecken des Königreiches oder auf den Abort.

      Während sich seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit verliefen, schritt die Verhandlung rasch voran. Als Nächstes sagte eine Wache aus, die schon seit zwanzig Jahren am königlichen Hof diente. »Habe sie eindeutig erkannt«, erklärte sie unter Eid. »Ist aus seinem Zimmer gekommen, dachte wohl, ist unbeobachtet. Aber nein, Eure Hoheit, war sie nicht. Ich war zufällig in der Kammer am Ende des Ganges, hab sie durch den Türschlitz gesehen. Ist durch die Gänge geschlichen wie eine Katze.«

      Joaquin musste sich zurückhalten, nicht laut zu stöhnen und die Augen zu rollen.

       Wie eine Katze – so ein Unsinn!

      Niemals würde diese Wache sich so ausdrücken. Nein, in dieser Verhandlung war sie bloß eine Marionette, kontrolliert von der Königin, die ihr diese Worte in den Mund gelegt hatte.

      Alles war inszeniert.

      Das Manuskript dieses Prozesses war von Joaquins Eltern vorgeschrieben worden, alle Zeugenaussagen wurden im Schein der Lüge getätigt. Die Zuschauer verfolgten ein Schauspiel, allerdings eines mit bitterem, blutigem Ausgang. Mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun, es war ein Hohn gegenüber den Göttern und ein Bruch gegenüber der Gesetzestafel, einst gefertigt von seiner Vorfahrin, Königin Lloyanda. Zwar hatte Fayne Verrat begangen, doch das konnte ihr nicht bewiesen werden, außerdem hätte das Volk dann eine öffentliche Hinrichtung verlangt, und das wäre nicht im Sinne des Königspaares gewesen. Also hängten sie Fayne einen Mord an, den sie selbst in Auftrag gegeben hatten. Der Schuldspruch dazu war bereits ausformuliert, die Worte mussten nach der Verhandlung nur noch zu Pergament gebracht werden.

      Fayne hatte inzwischen aufgehört zu protestieren, hatte eingesehen, dass sie das Opfer eines ausgereiften Planes war, der keine Möglichkeit zur Flucht offenbarte. Was auch immer sie sagen oder tun würde, wer auch immer sich jetzt noch für sie aussprechen würde, an ihrem Schicksal würde nichts mehr kratzen können.

      Schließlich verhallte auch die letzte Zeugenaussage im Saal, ihr Inhalt so unbedeutend wie für den Wolf die Blume. Bei der erdrückenden Beweislage, die sich im Laufe des Prozesses entfaltet hatte, war sie nicht mehr nötig gewesen, doch wollte Königin Hylenia etwas erledigt wissen, so sicherte sie alles drei- und vierfach ab.

      Die sieben Verantwortlichen zogen sich nun zurück und berieten sich über das Urteil. Wortlos verfolgte Joaquin das Gespräch, das sich bloß als ein bewegtes Spottbild voller Schauspielerei darstellte. Vier der Anwesenden, inklusive ihm, waren in die Inszenierung eingeweiht, die anderen drei wären verrückt, wenn sie nach dieser so einseitig geführten Verhandlung an etwas anderes als eine hohe Strafe denken würden. Die monoton gesprochenen Sätze erinnerten ihn an das Rauschen des Meeres. Es wurde nicht gestritten, es wurde nicht laut, und er musste nicht richtig hinhören, schließlich sagte jeder dasselbe aus, nur in andere Worte verpackt. Und als am Ende dieses heuchlerischen Dialoges darüber abgestimmt wurde, ob Fayne schuldig war, hoben alle simultan ihre Hand – auch Joaquin, der sich mit dieser Geste offiziell gegen seine beste Freundin aussprach. Seine Eltern hatten es nicht anders erwartet, und er enttäuschte sie nicht.

      Danach entsprang das erste Mal eine Diskussion, denn die Höhe der Strafe war nicht so eindeutig wie der Schuldspruch an sich. Exil, Kerker, Tod – alles kam in Frage. Doch auch diese Entscheidung stand schon vorher fest, denn die vier Eingeweihten stimmten – wie abgesprochen – für den Kerker.

      Kaum war das Urteil gefällt, widmeten Joaquins Eltern ihr Gespräch dem Wetter und ihrer anstehenden Reise. Eigentlich war es auch für sie kein Alltag, eine langjährige und die meiste Zeit über loyale Dienerin der Königsfamilie für immer in ein kaltes, stinkendes Loch zu werfen, doch sie benahmen sich, als wäre dies ein nebensächlicher Zwischenfall, der vor dem Abendessen schnell noch abgehakt werden musste.

      Innerlich zerrüttet von der Skrupellosigkeit, mit der seine Eltern das Urteil durchzusetzen vermochten, betrat Joaquin mit den anderen wieder den Saal. Seine Eltern nahmen auf ihren Thronen Platz, der Prinz selbst war zu unruhig, um sich hinzusetzen. Er wollte den Alptraum, der gleich seinen Höhepunkt erreichen würde, lieber im Stehen durchleben. Er wagte es kaum, auch nur einem der Anwesenden in die Augen zu gucken, doch die neugierige und fürsorgliche Seite in ihm setzte sich durch, und so schaute er kurz zu Fayne hinüber, die plötzlich zum ersten Mal während der Verhandlung seinem Blick begegnete.

      Ihm war, als jagte ein Blitz durch seinen Körper.

      Er kannte sie gut. Sehr gut. Manchmal konnte er aufs Wort genau vorhersehen, was sie sagen würde, und jetzt, in diesem Moment, mit diesem Feuer in ihren Augen, konnte er sich gut vorstellen, welche Worte auf ihrer Zunge lagen: Bist du zu feige, um mir zu helfen, oder warst du hinterlistiger Verräter sogar eingeweiht in diese Intrige?

      Wie gern wäre er jetzt zu ihr gerannt, hätte sie in die Arme genommen und ihr alles erklärt. Ich konnte nicht eingreifen. Meine Mutter hat den Plan umgesetzt, bevor sie mir davon erzählt hat. Doch er presste seine Lippen aufeinander und spannte seinen Körper an.