Katharina Conti

Maresia


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weiss nicht, vielleicht weil es durch alle Gassen zieht; und wenn es schneit, scheint es wärmer. Aber das Schlimmste ist eh Eis, Glatteis, das sieht man nicht. Nein, Eis mag ich überhaupt nicht.“ Diese sonderbare Angewohnheit über alltägliche Dinge nachzudenken, über den Unterschied von Kälte und Kälte; ich musste sie noch einmal ansehen, „was ist mit dem von Rocha?“, und sie lachte ihr tiefes, fröhliches Lachen.

      Es war bereits dunkel als wir eintrafen, ich machte sie mit Walter und Mrs. Blaire bekannt und Heather im Schlepptau kamen uns die Jungen entgegen. Michael grinste von einem Ohr zum anderen. Ich wusste, warum er so grinste, fast platzen wollte vor Aufregung; bestürmt hatten sie mich, mir endlos vorgerechnet wie gut ihre Chancen stünden, weil sie doch eine Ausländerin war. ‚Ist sie deine neue Freundin, Onkel Rob?’ ‚Macht irgendwie alt. Finden Sie nicht?’ Sie war nicht meine neue Freundin, noch nicht, ich hatte Geduld, hatte nachgegeben; ‚aber nur, weil euer Vater nicht hier ist. Er hätte kaum Verständnis.’ ‚Dad kommt nicht?’ ‚Nein, Richard, er ist verhindert.’ Er war fast immer verhindert, wenn sie bei mir waren und voller Ärger auf James hatte ich Richards Enttäuschung zur Kenntnis, mir einmal mehr vorgenommen, mit ihm über seinen Sohn zu sprechen. ‚Besser so, er hätte nicht kaum sondern gar kein Verständnis‘, und gebieterisch fast war mir aufgetragen worden, Walter einzuweihen, mit Michael zusammen wollte er Heather und Mrs. Blaire übernehmen. ‚Paul und Rebecca?’ ‚Die kommen erst morgen, Rob, das entscheiden wir morgen’; und dann hatten sie noch einmal die Geschichte meiner Ferien hören wollen.

      Arglos und freundlich wurden sie jetzt von Viktoria begrüsst, interessiert schnupperte Sami um Michael herum und Max gab Richard einen Stoss. „Quem és?“ „Richard“, sagte der, erwiderte den Stoss mit einem Schubser und hob ihn hoch. „Du musst aufpassen, er beisst manchmal.“ „Er beisst? Wieso beisst er?“ „Manchmal aus Wut, wenn er nicht mehr weiter weiss, meistens aus Liebe.“ „Aus Liebe?“ „Ja, Freude oder so. Es heisst: ich habe dich zum Fressen gern.“ Mit einer dieser Gesten, die wohl besagte, dass sie nichts dagegen tun könne, lächelte sie zu Michael und ich bemerkte den merkwürdig starren Blick, mit dem Richard sie bedachte. „Mach ihn bloss nicht wütend.“ Michael schnitt eine Grimasse, gestikulierte Sami ihnen zu folgen und ich führte Viktoria hinauf in ihre Zimmer.

      Etwas steif trat sie vor den Kamin, knöpfte ihren Mantel auf, Walter trat mit den Taschen ein und erneut spottete ich über den Umfang ihres Gepäcks. „Ich dachte, du wolltest nur bis Sonntag bleiben.“ „Und ich wette, du packst deine Koffer nicht selber, sonst würdest du nämlich wissen, wie viel Platz Wintersachen brauchen.“ Als wolle sie mir die Zunge rausstrecken, schaute sie mich an, zog ihren Mantel aus, warf ihn nachlässig über die Taschen und mit unverhohlener Neugierde, sich leicht im Kreise drehend, schaute sie sich um. „Müsste ich dich eigentlich mit einem Titel ansprechen? Und wie ist das, wenn ich einmal auf den Prinzen treffen sollte und seinen Titel vergessen würde, ihn am falschen Ort gebrauchen oder so, wäre das sehr schlimm oder würde man mir verzeihen? Ich bin ja doch eine Nichtuntertanin.“ Fragend schaute sie mich an, wartete auf Antwort und ich dachte nur, wie schön sie war, wie frisch gewaschen in ihrer Natürlichkeit.

      „Warum stellst du immer mindestens zwei Fragen auf einmal, Viktoria? Das ist eine unmögliche Angewohnheit von dir. Also, erstens, ich packe meine Koffer selber, teilweise wenigsten; zweitens, du musst mich nicht mit einem Titel ansprechen, nur nenn mich bloss nicht Robin. Abgemacht? Und drittens, es wäre sehr unhöflich, beleidigend schon fast, den Prinzen anzusprechen, ohne dass er darum bittet. Ich bin aber sicher, Seine Hoheit würde einer Frau wie dir verzeihen. Und jetzt komm, ich habe Hunger“, übersah gefliessentlich den erstaunten Blick, nahm ihren Arm, drückte ihn ein wenig, spürte, wie sie sich sperrte. „Machst du dich lustig über mich?“ „Nein, Vic, ganz im Gegenteil.“

      Auch beim Tee beobachtete Richard verstohlen jede Bewegung von Viktoria, die, wie immer wenn es ans Essen ging, zur italienischen Mamma geworden war, dringend benötigte Fragen und Antworten übersetzte, den begeisterten Max resolut davon abhielt, sich über den Teetisch herzumachen; und dann fixierte sie ihn plötzlich. „Rob hat erzählt, dass du Computerprogramme machst“, beeilte Richard sich zu sagen, „ist das richtig?“ Sie bejahte, etwas schüchtern gestand er ein Problem mit seinem PC, begann auch gleich mit Erklärungen; „also, was meinst du?“ „Du hast das Programm gelöscht.“ „Das glaube ich nicht.“ „Ich schon.“ „Ist es verloren?“ „Das Programm kann man neu aufladen, die Daten sind natürlich weg.“ „Endgültig?“ „Auf der Festplatte sind sie gespeichert, aber da kann ich nicht ran.“ „Warum nicht?“ „Dazu braucht es einen Spezialisten.“

      Er war fasziniert von der für ihn so ungewohnten Leichtigkeit, mit der sie mit ihm umging, zäh rang er um Anteilnahme, bis sie nachgab, sich das Problem ansehen wollte, und wir gingen nach oben in die Zimmer der Jungen. Viktoria setzte sich vor Richards Schosscomputer, schnell wechselnde Bilder erschienen auf dem Bildschirm, dann wurde er schwarz, und wie die Runen einer endlos langen Zauberformel erschienen mir die Zeichen und Buchstaben auf dem Monitor. „Es ist nicht da. Du hast es gelöscht. Hast du etwas runtergeladen?“ Zögernd nickte er, liess den Kopf etwas hängen, gedankenvoll auf einmal schaute sie ihn an und Michael drängte sich vor. „Bist du keine Spezialistin, Vicky?“ Sie schlug eine Taste an, „nein, ich bin nur neugierig.“

      Am nächsten Morgen beschlossen wir in den Park zu gehen und es dauerte eine Weile, bis alle bereit, Viktoria einige Male die Treppen rauf und runter gelaufen war, vorbei an der Ahnengalerie, als hätte sie sie schon dutzende von Male gesehen, um eine Windel zu holen, die Stiefel von Max, ihre Jacke, und amüsiert hatte ich zugeschaut, wie sie Walter erklärte, was ein Rucksack war.

      „Einen Rucksack meinen Sie, Mrs. Tavares?“ „Ja, Rucksack; das sagen wir auch. Haben Sie so was? Einen kleinen?“ Er bejahte, wie Walter das eben tut, fragte so förmlich nach ihren Wünschen bezüglich des Inhalts des Rucksacks, dass sie ihn ansah, als würde er gleich losprusten, was er natürlich nicht tat, und etwas verlegen bat sie um Wasser und Äpfel, oder ähnliches, bedankte sich höflich, als er mit dem Gewünschten zurück kam und stopfte die Windel oben rein. „Bist du jetzt endlich bereit, Robert? Können wir jetzt endlich gehen?“

      Lachend hakte ich sie unter, wir machten uns auf die Jungen einzuholen, die ungeduldig voraus gelaufen waren, sich versteckten hatten, Maschinengewehrfeuer ertönen liessen, als wir sie entdeckten; befriedigt stellte ich fest, dass sie sich mochten und als sich Viktoria am Ufer des Teichs unter einen Baum hockte, Äpfel und eine Flasche Wasser aus dem Rucksack zauberte, hockte ich mich zu ihr. „Ich habe das Wurzelmehl gefunden, in einem brasilianischen Laden in der Stadt. Machst du diese Brötchen für uns? Und bitte sieh zu, dass Gladys alles aufschreibt.“ Ich grinste, und sie gab mir einen leichten Stoss, „die Brötchen also.“

      Nach dem Lunch liess ich sie ziehen, hinaus zu den Ställen, überliess mich angenehmsten Vorstellungen, fühlte erneut Befriedung bei dem Gedanken, um wie viel einfacher die Zuneigung von James’ Söhnen alles machen würde, dann erhielt ich den Anruf. Er hatte es sich anders überlegt, war bereits unterwegs, zusammen mit Paul, Rebecca und Sandra; Walter meldete, dass Ryan und Lucie eingetroffen waren und leicht beunruhigt ging ich ihnen entgegen. „James kommt jetzt trotzdem, mit Freundin.“ „Na toll“, sagte Ryan, „ich hoffe, dein Gast ist hübsch, dann können wir den alten Katzen beim Kratzen zusehen. Aber dieser Paul und obendrein dein Kumpel James; mein Kind“, zärtlich küsste er Lucie hinters Ohr, „wir ziehen uns sofort zurück und speisen auf unserem Zimmer.“ „Würdest du gerne“, lachte sie, „sie sind eben vorgefahren“, und meine Unruhe verstärkte sich.

      Angespannt und schlecht gelaunt trat James ein, wollte sofort seine Söhne sehen und Heather, nervös wie immer in seiner Anwesenheit, erklärte schnell, dass die Kinder draussen seien, mit Mrs. Tavares. Irritiert wandte er sich ab und ging in den Salon. „Ich hatte Richard jetzt sprechen wollen. Wieso weiss er nicht, dass wir kommen? Nein, ich will nicht spielen, Sandra, vielleicht später, und wer ist Mrs. Tavares, Rob?“ Gelangweilt stellte er sich ans Fenster und schaute hinaus. Der Himmel war schwarz geworden, wie Schemen tauchten plötzlich die Jungen vor uns auf, rannten lachend dem drohenden Regen davon, aufgeregt quietschend sass Max auf Richards Schultern, und bevor wir reagieren konnten, waren sie schon um die Ecke und verschwunden.

      James