Katharina Conti

Maresia


Скачать книгу

„Max ist drei, und das war ein Biss aus Liebe.“ „Was war das?“ „Es heisst, ich habe dich zum Fressen gern.“ „Ist das so?“ Um Fassung bemüht, nicht genau wissend, wie er reagieren sollte, sass James da und die Spannung, die sich in Viktorias Schrei entladen hatte, baute sich erneut auf; unsicher standen die beiden Jungen vor ihrem Vater und ich empfing stumme Hilferufe.

      „Sami? Was heisst Capeta?“ Er kam zu mir, zögernd und auf Umwegen, wie es seine Art war, aber er kam, mochte mich, auch wenn ich sein Body-Board kaputt gemacht hatte in Brasilien. Ich war auf den Strand aufgelaufen, war wohl zu schwer gewesen und es hatte einen Riss bekommen. „Capeta heisst kleiner Teufel.“ „Was ist los? Was sagt ihr?“ „Ich wollte wissen, was Viktoria zu Max gesagt hat. Ich hatte ein Wort nicht verstanden.“ „Welches Wort?“ „Capeta.“ „Und was heisst das?“ „Kleiner Teufel.“ Die Worte vor sich hin murmelnd wurde Sami hastig von Michael fortgezogen vor der drohenden Zurechtweisung über diesen unbekümmerten Umgang mit Fremden, und mit einem leisen Seufzer wandte sich James an seinen Ältesten.

      „Ich reite morgen aus, Richard, und ich möchte, dass du mich begleitest.“ „Muss ich denn mitkommen, Dad? Wir wollten eigentlich zu den Steinen.“ „Wer ist wir?“ Ganz sein altes, kühles Selbst musterte er seinen Sohn; „wir haben einiges zu besprechen, Richard, und ich möchte, dass du mich begleitest. Ich habe dir schon erlaubt, vom Tee fernzubleiben.“ „Vom Dinner auch, Dad. Bitte!“ „Sami“, die Schlafzimmertür war aufgegangen, mit einer Hand konnte sie Max gerade noch festhalten, „du bleibst hier. Sami!“ Er fing an zu jammern, erhielt augenblicklich Unterstützung von Michael und sich gegenseitig in der fremden Sprache nachahmend, bettelten sie um fünf Minuten. Ergeben hob Viktoria die Hände, prompt wollte Max sich aus dem Staub machen und sie erwischte ihn an seinem Pyjama, „du bleibst hier. Fünf Minuten.“

      Nicht aus den Augen hatte James sie gelassen. Bis die Tür sich wieder schloss, hatte er unbeweglich dagesessen, sie beobachtet, während Richard sämtliche Sensoren ausfuhr. „Viktoria kann nicht reiten, Dad. Ich habe ihr von den Steinen erzählt, aber heute war keine Zeit mehr, um hinzugehen.“ „Du hast Mrs. Tavares versprochen, sie zum Steinkreis zu begleiten?“ „Ja, eigentlich schon. Wir wussten ja nicht, dass du kommst.“ „Und das Versprechen, das du einer Dame gibst, gilt natürlich mehr als der Wunsch deines Vaters.“ Richard hob den Kopf, „kommst du mit, Dad?“ „Ich werde es mir überlegen. Michael, ich glaube, die fünf Minuten sind um.“ Nach einem Blick auf seinen Vater unterbrach Michael widerspruchslos sein Spiel und wünschte Sami gute Nacht. Ich ging zur Schlafzimmertür, klopfte, Viktoria öffnete, blieb unter der Türe stehen, auch als Max zwischen ihren Beinen hindurch entwischte, sich auf Richard stürzte, der ihn hoch hob, Schreihals nannte; „ich erwarte dich um halb zehn, Vic.“ Sie nickte, lächelte zerstreut, wiederholte, als sei sie die Zeitansage, nahm Max aus Richards Armen und schob sich Stück für Stück zurück in ihr Schlafzimmer.

      „Onkel Rob? Heiratest du Viktoria? Weil, wir könnten sie dann öfters sehen. Sie ist eine nette Mutter, und sie hat keinen Mann mehr. Hast du das gewusst?“ „Ja, das habe ich gewusst. Ich glaube aber nicht, dass ich sie heiraten werde. Hat sie dir erzählt, dass sie keinen Mann mehr hat?“ „Nein, das war Sami. Warum heiratest du sie nicht?“ Ohne das leiseste Interesse an einer Antwort liess er meinen Arm los, hängte sich an James, „aber dann kannst du sie ja heiraten, Dad“, und aufseufzend, als lägen grosse Lasten auf seinen kleinen Schultern, liess er los, trottete mit hängendem Kopf neben uns her; „aber das geht ja wohl nicht.“Das ging nicht, nein, war ausgeschlossen, völlig undenkbar. Ich warf einen Blick zu James, ungerührt wurde er erwidert; und ich überliess ihn seinen Söhnen, zog mich zurück, wollte Ruhe, um Ordnung in meine Gedanken über den unerwünschten Verlauf dieses Wochenendes zu bringen. Viktoria würde Beistand nötig haben, wenn sie alle, mit James vorneweg, zur Jagd auf sie bliesen, so viel war sicher; ich hatte sie zu schützen, sie war mein Gast und wir nur befreundet, wie ich gesagt hatte.

      Als es dann an der Zeit war, machte ich mich bereit, ging hinunter, gelassen wieder, richtete mein Augenmerk auf Sandra. Schlecht hatte sie ausgesehen bei ihrer Ankunft, beide hatten sie schlecht ausgesehen, gereizt und gelangweilt. Seit Längerem hatten sie sich nichts mehr zu sagen, blieben zusammen, weil es erträglicher schien, verbitterten an der vermeintlichen Ausweglosigkeit ihrer Lage, die jetzt so jählings in Bewegung geraten war; und sie gelang ihr nicht ganz, die Rolle der kühlen Gelassenen. Ich sah sie beben vor unterdrückter Erregung, bereit für die Jagd, dann bemerkte ich, dass Viktoria fehlte. Als ich in die Halle trat, sie eben rufen lassen wollte, kam sie, behutsam auf die Stufen achtend, über die Treppe und in diesem Augenblick meines Lebens bedauerte ich zutiefst, kein Mann der überschwänglichen Gefühle zu sein und schmerzhaft wurde mir bewusst, dass ich es nicht werden konnte, auch wenn ich es noch so wollte. Ich hätte mich wohl für immer lächerlich gemacht.

      Sie sah atemberaubend aus, trug ein Kleid aus einem schwarzen, fliessenden, glänzenden Stoff, der sie umfloss, verhüllte, bei jeder Bewegung zeigte, wie sie gebaut war. Ich hätte ihr sagen wollen, wie schön sie war, wie sehr ich sie mochte, hätte sie bitten wollen, mit mir zu schlafen, meine Frau zu werden; doch die Erkenntnis, dass das Leuchten auf ihrem Gesicht nicht mir galt, war wie ein Messer ins Gekröse.

      „Du siehst gut aus, Vic.“ „Danke, du auch.“ Ich nahm ihren Arm, führte sie über die letzten Stufen, sah oben auf der Galerie James erscheinen; „ich hasse hochhackige Schuhe, Rob, mir tun jetzt schon die Füsse weh. Man muss auch anders gehen, weisst du, man muss sich etwas nach hinten lehnen, um nicht zu stolpern. Aber dann geht man so wiegend.“ Aufrecht schritt sie an meinem Arm, warf einen schnellen Blick durch die offenen Flügeltüren, kurz nur blieb er an Sandra hängen und leicht, als habe sie Durst, fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. „Ich habe eine Frage an dich, Robert. Soll ich wiegen oder soll ich stolpern?“

      „Hast du geraucht?“ „Natürlich nicht. Wenn, dann hätte ich jetzt schreckliche Kopfschmerzen und würde ganz tief schlafen. Ja.“ Fast unmerklich nickte sie, warf einen weiteren raschen Blick in die Runde, wieder blieb er kurz auf Sandra liegen, dann schaute sie zu mir. „Ich hätte es tun sollen und ich habe noch andere Fragen an dich, für später“, und sie entschloss sich zu wiegen. Leicht, als ginge sie barfuss durch den Sand, schob sie die Hüften vor, zielstrebig war James die Treppe herunter gekommen, nahm ihren anderen Arm, leicht, für einen Schritt nur; „was für ein schönes Kleid, Mrs. Tavares.“

      Erneut sass sie zu meiner Rechten, still, als wolle sie sich unsichtbar machen, nippte nur manchmal am Wein und Ryan begann sie mit Fragen zu bombardieren. „Sie haben in Südamerika gelebt?“ „Ja.“ „In Brasilien, nicht wahr?“ „Ja.“ „Wo in Brasilien?“ „In São Paulo.“ „Mir ist unerklärlich, wie man an einem solchen Ort leben kann.“ Es hatte begonnen, Rebecca blies zum Angriff, und ungerührt, als habe sie als einzige nicht verstanden, galt Viktorias Interesse ausschliesslich dem Dinner, obwohl sie bisher kaum etwas angerührt hatte.

      „Nun, Mrs. Tavares, wollen Sie uns nicht sagen, wie man an einem solchen Ort leben kann?“ Ruhig lag James‘ Blick auf ihr, er wartete, bis sie den ihren heben würde, doch sie liess ihn liegen. „Man kann fast überall leben. Hoheit.“ „Sie sind aber trotzdem zurück an den Busen von Mutter Helvetia.“ Ryan grinste, und erleichtert widmete sie ihm ihre ganze Aufmerksamkeit. „Ich sage ja, leben kann man überall.“

      „Man darf doch aber sicher davon ausgehen, dass das Leben in der Schweiz dem in einer dreckigen Hütte in Südamerika vorzuziehen ist, trotz der skandalösen Tatsachen, die über Ihr Land ans Licht gekommen sind. Beschämend das Verhalten der Schweiz im Krieg, finden Sie nicht auch, Mrs. Tavares?“ Sandras Stimme klirrte vor eisiger Geringschätzung, ebenso wie Rebeccas Lacher, der in indignierte Ausführungen über eine Fernsehdokumentation zum Thema überging, in Empörung über ein Sendeverbot in der Schweiz, und verwundert begann Viktoria sich zu bewegen. Sie konnte nicht widerstehen, es war ihr nicht gegeben. „Verboten?“ „Das habe ich gelesen. Der Film ist in der Schweiz nicht gezeigt worden.“ „Ist er doch, Diskussionsrunde inklusive. Wir sind einmal verhaftet worden, in Paraguay, und der Offizier auf dem Posten hatte in der Zeitung gelesen, dass die Schweizer Armee kein Geld mehr habe, um den Soldaten Schuhe zu kaufen. Man kann nicht immer alles glauben, was man liest.“

      Rasch legte