Katharina Conti

Maresia


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angedreht prasselte Regen nieder, sie blieb stehen, liess sich das Wasser für einen Moment aufs Gesicht fallen, dann setzte sie den Hut auf, rannte los; mit ein paar grossen Schritten war James bei der Tür, riss sie auf, „kommen Sie!“, rief er und alle im Salon drehten die Köpfe. Mitten im Lauf wechselte Viktoria die Richtung, rannte mit gesenktem Kopf durch den strömenden Regen; „Himmel, wie viel Wasser!“ Sie lehnte am Türrahmen, zog die Stiefel aus, die triefende Jacke, legte alles zusammen auf den Boden, den Hut oben drauf, und er hielt noch immer die Tür.

      „Danke, Sie haben mich vor dem Ertrinken gerettet.“ Lachend richtete sie sich auf, schaute ihn an, schaute und schaute, unverwandt, reglos, geradeso wie James, kommunizierend ohne Worte, und für einen Augenblick war ich wie vor den Kopf geschlagen; gab mir einen Ruck, die Situation war unhaltbar, stellte sie vor und er nahm ihre Hand, sagte, er freue sich. Sie schien zu erwachen, sagte, sie freue sich auch, Hoheit, fügte sie noch hinzu, und das Gesicht gerötet vom Laufen vielleicht, vielleicht auch von der kalten Luft, ging sie an uns vorbei, feucht kringelten sich die Haare um ihren Kopf, in Socken trat sie über die Schwelle, blieb stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen und ich ging zu ihr, nahm ihren Arm, wollte sie eben vorstellen, als die Tür aufging und die Jungen hereinkamen. „Dad, kann Richard den Tee mit uns nehmen? Bitte! Das ist Sami, Dad, er spricht nur Deutsch und Portugiesisch und Richards Latein ist so viel besser. Das hilft nämlich, wirklich, bitte, Dad!“

      Aufgeregt zog Michael Sami hinter sich her, Max hatte seine Mutter entdeckt, rannte schwatzend auf sie zu und sie hob ihn hoch, versteckte ihr Gesicht hinter seinem Köpfchen. „Sami, das ist mein Dad. Vater, verstehst du?“ „Vater“, wiederholte Sami, streckte zögernd die Hand aus und den Jungen aufmerksam musternd begrüsste ihn James, wandte sich dann missbilligend an Richard. „Du willst also den Tee im Kinderzimmer nehmen?“ Einen bangen Blick hatte der in Viktorias Richtung geworfen, stand jetzt mit gesenktem Kopf vor seinem Vater. „Ja, gerne.“

      Seufzend gab James seine Einwilligung, die Jungen begrüssten die Gäste, dann blieb Richard vor Viktoria stehen, hievte sich Max auf die Schulter und ging mit einem etwas schiefen Grinsen zur Tür. Scharf zog sie die Luft ein, besänftigend trat ich zu ihr, „willst du dich etwas frisch machen, Vic? Du hast fünf Minuten“, strich ihr lächelnd eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „mehr brauchst du nicht. Und zieh dir Schuhe an, ja.“

      Kaum hatten sich die Türen hinter Viktoria geschlossen, ging Lucie in Stellung. „Was für reizende Kinder.“ „Schau dir die Mutter an, Liebes, Vater würde es umhauen. Stell sie ihm vor, Onkel Rob, sie sieht so unwahrscheinlich fruchtbar aus. Ich bin sicher, sie wird dir einen Erben schenken.“ Frech grinste er in die Runde und ich hatte das dringende Bedürfnis, ihn zu ohrfeigen. Die Atmosphäre war geladen, und das war ihm nicht entgangen. „Ryan, kopflastig wie immer. Ich finde sie sehr sympathisch, deine neue Freundin, Rob.“ Bohrend spürte ich plötzlich James’ Augen auf mir liegen, „befreundet, Lucie, ich war Gast in ihrem Haus in Brasilien und“, zögernd und sehr zurückhaltend betrat Viktoria den Raum, Walter hatte ihr die Türen geöffnet, meldete, dass der Tee serviert war.

      Sie sass neben Ryan zu meiner Rechten, Lucie sass ihr gegenüber; „nein, danke, keinen Zucker. Nein, Milch auch nicht, danke.“ Abwehrend hatte sie die Hände erhoben, und sofort nahm Lucie ein Gespräch auf. „Schmeckt Ihnen der Tee nicht zu bitter ohne Milch und Zucker? Man sagt zwar, dass Kenner ihn so trinken, aber für mich würde er seinen ganzen Geschmack verlieren; nach Milch und Zucker.“ Sie lächelte und Viktoria rutschte unbehaglich hin und her, kindlich fast in ihrer Unbeholfenheit.

      „Rob hat uns von Brasilien erzählt. Sind Sie zu Besuch in Europa?“ „Nein, nicht wirklich. Ich bin Schweizerin. Mein Mann war Brasilianer.“ „Aber sie kennen Brasilien?“ „Ja, ich habe eine zeitlang dort gelebt.“ „Darum also sprechen Sie Spanisch mit Ihrem kleinen Jungen. Max, so heisst er doch?“ So lieblich, die kleine Lucie, stellte sich Viktoria zur Seite und tadelnd kam auch gleich die unterkühlte Stimme von Paul, „Portugiesisch, Lucie, das solltest du eigentlich wissen.“

      Ein Langweiler, sie waren sich einig, ein Blick hatte genügt, und voll südländischer Gelassenheit hob Viktoria die Schultern, schenkte Lucie ein warmes Lächeln, das seltsam starr wurde, als eine betretene Heather auf sie zu trat. Max war hingefallen, nichts Schlimmes, aber er wollte seine Mutter; Viktoria war schon aufgesprungen, war schon fast bei der Tür, als sie abrupt stehen blieb, sich umdrehte und eine hastige Entschuldigung murmelte. „Was für ein Benehmen! Kein Wunder; und die Schweizer sind auch nicht viel besser.“ Eine Spur zu gehässig war Sandras Stimme und in diesem Ton spöttischer Herablassung, den sie sich im gegenseitigen Umgang schon seit geraumer Zeit angewöhnt hatten, erklärte James sich bereit, nach dem Tee eine Partie zu spielen. „Deine Entzugserscheinungen sind eminent, meine Liebe, und diese Brötchen schmecken herrlich, Rob, wirklich, ausgezeichnet.“

      Unter quälenden Belanglosigkeiten ging der Tee zu Ende, machte sich das Quartett an sein Kartenspiel, kühl und künstlich, als hätte keine fremde Frau unser aller Blut in Wallung gebracht. Meister dieses Spiels sind wir, doch ich verspürte keine Lust es zu spielen, setzte mich zu Ryan und Lucie ans Feuer, Viktoria war nicht zurückgekehrt.

      „Hast du nicht auch das Gefühl, dass sie in dich hinein sieht, wenn sie dich anschaut? Beunruhigend irgendwie, und sie hat etwas Fremdes, etwas sehr Eigenes.“ Nur Spott hatte Ryan für eigenartige Fremde mit Röntgenblick, bei all dem Fels in der Schweiz sicher ganz nützlich; „und dann gibt’s bei mir auch nichts zu sehen. Doch was es geben könnte, mein Liebchen, tief in meinem Innern, das siehst nur du allein.“ „Ja, ich sehe einen Kindskopf. Nur befreundet also, Rob? Du bist kein bisschen verliebt in Mrs. Tavares?“„Lucie, die Frage ist nicht, ob Rob in sie verliebt ist, die Frage ist, ob sie in Rob verliebt ist. Mein lieber Onkel, wenn dem so ist, bist du verloren, für immer und ewig, und mit dir dein Titel. Stell sie Vater vor, es würde ihn umbringen.“ Ryan hatte grosse Mühe mit der Tatsache, dass mein Bruder hysterisch auf sämtliche Frauen reagiert, die mir auch nur nahe kommen könnten; ich lachte und zum nachhaltigen Befremden seiner Mitspieler warf James plötzlich die Karten auf den Tisch und stand auf.

      „Ich will mit Richard sprechen. Begleitest du mich, Rob?“ Suchen gehen wollte er sie, wusste genau, wo er sie finden würde und unwillig, neugierig zugleich, folgte ich ihm. Ich hatte keinerlei Ansprüche, war nur befreundet, wie schon gesagt. Wir kamen die Treppen hoch, hörten Stimmen und Lachen aus ihrem Zimmer, ich stiess die Tür noch etwas auf und wir schauten hinein. Sie hockten auf dem Boden vor dem Kamin und spielten ein Spiel. Max, eine deutlich sichtbare Beule auf der Stirn, stapelte farbige Klötzchen zu bizarren Figuren, unterbrach sich immer wieder, um sich fest an seine Mutter zu drücken. Wärme schien sie alle einzuhüllen, ausgehend von dem Feuer vielleicht, vielleicht auch von der Frau, die mit dem Rücken zu uns im Schneidersitz am Boden sass, und nur zu gern wäre ich eingetreten in diesen Dunstkreis kindlichen Vergessens der Welt über einem Spiel; aber James rührte sich nicht von der Stelle und so blieb ich draussen. Viktoria zog eine Karte.

      „Mist!“ „Das schaffst du nie, Vicky“, Michael krähte, „niemals! Der ist auf der anderen Seite.“ Sie schob Max etwas von sich, setzte sich aufrecht, „ich versuch’s.“ „Du verlierst! Darauf wette ich. Richard?“ „Ich auch.“ Sami rutschte etwas näher, sie übersetzte und ihren Protesten zum Trotz schloss er sich den Jungen an. „Ihr wollt mich also verlieren sehen. Kein Problem“, und James trat ein in den Kreis, der zerstob und zerfiel, ungerührt über die Unruhe, die er verbreitete, zog er sich einen Stuhl heran, bat Michael ihm die Regeln des Spiels zu erklären.

      „Sie haben die Wette angenommen, Mrs. Tavares?“ Ich hatte gesehen, wie ihr Nacken steif, ihre Schultern starr geworden waren bei seinem plötzlichen Erscheinen, ganz offensichtlich mochte sie nicht, dass er sie ansprach, rutschte nervös hin und her, die Augen stur auf das Spielbrett gerichtet. „Ich wette nur, wenn ich sicher bin, dass ich gewinne. Hoheit.“ „Und das ist hier nicht der Fall?“ „Nein.“ „Sie könnten sich irren, Mrs. Tavares.“ Ruhig auf einmal legte sie die Hände in den Schoss, hob den Blick. „Ja“, sagte sie und mit einem plötzlichen Schmerzensschrei stiess sie Max von sich, rieb sich aufgebracht den Arm; erneut nahm er Anlauf, wie Klammern legte sie die Arme um ihn, stand auf und wutentbrannt brüllte er los. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen.“ Mit dem schreienden Kind unter dem Arm ging sie in Richtung