Katharina Conti

Maresia


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Grund entlang, spüre ihren Sog, tauche auf, und wie kühle Seide, weicher Samt ist das Wasser auf meiner Haut. Warum bist du fort gegangen? Warum hast du mich verlassen, alles mitgenommen, mir nur Angst gelassen? Und ich spüre die Kraft des Wassers, weg vom Strand fliesst es, zurück in den Ozean, doch dann hebt sie mich empor, nimmt mich mit, trägt mich zurück an Land, bringt mich in Sicherheit.

      „Gefällt er dir?“ „Wie meinst du? Als Mann?“ „Nein, Vicky, als Bohnentopf.“ „Vielleicht hast du ja als Mensch gemeint.“ Mit dem Geschirrtuch schlägt sie nach mir, hat Mann gemeint, weil das auch Menschen sind, falls ich das vergessen haben sollte, und ich hänsle sie mit ihrer Vorliebe für den europäischen Typus. „Komm, sei ernsthaft. Du gefällst ihm nämlich.“ „Als Frau?“ „Unbedingt. Am Strand hat er mehr als ein Auge auf dich.“ „Auf dich auch, querida. Er ist sich unsere Bademode nicht gewöhnt.“ „Du hast ‚unsere’ gesagt, Vicky.“ Mit ihren leuchtenden Augen sieht sie mich an, streichelt meine Wange, „ich mag es, wenn du vergisst, dass du eine Gringa bist.“

      Barfuss stehe ich in der Küche, alle Fenster und Türen sind offen, Wärme im Überfluss strömt herein, bringt Gerüche mit sich von Jod und Salz, wilden Pflanzen, Feuchtigkeit vom letzten Regen und irgendwo steht noch ein Abfallsack; ich höre Max mit den Mädchen quietschen, höre die ruhigen Anweisungen von Luizinho, der mit Hilfe von Sami sein Surfbrett auf Vordermann bringt; Alzira und Robin kommen mit dem letzten Rest des Frühstückgeschirrs, etwas unsicher stellt er Teller und Tassen in die Spüle und augenblicklich räumt Ana den Platz an meiner Seite.

      „Was machst du da?“ „Den Teig für die Brötchen.“ Er nimmt die Schüssel auf, „riecht eigenartig.“ „Ja, ich weiss, wie Katzendreck.“ „Katzendreck, Viktoria?“, und er lacht, beredte Blicke huschen von Ana zu Alzira, bleiben an mir kleben. Es riecht wirklich nach Katzendreck, Weiber, lasst mich bloss in Ruhe; „wir sollten heute einkaufen, Silvester steig ich nicht ins Auto. Kommst du mit, Robin? Passt ihr auf die Jungen auf? Max nehme ich mit, wenn er will“, nehme die Schüssel mit dem Teig aus Robins Händen, stelle sind in den Kühlschrank, setze mich hin; wir machen die Liste, er macht sich bereit, Max hat absolut kein Interesse und zu zweit fahren wir nach São Sebastião.

      „Zuerst gehen wir zum Fischmann, da muss man früh hin. Magst du Fisch und anderes Meeresgetier?“ „Ja, ich mag Fisch und anderes Meeresgetier. Dein Albionisch ist erstaunlich gut. Etwas zu schluderig vielleicht.“ Hoch oben an der Serra fahren wir, alle Fenster sind offen und es ist heiss und feucht, feucht und heiss, ich spüre, wie meine Haare sich kringeln, bitte um Vergebung und er vergibt mir. „Siehst du die Landspitze dort? Das ist Ilhabela, sie liegt genau vor São Sebastião. Früher war sie ein Piratennest. Auf der anderen Seite gibt es eine tiefe Bucht, da haben sie sich versteckt.“ „Kann man hingehen?“ „Ja, aber mit dem Auto ist es sehr mühsam. Die Strasse ist nur ein Weg und wenn es regnet, bleibt man stecken und wird gefressen. Die Insel ist voller Borrachudos.“ „Was ist das denn?“ „Mücken, winzige Mückchen, man sieht sie fast gar nicht, aber sie beissen schrecklich.“ „Du meinst sie stechen.“ „Nein, das meine ich nicht. Die stechen nicht, glaub mir, die beissen.“ Er lacht und ich mag ihn; „wie alt bist du, Viktoria?“ „Achtunddreissig.“ Eben, in zwei Jahren bin ich vierzig, und das passt mir nicht. „Ich habe dich jünger geschätzt.“ „Danke, ich schätze dich auch jünger.“ Wieder lacht er, weit draussen am Horizont taucht ein Tanker auf und ich frage mich, ob man sich verlieben kann, so wie man geht zum Beispiel, von A nach B. Ich verlieb mich jetzt, bis später dann, gebe es auf, konzentriere mich auf die Strasse; voller Löcher ist sie, Erdrutsche hat es auch gegeben.

      Crevetten, Fisch brauch ich nur einen, Fábio hat noch Fleisch dagelassen, und stumm plötzlich starre ich auf die Auslage schuppiger Leiber. Es ist nicht wahr, was er gesagt hat! Ich bin nicht froh, dass Henrique tot ist, alleweil könnte ich mit ihm leben, den Atlantik zwischen uns, schaue in die gebrochenen Augen der Bewohner des Ozeans, der uns trennen würde, wenn er noch lebte, spüre Robins Hand auf meinem Arm. „Bist du in Ordnung, Vic?“ „Ja, den hier nehm ich. Könnt ihr mir den säubern? Die Crevetten auch, aber gebt mir die Köpfe mit, die brauch ich für den Sud“; Robin will bezahlen, ich erkläre, dass der Fisch hier auf Eis liegen bleibt, man beim Abholen bezahlt, er mich nicht beleidigen soll, weil Gäste nur im Hotel eine Rechnung kriegen, und trocken legt er mir dar, wer was zu unserem Ferienhaushalt beisteuert, wird es auch tun, „und wenn dich das beleidigt, bist du selber schuld.“

      Er lächelt, ich mag seine unaufdringliche Nähe, er will mir wohl, denke ich, hake mich unter, wir gehen weiter zum Supermarkt und es riecht nach Trockenfleisch für die Feijoada, nach Bacalhau, tropischen Früchten und Kaffee, nach den unheimlich starken Putzmitteln, billiger Seife, riecht nach dem Leben, das ich einmal hatte hier, vor langer Zeit.

      „Lass den Jungen das machen.“ Etwas pikiert sieht er mich an, wird doch ein Kind nicht den voll bepackten Karren bis zum Auto stossen lassen; „er tut seine Arbeit, er braucht sie. Gib ihm ein gutes Trinkgeld. Du darfst das, du bist ein Gringo“, und der Junge geht los, fragt welches Auto, packt die Tüten vom Karren in den Wagen, Robin gibt ihm zehn Reais und strahlend nimmt er das Geld, verschwindet wie der Blitz, wird den verrückten Ausländer nie mehr vergessen, der ihm ein Vermögen in die Hand gedrückt hat. „Du inflationierst die Preise.“ „Was ist das übliche?“ „Fünfzig Centavos, ein Real ist schon sehr viel. Fürstliches Trinkgeld.“ „Dein Wunsch war mir Befehl“, und er hakt mich unter, wir gehen auf ein Eis zu Rocha, schlendern hinüber zum Hafen, wo sie die Petrotanker löschen und beladen mit Hängematten kommt uns ein alter Mann entgegen gewankt, hält uns auf, ich sehe wie jung er ist; brauche aber wirklich keine, habe doch schon zwei. Er legt sie trotzdem auf den Boden, öffnet sie, ist aus dem Norden gekommen, Pernambuco, drei Tage und Nächte hat er gebraucht mit dem Bus, und wenn er alle verkauft hat, fährt er zurück, holt eine neue Ladung.

      „Was meinst du? Soll ich eine kaufen?“ „Klar, häng sie auf und hör dem Regen zu, wenn du wieder zu Hause bist.“ „Also gut, warum nicht. Soll ich feilschen?“, und ich schaue auf den jungen Mann mit dem alten Gesicht. „Hast du das nötig?“ Befremdet sieht er mich an, verfremdet, sein Gesicht hat sich bewegt, das tut es sehr selten, immer gleich sieht es aus; und er bezahlt den geforderten Preis. „Du solltest dir eine neue Badehose kaufen.“ „Findest du?“ „Ja, finde ich. Komm.“ Er kauft sich zwei, wir treten aus dem Laden und aufgeregt schwankend unter seiner Last eilt der Hängemattenmann auf uns zu; „das ist doch Ihres, tia, Sie haben’s liegen lassen.“ Strahlend hält er mir Robins Kamera entgegen und ich sehe wie jung er ist, fast noch ein Kind.

      „Du rufst mich an, wenn du etwas brauchst. Vicky!?“ „Ja, ich ruf dich ganz sicher an, wenn ich was brauche, danke, Fábio; vamos, meninos, gehen wir.“ Er begleitet uns zur Passkontrolle, umarmt uns noch einmal; „kommst du im Winter?“ „Nicht einmal die Jahreszeiten haben wir gemeinsam. Ich nehme an, du meinst den Sommer.“ „Zicke.“ Er drückt mich etwas, küsst die Kinder, wir passieren die Kontrollen, verstauen uns an Bord; und die Maschine zieht über die Piste, hebt ab, fliegt hinweg über ein Meer aus Lichtern, steigt, fliegt davon und wir sind umgeben von Dunkelheit, dem ewigen Dröhnen der Motoren.

      „Wie war es?“ „Warm.“ Einkaufen ich muss noch, das Nötigste nur, er sagt, wo er geparkt hat, geht vor mit Gepäck und Kindern; im Flughafensupermarkt riecht es nach Käse, still ist es auch, ich trage meinen Wintermantel. Kauf ich halt Käse, Schokolade, beeile mich; und durch düsteres Grau fährt er uns nach Hause, ich schliesse auf, sie stürmen hinein, stürmen vor den Fernseher, ich stürme zur Heizung; „willst du mit uns essen?“ Essen nicht, nein, aber einen Kaffee hätte er gerne. „Gehst du im Sommer wieder?“ „Ich denke schon, wenn das Geld reicht.“ „Du verdienst ja nicht schlecht.“ „Gott sei Dank. Warum kommt ihr nicht mit? Nein, ernsthaft, wie viele Neffen hast du auf dieser Welt?“

      Knurrend zieht er die Augenbrauen zusammen, wirft mir ebensolche Blicke zu, „du solltest wieder heiraten.“ „Du bleibst ihr Onkel, auch wenn ich wieder heirate. Ach, vergiss es“, stehe auf, hole die Zwiebeln hervor, den Knoblauch, werde einen Picknickkorb mitnehmen, wenn ich das nächste Mal in einen Flieger steige, und warum sage ich immer dasselbe? Du musst abnehmen und falls du es vergessen haben solltest, du hast zwei Neffen. Immer sage ich das, hab